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Im Green Apple
Der Standard

Das neue New York wird grüner! Die letzten Beweise dafür: Der neue Highline Park, das Hotel „Standard New York“ und der Broadway Boulevard.

11. Juli 2009 - Tobias Moorstedt
An der Ecke von Washington Street und 12th Street beginnt die Twilight Zone. Im ersten Augenblick kann man nicht genau sagen, was es ist, aber etwas hat sich verändert. Die Wellenlänge des Sonnenlichts? Der Feinstaubgehalt der Luft? Der Schaufensterinhalt? Erst dann realisiert man, dass die Menschen in diesem Teil von New York nicht wie sonst überall in der Stadt manisch über den Bürgersteig hasten, sondern sich mitten auf der Straße auf einem Steinquader niedergelassen haben. Zwei Mädchen lassen ihre Shopping-Taschen und Kreditkarten für einen Moment ruhen. Ein Geschäftsmann legt den Blackberry zur Seite und setzt seine Sonnenbrille auf. Ein französisches Bistro komplettiert mit Sonnenschirmen und Baststühlen die Idylle. New York mag niemals schlafen, aber an dieser Straßenecke in West Chelsea ruht sich die Stadt zumindest ein bisschen aus.

Möglich machen das drei massive Steinpoller von rund 75 Zentimeter Höhe, mit deren Hilfe die Stadtverwaltung die 12. Straße zur Einbahnstraße und die einstige Kreuzung zu einem öffentlichen Platz gemacht hat. Ein kleiner Reiz nur, der im hochdynamischen NYC eine große Wirkung entfaltet - die Steinpoller sind Teil eines groß angelegten Plans von Bürgermeister Michael Bloomberg, die Stadt, ihre Straßen, Menschenströme und Informationsleitungen neu zu verlegen. Denn: Verkehrskollaps, Ressourcenmangel und Überhitzung bedrohen die Stadt der Gegenwart. „Das urbane Immunsystem“, sagt C. S. Kiang, Vorsitzender der Kommission „Cities and Climate Change“ des World Future Council, „ist überall auf der Welt durch den Klimawandel und die internationale Finanzkrise bedroht.“ Die Hafen- und Finanzmetropole New York ist von dieser Entwicklung besonders betroffen und soll laut Bloomberg nun zur „first environmentally sustainable 21st Century City“ werden.

Das Wahrzeichen dieses „New New York“ wird nicht mehr ein Stein- oder Stahlkoloss wie die Freiheitsstatue, Brooklyn Bridge oder das Empire State Building sein - oder wird zumindest zur Hälfte aus einem anderen Material bestehen, aus Gras, Blättern, Biomasse. Im Juni eröffnete an der Westside der Highline Park, ein gut zwei Kilometer langer und nur 20 Meter breiter Grünstreifen, der auf einer alten Industrie-Hochbahn angelegt wurde, und sich in zehn Meter Höhe in Richtung Uptown schlängelt.

Enge Wendeltreppen und breitere Zugänge führen von chaotischen Straße in den ruhigen Park. Man wandelt durch einen lichten Birkenwald und eine Stadtsavanne, blühende Zierobstbäume wechseln sich ab mit niedrigen Gräsern. Immer wieder entdeckt man auch Überreste der alten Schienen, eine Spur aus einer lange vergangenen Zeit. „Wir haben versucht, die industrielle Linearität und Pragmatismus der Bahn mit wilden Pflanzen zu kombinieren“, sagt James Corner, Leiter der Landschaftsarchitektenfirma Field Operations. Moos, wilder Wein und Blumen werden mit Stahl, Beton und Industriekies gemixt. Eine allzu liebliche Bio-Choreografie wäre im Meatpacking District, in dem Graffiti die Ziegelmauern schmücken, und es noch heute passieren kann, dass man beim Joggen auf Fleischabfälle tritt, nicht angebracht.

Der Park ist kein geschlossener Raum des puren Eskapismus, sondern bietet Ausblicke auf den Hudson River, die Back Alleys des alten Industrieviertels, die Penthouses, die sich auf den Dächern vor den Blicken der Normalsterblichen verstecken. Der Highline Park ist im New Yorker Alltag ein revolutionär anderer Wahrnehmungsraum: Allzu oft fühlt man sich sonst in NYC, als würde man durch Straßen gespült werden wie ein Wassermolekül durch einen Kanal. Und nur manchmal blitzt über den Mauern ein Himmelsfetzen auf. Wie die Ahnung von einer fernen Welt. Albert Camus schrieb dazu: „Manchmal dringt von jenseits der Wolkenkratzer das Pfeifen eines Schiffes in deine Schlaflosigkeit, und du erinnerst dich daran, dass diese Wüste aus Stahl und Zement eine Insel ist.“

Der Highline Park folgt natürlich auch einem Businessplan. Vier Milliarden Dollar werden in den nächsten Jahren entlang der Hochbahn investiert, neben einem neuen Gebäude des Whitney Museums entstehen auch Wohn- und Bürotürme sowie eine Reihe von Hotels, die von so bekannten Architekten wie Jean Nouvel, Annabelle Selldorf oder Renzo Piano gebaut werden. Bereits fertig ist das Hotel Standard New York, das auf der Höhe der 13. Straße über dem Park schwebt. Ein kantiger und gleichzeitig eleganter Korpus aus Beton und Glas, der auf drei schweren Pfeilern ruht - eine kühle Schönheit, zwischen Fluss und Himmel. Die Firma Polshek Partners hat den massiv-schwerelosen Turm für den Hotelmagnaten André Balazs entworfen, der auch das Mercer in SoHo und das Chateau Marmont in Los Angeles betreibt.

Balazs ist bekannt dafür, dass er mit Möbeln, Farben und Accessoires eine Geschichte erzählt, diesmal ließ er sich von den 60er-Jahren beeinflussen, eine Zeit der großen Visionen, wie er meint, eine Zeit, in der die Zukunft noch am Leben war. Auch der Hotelquader, der an eine geknickte Zigarettenschachtel erinnert, orientiert sich in Materialität und Linienführung an der funktionalen Moderne. Balazs sagt einen alten Satz: „Wir bauen hier die Stadt der Zukunft.“ Anders als die Planer der 60er-Jahre will er jedoch den Menschen nicht aus dem Blick verlieren: „Ein gutes Hotel ist der Anker einer Gemeinde. Das Herzstück.“ Das Standard New York ist kein abgeschlossener Raum, sondern öffnet sich mit einem öffentlichen Platz vor der Lobby, dem Zugang zum Park und einer spektakulären Bar im 19. Stock für den urbanen Kontext.

New York ist, neben seiner Existenz als reale Stadt, immer auch ein urbanes Labor, in dem neue Lebensformen getestet werden, bevor sie sich über Funkhäuser, Airports und Tiefwasserhäfen in alle Welt verbreiten. Michael Bloomberg hat 2007 das ambitionierte Konzept „PlaNYC 2030“ vorgestellt, einen Masterplan, der der Stadt zwischen East River und Hudson eine Zukunft mit einem effizienten Verkehrssystem, sauberer Luft und lebenswerten Lebensräumen verspricht. Bloomberg schlug 127 Maßnahmen vor, von Erweiterung der Radwege über Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Hybridautos bis zur Kultivierung von Miesmuscheln in den Flüssen. Mit einigen besonders radikalen Projekten wie der City Maut oder dem autofreien Samstag ist er bereits gescheitert (Grün ist in New York auch immer noch die Farbe des Greenback, des Dollar-Scheins).

Vor zwei Wochen aber sperrten Polizisten mit roten Kegeln und gelbem Plastikband den Broadway am Times Square, zwischen 42th und 47th Street. Kein Staatsbesuch war der Grund, sondern die Totalschließung des hektischsten und hellsten Ortes der Welt. „Das ist ein entscheidender Schritt, den Verkehr zu verringern und attraktive Stadträume zu schaffen, die das Geschäft beleben“, sagte die Transportkommissarin Janette Sadik-Khan, eine ehemalige Fahrradaktivistin. Wenn sich das Experiment bewährt, soll der Times Square für immer eine Fußgängerzone bleiben. Bereits vergangenes Jahr wurde der Broadway am Herald Square um zwei Spuren verschlankt und so Platz geschaffen für einen Radweg und eine Promenade mit Tischen, Stühlen und Pflanzen. „Broadway Boulevard“ nennt sich das Projekt - was zum einen eine tautologische Qualität besitzt, zum anderen zeigt, dass Bloomberg und Sadik-Khan beim Re-Design die europäische Stadt fest im Blick haben.

Suburbanisierung von NYC

Eine Woche nach Schließung oder Öffnung der Kreuzung (da kommt es auf die Perspektive an) stehen manche New Yorker noch unschlüssig auf der Asphaltfläche und versuchen sich in dem neuen Raum zu orientieren, entdecken Details, die man im Vorüberhasten nicht erkannt hat, lassen sich auf einem von 500 Liegestühlen nieder. Aber nicht alle sind zufrieden. Frank Liranzo zum Beispiel, ein Organisator von Bustouren, fürchtet einen finanziellen Verlust. „Sehen Sie“, sagt er, und zeigt auf eine Gruppe von Touristen, die in der Sonne sitzen: „Sie entspannen sich. Ich will aber nicht, dass sie sich entspannen. Sie sollen in den verdammten Bus einsteigen.“

Der Times Square, das Epizentrum der Postmoderne, Neonfeuer, Kommerzwahn und Verkehrsstau, als begrünte Fußgänger- und Komfortzone, komplett mit Straßencafés, Sonnenblumen und eitlen Flaneuren? Nicht alle Debatten- und Verkehrsteilnehmer können sich mit dem Gedanken anfreunden. Ernsthaft wurde auch die Frage diskutiert, ob die Entstopfung und Entschleunigung von New York nicht den speziellen Geist der Stadt, den Genius Loci, vertreiben würde, den Rem Koolhaas 1974 in seinem furiosen Manhattan-Manifest Delirious New York beschrieben hatte; dass eben die Kultur und Realität der absoluten Verdichtung das Alleinstellungmerkmal der Stadt sei. Kohlhaas hatte sich im letzten Jahr mehrfach über die „Suburbanisierung von Manhattan“ geäußert, welche die Stadt hemmen würde.

Vielleicht bestimmt wirklich der Stein das Bewusstsein? Oder muss man den Funken von New York nicht doch eher im Menschen suchen, bei den New Yorkern, jener harten, kreativen und superschellen humanen Subspezies, die, wie John Updike sagte, der Meinung sind, dass jeder Mensch, der irgendwo anders lebt als in New York, nicht ganz dicht sein kann.

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