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Zwischen Utopie und Realität
Der Standard

Weit gespannte Zelte, konstruktive Experimente: Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt zeigt, was es mit dem Pavillon alles auf sich hat.

22. August 2009 - Alexander Kluy
Eine vierblättrige Blüte? Eher doch ein Kleeblatt. Wirklich ein Kleeblatt? Oder doch ein Papierflieger? Viele Assoziationen löst dieser kleine Bau aus. Anfang September wird im Battery Park ein vom Amsterdamer Architekten Ben van Berkel entworfener Pavillon eröffnet (ab Dezember ist er öffentlich zugänglich), den die niederländische Regierung zum 400. Geburtstag Nieuw Amsterdam schenkt. Jener Stadt also, die heute besser bekannt ist unter ihrem Zweitnamen New York. Das Bauprojekt von van Berkels und Caroline Bos' UN Studio, das in den ersten Skizzen noch einem Papierflieger glich und in der Ausarbeitung immer stärker zum vierfach auslappenden Blütenblatt wurde, trägt den Namen „New Amsterdam Plein & Pavillion“ und wird die Pieter Minuit Plaza ergänzen. Als „Freiluft-Wohnzimmer“ soll es dienen und dürfte rasch zum Tagestreffpunkt werden für all jene, die die Fähre nach Staten Island nehmen. Auch nachts wird man es nicht verfehlen. Dank einer LED-Fassade wird dieser Pavillon aus wiederverwertbaren Materialien in wechselnden Farben erstrahlen.

Doch er ist ein Paradox, ein Hybrid. Soll er doch zur permanenten Einrichtung werden. Und so wird er das Vergängliche, Vorläufige und Nomadische aufheben und verlieren, was den Bautypus Pavillon ureigentlich auszeichnet. „Der Pavillon“, so Barry Bergdoll, Chefkurator des Museum of Modern Art und Professor für Architekturgeschichte an der Columbia University, „war als ein höchst privater Ort entstanden und war gleichzeitig sowohl ein unabhängiger, selbstständiger Bereich als auch Teil der ganzheitlichen Vorstellung von der Natur als einem Zufluchtsort, wo man den Konventionen der Zivilgesellschaft und den Zwängen der königlichen beziehungsweise adeligen Gesellschaft entkommen konnte.“

Die Frankfurter Kunsthistorikerin Kerstin Bußmann ergänzt: „Was zuerst dem elitären Geschmack diente und durch seinen innovativen Charakter überzeugte, gleichzeitig auch die Lustbarkeiten der internationalen High Society dokumentierte, wurde schließlich zum großstädtischen Phänomen. Freilufttheater, Pavillons in den Bade- und Kuranlagen sowie die architektonisch an die ferne Herkunft der Tiere erinnernden Unterstände in zoologischen Gärten, Treibhäuser, aber auch die Musik- und Aussichtspavillons in öffentlichen Parkanlagen folgten dem Unterhaltungsverlangen der Zeit.“

Ihnen springt Peter Cachola Schmal bei, der Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main und Kurator der Schau über den Pavillon. „Kein anderer Bautyp“, meint Schmal, „ermöglicht so grundsätzliche Aussagen auf kleiner Fläche und ist zudem oft nur von kurzer Dauer, was für den Entwurf von großem Vorteil ist.“ Konterkariert dies aber selbst durch seine Ausstellung. Die zugleich die erste ist, die die Finanzkrise verhinderte. Und im Umkehrschluss den Auslöser lieferte.

Denn eigentlich wollte Schmal heuer zum 25-jährigen Bestehen seines Hauses am Schaumainkai einen richtigen Pavillon bauen lassen. Vom deutsch-amerikanischen Architekturbüro Frank Barkow und Regine Leibinger aus Berlin, assistiert vom Stuttgarter Ingenieurbüro Werner Sobeks. Aufgestellt sollte dieser biomorphe transparente Bau im Garten des benachbarten Museums für Angewandte Kunst. Weit gediehen waren schon die im Frühjahr 2008 begonnenen Planungen für den Glasbau, der an einen unregelmäßig eingedrückten Bagel erinnert - im Loch in der Mitte sollte ein vorhandener großer Baum stehenbleiben -, der mit teils bedruckten, teils unbedruckten Glasschindeln bedeckt sein sollte. Die wiederum, eine konstruktive Weltpremiere, via Klettverschluss an den digital gebogenen Metallrohren angebracht sein sollten.

Doch im Oktober vergangenen Jahres sprangen über Nacht alle Sponsoren, zumeist Großbanken, ab. Gezeigt wird nun, als melancholisches Memento mori und zugleich mit abgeklärter funkelnder Ironie, ein kleiner Ausschnitt: fünf Rohre des 1:1-Modells. Dazu aus der universitären Forschungstätigkeit Frank Barkows mehrere Arbeiten für avancierte Pavillonvariationen in den USA, Computeranimationen und Materialstudien. Sowie Studentenmodelle exemplarischer, beispielgebender Pavillonbauten aus den letzten 80 Jahren. Denn die von Ben van Berkel geleitete Postgraduate-Architekturklasse des anderen Nachbarn, der Städelschule, einer Kunsthochschule, widmet sich seit einiger Zeit der Erforschung des Pavillons.

Das ganz andere Bauvorhaben

Was hat es nun mit diesem auf sich? Ist er das ganz andere Bauvorhaben, weil nicht für die (halbe) Ewigkeit gebaut? Beatriz Colomina: „Die größte Stärke des Pavillons ist immer die Möglichkeit, dass er ebenso schnell wieder verschwindet, wie er gekommen ist.“ Und die New Yorker Architekturtheoretikerin weiter: „Dadurch müssen die Ziele neu abgesteckt werden und neue Forderungen nach Verbindungen entstehen: zwischen dem, was man zunächst als utopisch betrachtet hat, und dem, was nun eine plausible, gebaute Realität geworden ist.“

Tatsächlich ist der Pavillon, noch im 18. und 19. Jahrhundert ein Lusthäuschen und je nach Mode mal à la chinoise, dann wieder eklektizistisch japanisch oder historistisch, ein Experimentiertypus par excellence. Architekten, Le Corbusier mit seinem Pavillon de l'Esprit Nouveau 1925 oder Frei Otto 1967, Sverre Fehn mit dem Pavillon der Nordischen Länder in Venedig 1962 oder Ende der Sechzigerjahre Richard Buckminster Fuller mit seiner astro-geodätischen Kuppel für die Montréaler Weltausstellung, haben im kleinen kontrollierbaren Maßstab ausprobieren und vorwegnehmen können, was sich anderswo in ihrem OEuvre wiederfindet. Gewagte Materialkombinationen. Weit gespannte Zelte. Konstruktive Experimente. Avantgardistische Transparenz. Maximales Ausreizen der Innen-außen-Bezüge. All das reichte, um ikonisch zu werden. Etwa Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon aus dem Jahr 1929. Der damals Objekt seiner selbst war. In dem nie etwas ausgestellt werden sollte. Der reine Architektur war. In jüngster Zeit widerfuhr Ähnliches Diller + Scofidios „Blur Pavillon“ auf der Schweizer Expo 2002 oder auch dem Londoner David Adjaye mit seiner Widerlegung der Grundprinzipien des Pavillons als Schaustück, Schauplatz, Schaustation, dem „Your Black Horizon Pavillon“ auf der Biennale von Venedig 2005, einem fensterlosen, schwarz ausgeschlagenen Kubus, eine Black Box im Wortsinn, in der eine Videoarbeit lief.

So ist der Pavillon, gleichermaßen Projekt wie Projektion, „immer ein Raum für Fantasien gewesen“ (Barry Bergdoll). Manchmal auch für Fantasien, die die seiner Planer überstiegen.

So kaufte der Landschaftsarchitekt Frederick Law Olmsted 1876 den Landespavillon Schwedens auf der Weltausstellung in Philadelphia auf und wandelte ihn für den New Yorker Central Park um zum Marionettentheater. Dass Ben van Berkel mit seinem Jubiläumspavillon mehr Fortüne haben wird, ist wahrscheinlich. Schließlich ähnelt sein Bau letztlich doch einem Kleeblatt, einem vierblättrigen.

[ „Der Pavillon. Lust und Polemik in der Architektur“. Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main. Bis 20. September. Der Katalog (Hatje-Cantz-Verlag) kostet im Museum € 24,80. ]

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