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unterstützungsmöglichkeiten von mädchen bei der aneignung des öffentlichen raumes

Ein geschlechtsspezifischer Blick auf Wiens Parks und Plätze macht deutlich: Mädchen sind weit weniger häufig im öffentlichen Raum anzutreffen als Buben, die zusätzlich durch die Art des Spiels mehr Platz beanspruchen als Mädchen, die weniger raumgreifend spielen. Eine feministische Freiraumplanung kann Mädchen bei der Aneignung des öffentlichen Raumes unterstützen.

1. Februar 2000 - Susanne Staller
Ich möchte in diesem Artikel einen Ausschnitt meiner feministischen Praxis darstellen und erklären, was für mich feministische Freiraumplanung bedeutet. Die Diskussionen in der Planerinnengruppe FLUGS (vgl. Vagabundinnen – Gemeinschaft um den Küchentisch) sind für diese Praxis u. a. eine wichtige Grundlage. Als Beispiel möchte ich das Thema Mädchen im öffentlichen Raum herausgreifen, anhand dessen sich ein roter Faden durch meine Arbeiten der letzten Jahre zieht.

Mädchen im öffentlichen Raum

Mädchen erleben und nutzen den öffentlichen Raum grundsätzlich anders als Buben. Das hängt mit ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation zusammen. Mädchen identifizieren sich stärker mit der Mutter und haben daher auch eine stärkere Beziehung zu deren Aufenthalts- und Arbeitsorten. Mädchen erleben in unserer Gesellschaft Frauen, die oft zusätzlich zur Erwerbsarbeit für den Großteil der Hauswirtschaft und die Kinder zuständig sind, und an deren Aufenthalts- und Arbeitsorten Küche, Wohnung, wohnungsnahe Freiräume und Wege zum Einkauf etc. die Töchter häufiger spielen. Mädchen sind öfter für kleinere Geschwister verantwortlich, werden stärker in die Hausarbeit miteingebunden als ihre Brüder und haben daher weniger freie Zeit für sich. Hinaus gehen sie vor allem aufgrund konkreter Anlässe und mit bestimmten Zielen (vgl. Muchow, Muchow, 1935/1980, S. 11ff, Spitthöver, 1989, S. 71). Umgekehrt bedeutet das Rollenvorbild des Vaters für Buben, den Aufenthaltsraum der Mutter sobald sie können, zu verlassen. Für Buben ergibt sich daher ein größerer Bewegungsraum als für Mädchen. Sie bewegen sich nach dem Vorbild des Vaters selbstverständlich alleine in unbekanntes Gebiet.

Am Übergang zur Pubertät wirken sich verstärkt Ängste der Eltern vor sexuellen Übergriffen auf ihre Töchter und vor dem Blick der Männer auf den sich entwickelnden Frauenkörper einschränkend aus. Mütter übertragen oft ihre eigenen
„Straßenängste“ auf die Töchter, die sich daher vermehrt in vermeintlich sicheren Innenräumen aufhalten. Der Großteil der sexuellen Übergriffe passiert jedoch in vertrauten Innenräumen. Die besondere Obhut wird sehr leicht zu einer kontinuierlichen Diskriminierung (vgl. Rauschenbach, 1993), da sich Mädchen oft selbst nicht zutrauen, was ihnen nicht zugetraut wird. Die Räume der täglichen Nutzung sind besonders wichtig, um ein Sicherheitsgefühl zu entwickeln, das Voraussetzung für die Erkundung und Aneignung weiterer Räume ist. Für eine schrittweise Aneignung sind verfügbare private und öffentliche Freiräume von großer Bedeutung: Höfe, Vorgärten, Hausvorbereiche, Straßen und Gehsteige, die Platz für Spiel und Aufenthalt bieten sowie Spielorte und Treffpunkte, die an täglichen Wegen liegen. Dann kann jedes Mädchen je nach Persönlichkeit selbst bestimmen, wann sie welchen Aneignungsschritt setzt.

Räumliche Strukturen, die die Aneignung unterstützen

In einer Studie untersuchte ich gemeinsam mit Heide Studer und Anette Schawerda, wie die räumliche Organisation und Ausstattung die Raumaneignung von Mädchen unterstützen kann (vgl. Studer, Staller, Schawerda, 1997). Dabei kann Freiraumplanung einerseits vorhandene Nutzungen sichern und andererseits gute Bedingungen für weitere Aneignungsschritte schaffen. Anhand des Beispiels Kardinal Rauscher Platz im 15. Wiener Gemeindebezirk, auf dem sich überdurchschnittlich viele Mädchen aufhalten, zeigten sich wesentliche Prinzipien, die den Aufenthalt von Mädchen unterstützen.

Viele alltägliche Wege führen über den Platz. Durch die vielen unterschiedlichen NutzerInnen und die Orientierung von Fenstern, Geschäften und der Kirche zum Platz sind ständig viele Augen auf den Platz gerichtet, die soziale Sicherheit herstellen (vgl. Jacobs, 1963). Gleichzeitig bietet der Platz viele unterschiedliche Teilräume mit benutzbaren Grenzen und hat einen hohen Anteil an befestigten, vielfältig nutzbaren Flächen. Der Kirchplatz ist ein übersichtlicher Ort mit angrenzenden Rückzugsmöglichkeiten und doch durch seine unterschiedlichen Teilräume nicht von einer dominanten Gruppe besetzbar, wie das bei Ballspielkäfigen häufig der Fall ist. Die räumliche Ausstattung unterstützt Tätigkeiten, denen Mädchen aktuell im öffentlichen Raum gerne nachgehen wie Sitzen, Reden, Schauen, kleinräumiges Spiel in Gruppen. Brunnen- und Mauerstrukturen bieten geschlechtlich nicht konnotierte Bewegungsanreize für das Austesten von körperlichem Können als wichtige Vorrausetzung für die Raumaneignung (vgl. Pfister, 1993).

Das planerische Vorbild dieses Platzes haben wir in Form von prinzipiellen räumlichen Vorschlägen übersetzt (vgl. Studer, Staller, Schawerda, 1997). Diese müssen an jedem Ort neu überlegt und an die konkreten räumlichen und sozialen Voraussetzungen angepaßt werden. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, wie Mädchen sich im öffentlichen Raum unter herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen verhalten, welche Räume sie bevorzugt nutzen und welche Tätigkeiten sie ausüben. Daraus läßt sich ableiten, welche räumlichen Strukturen den Aufenthalt von Mädchen im öffentlichen Raum heute begünstigen. Diese sind umsetzbar und baubar. Es ist jedoch schwer zu sagen, welche Räume Mädchen unter anderen Bedingungen nutzen würden und welche Tätigkeiten sie noch gerne ausüben würden. Es gibt offensichtlich eine Diskrepanz zwischen dem, was sie tun und ihren Aussagen. In der Studie von Benard und Schlaffer äußerten Mädchen u.a. auch den Wunsch nach raumgreifenden Ballspielen. Dazu ist es nötig, die Spielregeln, die sozialen Konventionen, zu verändern. Mit jeder Veränderung der sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen verändern sich die Spielräume für Mädchen im öffentlichen Raum. Auch räumliche Strukturen, die die Raumaneignung durch Mädchen begünstigen, müssen jeweils mit diesen Bedingungen in Zusammenhang verstanden werden. Es ist daher nicht möglich, mädchengerechte Freiräume im Sinne eines Bausatzes zu beschreiben, um Qualitäten zu sichern. Die Voraussetzung dazu ist, daß Frauen und Mädchen, Planerinnen, Nutzerinnen und Jugendbetreuerinnen die Veränderung der Spielregeln und der räumlichen Strukturen Hand in Hand eigenmächtig gestalten.

Neue Nutzungsmöglichkeiten erkunden und ausleben

In einem anderen Projekt, das Heide Studer und ich gemeinsam mit der Parkbetreuung ins Laufen brachten, konnten wir ansatzweise verstehen, welches Potential an möglichen Nutzungen und Wünschen vorhanden ist, daß derzeit im öffentlichen Raum nicht beobachtbar ist. Im „Mädchengarten“ der Szene Wen, einem Veranstaltungslokal in Simmering, verändern Mädchen gemeinsam mit Jugendarbeiterinnen und Landschaftsplanerinnen seit Frühjahr 1998 langsam einen Garten. Geplant war die schrittweise Öffnung des Gartens, bei der Mädchen durch betreute Angebote einen Vorsprung bekommem sollten. Die räumliche Austattung des später öffentlich zugänglichen Ortes sollte gemeinsam mit den Mädchen bestimmt und hergestellt werden und so gleichzeitig ihre Identifikation und Aneignung fördern. Ausgehend von den Ergebnissen unserer vorangegangenen Studie war mit der Öffnung des hintersten Teiles der Langparzelle, an einem öffentlichen Rad- und Fußweg gelegen, auch eine Öffnung der blickdichten Grenze der Plakatwand in Überlegung, um die sichere Nutzung des Ortes für Mädchen räumlich zu unterstützen. Die Tätigkeiten und Veränderungswünsche der Mädchen wurden von Beginn an aufgegriffen und in der Umsetzung unterstützt. Die Angebote wie basteln, sägen, nageln, Verarbeitung von Pflanzen, Feuer machen, malen, Sträucher schneiden etc. wurden und werden begeistert angenommen und durch Eigeninterpretationen erweitert. Die Entscheidung, den Garten ausschließlich als Mädchen- bzw. Frauenort zu nutzen, trafen die Mädchen bei den ersten Treffen selbst. Die Grenze zur gemischtgeschlechtlichen Öffentlichkeit draußen stellte sich als Qualität für sie heraus. Buben und Männer wurden hinausverwiesen. Wenn die Mädchen unbeobachtet sein wollten, einfach die Tür zugemacht. Gezeigt hat sich ein völlig anderes Tätigkeitsspektrum als es in Parks von Mädchen zu beobachten ist. Der vorhandene Raum mit seinen Potentialen wurde offensiv in Besitz genommen, lustvoll verändert, bepflanzt und gepflegt. Die Früchte wurden geerntet, verarbeitet und die Produkte gemeinsam genossen. Körperliche Grenzen, z. B. beim Bauen und Klettern, ausgetestet und eigene Spielregeln für den eigenen Ort entwickelt und praktiziert. Das Beispiel zeigt, daß ein sozial sicherer Ort für Mädchen, einn Frauen- bzw. Mädchen-Ort, ein völlig anderes, von Mäd-chen gewünschtes Tätigkeitsspektrum sichtbar macht, als es im öffentlichen Raum beobachtbar bzw. abfragbar ist. Ebenso der Begriff der Öffentlichkeit ist hier zu relativieren, denn auch die Öffnung für eine Frauen- und Mädchenöffentlichkeit ist eine Öffnung des Gartens.

An diesem Beispiel wird die Bedeutung eigener Räume für Frauen und Mädchen deutlich, um eine neue Praxis zu entwickeln, die dann auch in den gemischtgeschlechtlichen Raum hineingetragen werden kann. Dazu ist allerdings viel Zeit und Kontinuität nötig, wie ein Nachmittag gezeigt hat, an dem auf Wunsch der Mädchen Buben eingeladen waren. Hier waren durch die gemischtgeschlechtliche Nutzung von einem Moment auf den anderen wieder die herrschenden Machtverhältnisse mitsamt den gängigen Verhaltensmustern eingezogen. Wie auch andere Projekte der Mädchenarbeit zeigen (vgl. Gruber, Staller, Studer, 1998) ist ein kontinuierliches Arbeiten über Jahre nötig, um ansatzweise Verhaltensänderungen im gemischtgeschlechtlich öffentlichen Raum zu bewirken. Die Zusammenarbeit von Sozialarbeit und Planung ist daher bei allen Projekten, wo es um die Raumaneignung geht, besonders wichtig, da räumliche Strukturen nur der materielle Rahmen für die Raumaneignung sind und eine Änderung der Spielregeln sozial hergestellt werden muß. Die räumlichen Strukturen sind dann entsprechend den gesellschaftlichen Verhältnissen mitzuverändern. Das heißt, daß derzeit gemischtgeschlechtlich genutzte Räume für die Unterstützung von Mädchen andere räumliche Strukturen erfordern als Mädchen- bzw. Frauenorte. Für die Raumaneignung von Mädchen bedeutet das, daß sie beides brauchen: Unterstützung im gemischtgeschlechtlich genutzten öffentlichen Raum als auch eigene Orte.

Macht- und Geschlechterverhältnisse verändern

Die Förderung der Nutzung des Öffentlichen Raumes muß auf mehreren Ebenen angegangen werden, da sich die Machtverhältnisse auch auf mehreren Ebenen zeigen. Eine Ebene ist die räumliche Organisation, die Mädchen das Raumnehmen erleichtern kann. Dafür ist es notwendig, eine schrittweise Aneignung von bekannten Orten aus zu ermöglichen, sozial sichere Orte und viele verschiedene Nutzungs- und Bewegungsangebote für Mädchen unterschiedlichen Alters, die die körperliche, geistige und soziale Entwicklung fördern, anzubieten. Weiters bedarf es ausreichend Platz, damit unterschiedliche NutzerInnengruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden sowie nutzungsoffener Orte für Eigeninterpretationen, die aktive Veränderung und Abenteuer zulassen. Eine solche räumliche Organisation ist einer von vielen Beiträgen zur Veränderung der Machtverhältnisse. Zusätzlich ist es nötig, Mädchen in Entscheidungsprozesse einzubinden und die Spielregeln der Nutzung des öffentlichen Raumes zu verändern. Dabei kommt uns Frauen eine wichtige Rolle als Vorbild zu. Eigene Orte für Mädchen spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und dem Austesten von anderen Verhaltensweisen, eine Gruppe wie z.B. eine Mädchenvolleyballgruppe bietet Rückhalt, diese langsam in den öffentlichen Raum zu tragen. Dabei ist es ebenso wichtig den Mädchen und auch den Räumen Zeit zu lassen, sich zu verändern. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen dazu setzt die Zusammenarbeit von PolitikerInnen und Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen wie der Kinder- und Jugendarbeit, den Sozialwissenschaften, der Psychomotorik und der Planung voraus. Zur Weiterentwicklung räumlicher Strukturen, die Mädchen in der Aneignung unterstützen sind ein Umdenken im Umgang mit öffentlichen Räumen sowie die entsprechenden finanziellen Mittel nötig, damit eine Veränderung von Macht- und Geschlechterverhältnissen möglich ist.

Literatur:
BENARD Cheryl, SCHLAFFER Edit (1997): Verspielte Chancen Mädchen in den öffentlichen Raum. In: Schriftenreihe Frauen, Band 5. Hg. MA 57 – Frauenbüro, Wien.
GRUBER Sonja, STALLER Susanne, STUDER Heide (1998): Mädchen Macht Raum. Studie im Auftrag der MA 57 – Frauenbüro. Wien.
JACOBS Jane (1963): Tod und Leben großer amerikanscher Städte. Berlin, Frankfurt/M, Wien.
LIBRERIA DELLE DONNE DI MILANO (1991): Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis. Berlin.
MUCHOW Martha, MUCHOW Hans Heinrich (1980): Der Lebensraum des Großstadtkindes. 1935 reprint. Bensheim.
PFISTER Gertrud (1993): Spiel- und Bewegungserfahrungen von Mädchen. In: Flade Antje, Kustor-Hüttl Beatrice (Hg.): Mädchen in der Stadtplanung. Bolzplätze – un was sonst? Weinheim.
RAUSCHENBACH Brigitte (1992/93): Jungen und Mädchen im öffentlichen Raum. In: FOPA (Hg.): Frei-Räume. Raum greifen und Platz nehmen. Sonderheft. Dortmund.
SPITTHÖVER Maria (1989): Frauen in städtischen Freiräumen. Köln.
Studer, Heide, Staller, Susanne, Schawerda, Anette (1997): Eins, zwei, drei, Tina saust vorbei. In: Schriftenreihe Frauen, Band 5, Hg. MA 57 – Frauenbüro, Wien.

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