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„Wir wollen nicht geschwätzig sein“
Der Standard

Die Architekten Baumschlager & Eberle haben im Flug den Westen erobert. Jetzt werden sie voraussichtlich den neuen Flughafen in Schwechat bauen. Damit stehen die Vorarlberger vor ihrem größten und gefährlichsten Abenteuer, der Einnahme des Wilden Ostens Österreichs.

8. April 2000 - Ute Woltron
Keine Frage, die beiden sind die Könige. Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle regieren souverän eines der vielen Reiche, die es in der Welt der Architektur gibt. Die Grenzen ihres Landes heißen Ökonomie und Ökologie, Nachhaltigkeit der Mittel und Wirtschaftlichkeit, und alles, was sich innerhalb dieses abgesteckten Rahmens bewegt, beherrschen die beiden Vorarlberger perfekt.

Den Auftrag für den großangelegten Ausbau des Flughafens in Wien Schwechat haben sie zwar noch nicht schriftlich in der Tasche - deshalb reden sie auch noch überhaupt nicht gerne über das Megaunternehmen - doch einem frisch-fröhlichen Vorpreschen ihrer Schweizer Projektpartner Itten+Brechbühl ist es zu verdanken, dass nun öffentlich ist, was die Flughafenbetreiber in Aufsichtsratssitzungen und Vorstandsbesprechungen bereits so gut wie beschlossen haben. „Wir glauben eigentlich schon, dass der Vertrag spätestens Anfang Mai unter Dach und Fach ist“, sagt der Leiter der Flughafen-Pressestelle Hans Mayer, „Eine umfassende Präsentation des Projekts wird gefühlsmäßig irgendwann im Juni stattfinden.“

Für das Architekturbüro Baumschlager & Eberle wäre das der bisher prominenteste und gewaltigste Auftrag. Bis 2015 wird der gesamte Flughafen um rund 30 Milliarden Schilling (inklusive Infrastrukturmaßnahmen und dritter Piste) ausgebaut, und auch an den Flughafengebäuden wird nicht gespart. Um rund 8,9 Milliarden soll eine neue Anlage entstehen, die mittels einer großzügigen Bebauungsklammer auch den zur Zeit reichlich verhutzelten Flughafenbestand zu einem großen Ganzen zusammenspannt. Soweit die programmintensive Zukunft.

Doch auch die Vergangenheit der mittlerweile vierzehnjährigen Zusammenarbeit der beiden Architekten war außerordentlich produktiv. Gemeinsam planten und realisierten sie bisher an die 250 Objekte, was einem Output entspricht, den andere Architekten in ihrem ganzen langen Arbeitsleben nicht erreichen. Fast alle diese Gebäude befinden sich dabei im westlichen Bundesgebiet, in Tirol und in Vorarlberg, sowie im südlichen Deutschland.

Angesichts dieser mörderischen Produktivität und der mustergültigen Gewissenhaftigkeit, für die das ausgezeichnet beleumundete Büro bekannt ist, ist es auf's äußerste verwunderlich, dass die beiden im Osten Österreichs noch so gut wie nichts gebaut haben.

Das liegt natürlich vor allem daran, dass die architekturklimatischen Bedingungen von Wien und Vorarlberg sich etwa so gleichen wie das Politklima im Frankreich vor und nach der großen Revolution. „Im Osten“, sagt Carlo Baumschlager ganz ganz vorsichtig, „da ist es schon ziemlich anders.“ Das bringen natürlich nicht nur die gesetzlich verankerten unterschiedlichen Bauordnungen mit sich, sondern vor allem die hier architekturbestimmenden Unterströmungen und Personen. Während die tolle Bauherrenschaft Vorarlbergs das Land hinauf und hinunter gelobt wird, verröcheln ambitioniertere Bauunterfangen in den östlichen Landesniederungen oft schon in den Vorzimmern diverser Hof-, Senats- und anderer Räte oder kommen mit brutalen Verstümmelungen zur Welt.

Die sehr gerade, sehr direkte, kühl-sachliche Zugangsweise der beiden Architekten, die sich auch in ihren Bauten widerspiegelt, passt irgendwie gar nicht hierher. Was natürlich nicht heißen soll, dass alle Architekten des Ostens geschraubte Kompliziertler sind, doch die Kollegen hier haben gemeinsam mit manchen Auftraggebern über die Jahrzehnte und nach vielen Umschiffungen magistratischer Architekturuntiefen und politischer Charybden die abgeklärte Erfahrung zernarbter Walrosse gewonnen. Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle, die Architekturkönige aus dem klimatisch begünstigten Westen, schauen vergleichsweise unverbraucht aus.

Unter ihren 250 realisierten Gebäuden sind viele Wohnbauten, diverse Industriearchitekturen, einige Villen, ein Kraftwerk, Schulen, Hotels und Pfarrzentren - mit anderen Worten jede Menge Bauaufgaben, die unterschiedlichste Anforderungen an Architekten richten. Sie alle wurden souverän und mit größtmöglicher Sorgfalt gelöst.

Die Namenskombination Baumschlager & Eberle ist zum Begriff und zu einem Markenzeichen geworden. Sie steht für schnörkellose Sauberkeit, für rasch gut Gebautes, für wenig Scherereien und zufriedene Bauherren. Sie steht nicht für Kunst oder Sensation oder für die Erforschung neuer Raumstrukturen. Ausflüge in diese Gebiete überlassen die Vorarlberger anderen, wagemutigeren Gemütern. Sie setzten lieber auf makellose Rechenaufgaben, auf reibungsfreie Bauabläufe und zur Genügsamkeit erzogene Häuser, die ihren zufriedenen Betreibern und Benutzern über viele Jahre hinweg Heiz- und Betriebskosten sparen helfen.

Bekannt wurden sie vor allem durch ihre innovativen, sehr preisgünstigen und energietechnisch ausgeklügelten Wohnbauten. Wie eignet man sich als Architekt ein derartiges bauphysikalisches und technologieorientiertes Know How an? „Vor allem durch sehr viel Arbeit“, sagt Baumschlager.

Die beiden begannen bereits mit den verschiedensten Energie- und Wärmesystemen für Häuser zu experimentieren, als noch die Postmoderne tobte und keine Rede von Niedrigenergiehäusern und dergleichen war. Im Laufe der Jahre, so Baumschlager, habe man diese Wissenschaft „wie Forschungstreibende immer weiter entwickelt und perfektioniert“. Auch die klare, unverkennbare Formensprache ihrer Architektur ist das Ergebnis ständiger Forschung und Verbesserung, denn viele Details und Bausysteme wurden immer wieder ein gesetzt und dabei ständig optimiert. „Wir wollen nicht geschwätzig sein“, lautet das Credo, „Die Qualität eines Gebäudes kann man auch daran erkennen, was es nicht hat.“

Da eine derartige Masse an Aufträgen für ein relativ kleines Büro nicht allein abwickelbar ist, werden Partnerschaften und Kooperationen eingegangen. Doch hier hat die Bürogemeinschaft, die an zwei Standorten insgesamt 25 Leute dirigiert, nun eine unsichtbare Grenze erreicht. Die „lockere Atelierform“ soll demnächst umstrukturiert, ein strafferer Arbeitsablaufstandard, „vergleichbar der ISO-Zertifizierung“ (Baumschlager), eingerichtet werden. Architektur als knallhart strukturiertes Business, einer der vielen Wege, die Architekten einschlagen können, für den Auftraggeber sicher einer der interessantesten. Carlo Baumschlager und Dietmar Eberle sind die perfekten Gebrauchsarchitekten. Sie erfüllen das Ideal des Berufes, sie arbeiten hochmodern, effizient und gut. Sie sparen ihrem Auftraggeber Zeit, Geld und Nerven, und wenn man ihnen bei der Erklärung ihrer Architekturen zuhört, dann fragt man sich schon, warum nicht mehr Leute in dieser schönen Zunft so professionell arbeiten.

Denn dass eine architektonisch gute Hülle nur über einer strukturell und technisch perfekten Fülle Sinn macht, ist selbstverständlich. Die Rahmenbedingungen sind es bedauerlicherweise nicht. []


[ Ö1 bringt heute in „Diagonal“, im Rahmen der Sendereihe „Zeitgenossen“, ein ausführliches Porträt von Baumgartner & Eberle. Beginn 17h05. Gestalter Wolfgang Kos. ]

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