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Ein Eden aus Zink, Beton und Kupfer
Spectrum

100 Sozialwohnungen in den Pariser Banlieus, jede mit einem anderen Gesicht: Intime Oasen sollen sie sein – und ihre Bewohner nichts weniger als glücklich machen.

3. Juli 2009 - Karin Tschavgova
Die „Grands Projets“ von Paris – seit Haussmann sind sie ruhmreicher Bestandteil nahezu jeder politischen Ära. Das aktuelle Megaprojekt mit dem Anspruch, den Rang der Metropole unter den europäischen Arbeits- und Wissensstandorten zu festigen, hat die Integration des Großraums von Paris in die Entwicklungsdynamik der Stadt zum Ziel. Dazu bedarf es einer Sanierung und Aufwertung der Quartiere in den Banlieus und der Öffnung der Ringautobahn, die als achtspurige Barriere Paris derzeit von den Umlandgemeinden trennt. Folgerichtig liegen die Entwicklungsschwerpunkte auf beiden Seiten des Boulevard Périphérique und müssen – „naturellement“ mit großen Namen wie Herzog & de Meuron architektonisch akzentuiert werden.

Der Pariser Architekt Édouard François ist mit einem Wohnungsbau im Auftrag der staatlichen Genossenschaft für sozialen Wohnbau dabei. Er hat es geschafft, sich international einen Namen zu machen, auch wenn er außerhalb Frankreichs bis jetzt nur einmal gebaut hat und sein OEuvre im Land nicht mehr als ein gutes Duzend Realisierungen aufweist. Schlagartig bekannt gemacht haben ihn sein Flower Tower, ein massiger Wohnblock mit einer sich dem Wind beugenden Umhüllung aus Bambus in riesigen Blumentöpfen, und das Facelifting des altehrwürdigen Hotels Le Fouquet's unweit der Champs Élysées.

Auch wenn der Architekt darauf besteht, dass das Spektakuläre keine Kategorie ist, die ihn interessiert, sind seine Entwürfe und Gebäude auffällige, mitunter artifiziell wirkende Gebilde, die ein beredtes Bild einer tendenziell skulptural geprägten Konzeption abgeben. Kein Wunder, dass das Centre Pompidou Édouard François' farbenfrohe Modelle als künstlerische Arbeiten sammelt.

Seine Bauten sind Einzelstücke, die wie jede gute Architektur immer wieder aus der Funktion und dem Ort heraus entwickelt werden. Unkonventionelles Neues entsteht, weil er sich jeder Bauaufgabe in der unabhängigen, unbeschwerten Art eines Künstlers nähert, zu der sich Humor und Provokation gesellen. Würze erhalten seine Häuser auch aus der spürbaren Lust ihres Autors, sich „Rohstoffe“ als Baumaterial anzueignen, die im Kontext des Bauens überraschend sind.

Was die meisten seiner Bauten eint, hat ihm, nicht wirklich zutreffend, den Ruf eines ökologisch bauenden Architekten eingebracht: Sie sind „grün“ – eingebettet in eine künstlich geschaffene Landschaft, eng umhüllt von Stauden, Sträuchern und Bäumen, die im Laufe der Zeit eine zweite, lebende Haut bilden und, bestückt mit Samen, die Mauerritzen und Vorgärten besetzen sollen.

Einiges davon findet man auch am Ende 2008 fertig gestellten Wohnbau, den der Architekt mehr als selbstbewusst „Bio Eden“ nennt. Es sind 100 Sozialwohnungen, die François dicht gedrängt hinter die Vorstadthäuser zweier paralleler Straßen im 20. Pariser Arrondissement setzt, wo früher Obstgärten waren. Er füllt die Hinterhöfe auf, schließt die vorhandene fragmentarische Bebauung und setzt Zeilen Rücken an Rücken an Bestand und Neues. Das ist nicht ungewöhnlich im Bezirk Ménilmontant; viele Straßen sind dort noch geprägt von der kleinteiligen vorstädtischen Bebauung, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts Juden aus Osteuropa beherbergt hat und heute von Asiaten und Maghrebinern bewohnt wird. Zwischen den Straßenfronten öffnen sich immer wieder schmale Gassen – Fußwege, nicht breiter als ein Mensch mit ausgestreckten Armen –, die zu kleinen grünen Oasen und gepflasterten Höfen mit Eingängen in abgewohnte Zinshäuser führen.

Hier, an einem Ort mit schäbigem Charme, der nie designt wurde, hat der Architekt Anleihen für die Bebauungsstruktur von Bio Eden genommen.

An den beiden Straßen ist nicht mehr als ein kleines Industrieglashaus zu sehen, in dem zwischen Weinranken Postkästen stehen. Durch das Gartentor und schmale Wege erschließt sich das Areal als intime Oase, in der die Autos ausgeblendet sind, weil die Einfahrt in die Tiefgarage von der Straße aus erfolgt. Schlanke, unterschiedlich hohe Häuser mit winzigen Vorgärten hinter dem losen Lattenzaun bilden die beiden Randzeilen. Haben sie drei Geschoße, so enthalten sie eine Wohnung; sind es vier, so befindet sich im Erdgeschoß ein minimales Studio und darüber eine Maisonette, die über eine Freitreppe betreten wird. Kupfer, Zink, Beton – jedes Haus hat eine andere Außenhaut, um unterscheidbar zu sein. Ein Band aus roten Ziegeln, das sich über die Dächer legt, soll das Ensemble zusammenhalten.

Ins Zentrum, vielleicht zehn Meter entfernt, setzt der Architekt einen langen, dem Geländeverlauf folgenden Block mit Flachdach und erschließt dessen Wohnungen, die alle beidseitig belichtet sind, über offene, parallel zur Fassade angeordnete Treppen von außen. Keine Eingangshalle, keine Gänge, kein Lift – warum auch, wenn man die Stimmung kleiner vorstädtischer Nachbarschaften anstrebt. Atmosphärisch wirksam soll auch der Pflanzenvorhang aus Glyzinien werden, den der Architekt für das zentrale Gebäude in Bio Eden konzipierte und der in einigen Jahren die Fassaden und Stiegenläufe verhüllen und den Bewohnern der kleinen Häuschen ein grünes Gegenüber schenken wird. Das dichte, jetzt noch nackte Stangengewirr, das die Assoziation mit einem primitiven Baustellengerüst hervorruft, soll in den nächsten Jahren von der Schlingpflanze überformt werden.

Das Harmoniebedürfnis des Architekten ist ausgeprägt. Er meint, dass die Bewohner seiner Häuser ein Recht darauf haben, glücklich zu sein, und ist überzeugt davon, seinen Anteil daran zu leisten. Die Moderne, in der er einen Ewigkeitsanspruch schon darin sieht, dass Glas, Stahl und Bronze bevorzugte Materialien waren, konnte dies in seinen Augen nicht erfüllen.

Der Wohnbau ist, bei aller Komplexität der Strukturen, eine Assemblage mit einfachen Mitteln und „armen“ Materialien, ganz so, wie sie in der Nachbarschaft Verwendung finden. Für Édouard François ist Bio Eden die angemessene Reaktion auf den Ort und den sozialen Wohnungsbau.

Aus Bio Eden spricht aber auch ein grundsätzlicher Entwurfsansatz des Architekten: Er macht lebende Gebäude. Die Tatsache, dass sie altern, Patina ansetzen und sich mit den Jahreszeiten verändern, nimmt er zum Anlass, die Veränderung schon in die „Gene“ eines Bauwerks einzuschreiben und so bewusst die Dimension der Zeit in seine Architektur einzubauen.

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