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Vielfalt und Widerspruch
Neue Zürcher Zeitung

Internationales Design der sechziger Jahre in Solingen

Die gegenwärtige Retrowelle hat den Blick auf die Vielgestaltigkeit des Designs der sechziger Jahre verengt. Dass nicht nur üppig wuchernde Wohnlandschaften und Kunststoffstühle zu Signaturen der Epoche wurden, beweist eine Ausstellung im Deutschen Klingenmuseum Solingen, deren Exponate aus der kaum bekannten Universitätssammlung Wuppertal stammen.

27. März 2000 - Hubertus Adam
Spannteppiche und Kunststoffmöbel können als die beiden Innovationen der sechziger Jahre im Wohnbereich gelten. Doch während die «Auslegware» flächendeckend und milieuübergreifend Verwendung fand, stiess das Kunststoffmobiliar auf eine kleine interessierte Klientel. Kurioserweise setzte sich die Idee des 1966 lancierten Bofinger-Stuhls von Helmut Bätzner erst 30 Jahre später mit dem konkurrenzlos billigen und für den Aussenbereich geeigneten Monoblock-Stuhl «Aurora» durch. Man mag darüber räsonieren, ob der Siegeszug von «Aurora» schon als die Morgenröte des Sechziger-Jahre-Revivals zu verstehen ist, das seine Spuren derzeit nicht nur in Bars und Boutiquen, Videoclips und Modekollektionen hinterlässt, sondern auch in Form von Ausstellungen. Seriöse Unternehmungen wie die Panton- Schau in Weil am Rhein stehen neben trendigen Zeitgeistveranstaltungen wie der 1968-Feier vor zwei Jahren im Kunstmuseum Düsseldorf. Die Verklärung durch Zeitzeugen findet dabei ihre komplementäre Ergänzung in der oberflächlichen Verwandlung von (zumeist reedierten) Gegenständen der sechziger Jahre zu modischen Lifestyle-Accessoires. Allerdings ist die gegenwärtige Retrowelle schwerlich dazu angetan, Kulturpessimisten auf den Plan zu rufen. Für ein selektives Aneignungsverhalten vergangener Zeithorizonte gibt es durchaus Vorbilder.


Ära der Matratze

Weit eher irritiert die seltsame Verklärung, mit der das Design der sechziger Jahre in den Augen der Nachgeborenen allein zu einer grellbunten Kunststoffwelt mutiert. Zwar konnten Panton oder Joe Colombo im Rahmen der von der Firma Bayer veranstalteten «Visiona»-Ausstellungen zwischen 1968 und 1970 Interieurgestaltungen im Sinne eines Totaldesigns realisieren, doch blieben derartige Konzepte ohne nennenswerten Einfluss auf der tatsächlichen Anwenderseite. Wer sich für ein Vorhangdesign von Verner Panton entschieden hatte, nutzte korrespondierende Muster nicht auch noch als Teppichböden, Sesselbezüge oder Kleidungsstoff. Das Mira-X-Set, das der Designer gerade für diese Zwecke im Auftrag des gleichnamigen Textilverlags entwickelt hatte, geriet zum wirtschaftlichen Misserfolg.

Zu konzedieren ist ohnehin, dass weder der transluzente aufblasbare Plastiksessel «Blow» (1967) noch Eero Arnios torusförmiger «Pastilli» (1968) oder der mit Polyesterkügelchen gefüllte Sitzsack «Sacco» (1968) die eigentliche Kampfansage an die behäbige Gemütlichkeit der elterlichen Polstergruppen darstellte, sondern ein Wohnutensil, das von gestalterischer Ambition frei ist und daher von keinem Museum als ausstellenswert erachtet wird: die Matratze. Das Thema der Matratze bleibt auch bei der im Deutschen Klingenmuseum Solingen präsentierten Schau «Positionen des Designs: die 60er» dem (hervorragend gestalteten) Katalog vorbehalten. Einer etwas spröden Präsentation zum Trotz ist die Ausstellung aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Zunächst einmal, weil sie die weithin unbekannte Designsammlung der Wuppertaler Universität ins Rampenlicht rückt, die - mit einem Sammlungsschwerpunkt in den sechziger Jahren - aus einer privaten Stiftung hervorgegangen und üblicherweise magaziniert ist.

Sodann sucht das Ausstellungsteam unter Leitung von Gerda Breuer aber auch, der üblichen Verengung des Fokus zu begegnen und das Designpanorama einer Epoche zu skizzieren. Der Bogen spannt sich von Deutschland über Italien und Skandinavien bis hin nach Japan. Aus Schweizer Perspektive mag man allerdings das Fehlen des Möbelsystems von USM Haller als gewichtiges Manko empfinden. Eine Rarität stellt zweifellos die Sitzgruppe «Tomotom» dar, von dem Briten Bernard Holdaway 1966 aus lackierten Sperrholzzylindern arrangiert und irgendwo zwischen Häuptlingsthron und Popmöbel anzusiedeln.


Systemdesign und Formenopulenz

Auch wenn das durch Stanley Kubricks «2001, A Space Odyssee» (1968) bekannte, organisch geformte Sofa «Djinn» von Olivier Mourgue die Ausstellung eröffnet, beschränkt man sich in Solingen nicht auf Raumfahrtästhetik (die mit dem skurrilen «Senftenberger Ei» von Peter Ghyczy selbst in der DDR Niederschlag fand) oder bunte Kunststoffwelten, sondern dokumentiert auch den Gegenpol, der sich mit der Arbeit der Ulmer «Hochschule für Gestaltung» herauskristallisiert hatte. Nach dem Rücktritt von Max Bill 1956 unterlag die Lehrinstitution Initiativen zur Verwissenschaftlichung der Gestaltung, die Bill - sprachlich entgleisend - als «technizistische Entartung» brandmarkte. Musterhaft für den neuen Kurs war die Zusammenarbeit von Hans Gugelot mit dem Elektrogerätehersteller Braun; zweifellos zählen die von Gugelot und Dieter Rams entworfenen silbrig-weissen Phonogeräte in ihrer technisch-eleganten Sachform zu den Design-Ikonen des Jahrhunderts. Die kubisch reduzierten Sessel aus glasfaserverstärkten weissen Polyesterschalen mit Polsterbezügen aus hellem Cordstoff, die Rams 1962 entwickelte, gehörten zur Ausstattung von Egon Eiermanns Bonner Abgeordnetenhaus, das - unbemerkt von der Öffentlichkeit - vor zwei Jahren geräumt wurde.

Auch andere Unternehmen nutzten eine avancierte Gestaltung für eine Corporate identity - das bekannteste Beispiel stellt zweifellos Olivetti dar, doch kann die Ausstellung auch mit einer Reihe von Unterhaltungselektronikgeräten der Firma Brionvega aufwarten, die Designer wie Marco Zanuso, Richard Sapper, Mario Bellini oder Achille und Pier Giacomo Castiglioni mit Entwürfen betraute. Dass die sechziger Jahre keineswegs durchgängig eine Zeit gestalterischer Extreme waren, verdeutlichen die «Plia»-Klappstühle von Giancarlo Piretti (1967) ebenso wie die Stapelboxen von Anna Castelli-Ferrieri (1969): Kunststoff als neues Werkmaterial verbindet sich hier auf das überzeugendste mit einem Systemdesign, das durchaus in der Logik der klassischen Moderne wurzelt.


[ Bis zum 24. April in Solingen, anschliessend im Focke-Museum, Bremen. Katalog: Positionen des Designs. Die 60er. Hrsg. Gerda Breuer, Andrea Peters, Kerstin Plüm. Wienand- Verlag, Köln 1999. 196 S., DM 45.- (in der Ausstellung). ]

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