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Architekten des Teufels?
Der Standard

Vermauern sich westliche Baukünstler mit ihrer Beteiligung an Großprojekten im „bösen“ China ihre moralische Integrität? - Ergänzende Anmerkungen zu einem Diskussionsbeitrag von Ute Woltron.

14. Januar 2009 - Liane Lefaivre
Die Regierung von China ist diktatorisch, folglich hätten Jacques Herzog und Pierre de Meuron nicht das „Vogelnest“-Olympia-Stadion und Rem Koolhaas nicht das CCTV-Zentrum in Peking bauen dürfen. Zumal sie bei diesen Projekten auch wichtiges Know-how „transferiert“ und solcherart die europäische Überlegenheit auf dem Gebiet der Architektur unterminiert hätten.

Diese Sichtweise wurde in den letzten zwei Jahren immer wieder in der internationalen Presse kolportiert, zuletzt auch in einem Artikel von Ute Woltron („Die schönen Blumen der Macht“, Standard, 9. 1.), für den die Autorin allerdings die Form eines ironischen „Sündenregisters“ wählte. Dafür muss man ihr dankbar sein, nur ist vor lauter Ironie die Argumentation ein wenig zu kurz gekommen.

Tatsache ist, dass die an Herzog und Co. adressierte „Kollaborations“-Kritik nirgendwo hinführt. Denn folgt man dieser Logik, dürfte konsequenterweise auch kein Thom Mayne, Steve Holl oder Arata Isozaki an Bauwettbewerben in China teilnehmen oder Cesar Pelli müsste vielleicht verkünden, dass er für den Fall, dass die Petronias Company noch einen Turm von ihm bauen lassen will, nicht mehr zur Verfügung steht. Das Gleiche gilt natürlich für Frank Gehry und Norman Foster. Und, um vor der eigenen Haustür zu kehren: Sollten nicht auch „Unsrige“ wie Zaha Hadid, Wolf Prix, Greg Lynn und Hans Hollein auf der Stelle sämtliche Projekte in China fallen lassen?

Warum nicht noch weitergehen? Sind Architekten die einzig Schuldigen? Müssten nicht auch andere zum Handkuss kommen? Fordern wir doch, wo wir schon dabei sind, Gucci, Armani und Vuiton auf, ihre Läden in China zuzusperren. Zara ebenso. Stoppen wir die Produktion von Autos, Zahnpasta, Joghurt und Laufschuhen in China. Bestehen wir darauf, dass Siemens, Bank Austria, Carrefour, Renault, Mercedes, Volkswagen, Danone etc. sich aus China zurückziehen.

Aufwachen, bitte - höchste Zeit für einen Reality-Check. Realität Nr. 1: China ist keine Diktatur - worauf der renommierte Globalisierungsanalytiker Thomas Friedman schon seit mindestens einem Jahrzehnt hinweist. Wer China besucht, wird mit einem Zeitsprung konfrontiert, den einige Journalisten aber offenkundig immer noch nicht nachvollzogen haben: Liest man ihre Artikel, könnte man glauben. dass sich seit der Totenwache auf dem Tiananmen-Platz 1989 nichts verändert hat. Flaniert man aber durch die belebten Einkaufsstraßen von Schanghai, Shenzen und Peking - aber auch von Städten in abgelegeneren Provinzen - oder verbringt einige Zeit an einer chinesischen Universität, dann versteht man, was Friedman meint, wenn er von einem „New Deal“ spricht, der die chinesische KP und das chinesische Volk in den vergangenen 20 Jahren zusammengeschweißt hat.

Es gibt vieles zu kritisieren in China. Unter anderem das Versäumnis, sich am keynesianischen Modell der europäisch-en Sozialdemokratie auszurichten. Das gegenwärtige neoliberale China bietet seinen Bürgern sogar weniger soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Arbeitslosenunterstützung als die USA. Aber, wie Friedman wieder und wieder betont: Die Menschen können arbeiten und leben, wie und wo sie wollen. Ihre Universitäten übertreffen in ihren Leistungen regelmäßig jene der europäische Unis, Studenten erhalten großzügige Auslandsstipendien, holen sich aus dem Internet, was sie wollen, und gründen Unternehmen, wann und wo sie wollen.

Keiner weiß, wohin die politische Entwicklung letztendlich führen wird. Aber nimmt man die überaus kritische Feuerwerksshow des Künstlers Zhang Yimous bei der Eröffnung der Olympiade als Orientierungsmaßstab, dürfte die Richtung stimmen: Neunzehn Feuerwerke in Form von Fußstapfen - einer für jedes Jahr, das seit dem gewaltsam niedergeschlagen Aufstand vergangen ist - markierten am Horizont den Weg vom Tiananmen-Platz weg hin zur Eröffnungszeremonie im Stadion. Diese Symbolik ist niemandem in China entgangen.

Das bringt uns zu Punkt zwei im Realitäts-Check, betreffend den vielfach beklagten „Know-how-Transfer“ von Koolhaas, Herzog und de Meuron zu den diebischen Chinesen: Europäische Architekten haben weder ein geistiges Monopol noch Eigentumsrechte auf „Know-how“. Laut Herzog und de Meuron können Europäer auf dem Bausektor durchaus einiges von den Chinesen lernen. Know-how-Transfer ist keine Einbahnstraße, entscheidend ist, dass man damit etwas in Bewegung bringt.

Punkt drei betrifft die Realität der Globalisierung. Niall Ferguson hat, um die de facto längst existierende Partnerschaft, die China und Amerika aneinander bindet und die zweifellos die größte Wirtschaftsmotor in der heutigen Welt ausmacht, den Begriff „Chamerika“ geprägt. Nennen wir die europäische Entsprechung dazu „Cheuropa“ - eine nicht minder beeindruckende Wirtschaftsmaschine. Die europäische Industrie war in den letzten 20 Jahren ein bedeutender Faktor für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Chinesen - und vice versa. Dass die niederländische und die Schweizer Wirtschaft von den eingangs angesprochenen Bauprojekten profitieren werden, ist so gut wie sicher. Man stelle sich aber zugleich vor, was es für Österreichs Architektur und Wirtschaftsinteressen bedeuten würde, wenn mehr Leute, so wie Ute Woltron in vielleicht etwas übertriebener Ironie, diese Aktivitäten als „Zirkus“ abqualifizieren würden. Hier geht's nicht um Spiele, sondern um Brot.

Die Frage ist, wie die aktuelle globale Krise des Wirtschaftssystems die europäisch-chinesischen Beziehungen beeinflussen wird. China entwickelt gerade zur Konjunkturbelebung ein riesiges Infrastruktur-Projekt und investiert fast eine Billion Dollar in die Errichtung von Brücken, Autobahnen, in neue Energiesysteme, den Nahverkehr sowie Industrie- und Wohnbauten. Das sind Bereiche, in denen europäische Architekten und Ingenieure international führend sind. Setzt Europa den Export in beiden Bereichen fort, kann es nur gewinnen.

Herzog und de Meurons Olympia-Stadion ist kein Persilschein für eine kommunistische Diktatur. Keiner der beiden hat sich durch sein Engagement bei diesem Projekt etwas vergeben. Im Gegenteil: Der Bau ist ein geglücktes Symbol für die sich dynamisch entwickelnde Fusion von europäischem und chinesischen Know-how, die beiden Seiten nur zum Vorteil gereicht. Hoffen wir, dass diese Win-Win-Situation anhält. Wenn nicht, stünde uns tatsächlich ein Zirkus ins Haus.

[ Liane Lefaivre, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Architekturhistorikerin, -kritikerin und Kuratorin, ist Ordinaria für Architekturgeschichte und -theorie an der Universität für angewandte Kunst, Wien und hält regelmäßig Vorlesungen an der Tongji Universität, Schanghai, und an der Tsinghua Universität, Peking. ]

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