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„Möbel, die mobil sind“
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„Gefällig“ sollte er sein und „brauchbar“, vor allem aber „erschwinglich“: der „einfache Hausrat“ für die „minderbemittelten Kreise der Bevölkerung“. Josef Frank, Adolf Loos und die Wohnkultur des Roten Wiens: ein Streifzug.

3. Oktober 2009 - Eva B. Ottillinger
Im Jahr 1916 wurde im Auftrag des k. k. Ministeriums für öffentliche Arbeiten ein Wettbewerb ausgeschrieben, „um der armen Bevölkerung in kriegsbetroffenen Gebieten gute, gefällige, brauchbare und preiswerte Typen für neu anzufertigenden Hausrat zu bieten“. Es entstand das vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie herausgegebene Vorlagenwerk „Einfacher Hausrat“ mit mehr als 50 Möbelentwürfen von Oskar Strnad, dem Hoffmann-Schüler Karl Hagenauer und dem Tessenow-Schüler Franz Schuster. Bei den Entwürfen waren bäuerliche und englische Möbelformen vorbildlich. Im Vordergrund sollten die Verwendung „billiger, weicher Holzarten in massiver Form“ sowie „einfachste Herstellungsmethoden“ stehen. Weiters musste „unter den leitenden Grundsätzen vor allem jener hervorgehoben werden, der die Schaffung bestimmter, einzelner Möbeltypen, nicht zusammenhängender Möbelgruppen anstrebt, welche ein Einrichtungsganzes schaffen“. Die Möbelvorlagen wurden von kleinen Tischlereien und Fachschulen ausgeführt und bei der Ausstellung prämiert.

1920 zeigte das Österreichische Museum unter dem Titel „Einfacher Hausrat“ erneut eine Ausstellung „über den derzeitigen Stand der Wohnungsreformbewegung“ in der jungen Republik Österreich. Im Hauptsaal wurden Pläne und Entwürfe von Siedlungen gezeigt, in den Seitengalerien 48 „arrangierte Interieurs für den auf sparsamste Raumausnützung angewiesenen Arbeiter und Mittelständler“. Carl Witzmann, ein Hoffmann-Schüler und nun selbst Professor für Allgemeine Formenlehre an der Kunstgewerbeschule, hatte die Ausstellung zusammengestellt. Er entwarf weiß lackierte Möbel für ein Speisezimmer und ein Schlafzimmer. Die Möbel sind in der Form zwar einfach, wurden vom Architekten aber als zusammengehöriges „Einrichtungsganzes“ gestaltet. Anders die von Josef Frank gezeigten Räume eines von ihm errichteten Hauses der Arbeitersiedlung in Ortmann, das „samt kompletter Einrichtung bloß 100.000 Kronen“ kostete, „eine Summe, die – vor allem bei ratenweiser Bezahlung – auch für die minderbemittelten Kreise der erwerbenden Bevölkerung erschwinglich wäre“. Die Wohnküche und das Schlafzimmer waren mit leichten Einzelmöbeln eingerichtet, deren Vorbilder jenen des Vorlagenwerkes entsprachen.

Diese Kreationen von einfachen und preisgünstigen Einrichtungsgegenständen waren zwar sozial motiviert, wandten sich jedoch nur an Arbeiter und Angestellte, die über ein regelmäßiges Einkommen und eine eigene Wohnung verfügten. Dies war keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Das Heranwachsen Wiens zu einer modernen Metropole und der Bauboom der Ringstraßenzeit waren begleitet vom Entstehen der „Zinskasernen“ in den Vorstädten, wo Familien in Zimmer-Küche- oder Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnungen mit kaltem Fließwasser (Bassena) und Abort am Gang lebten. Neben den zahlreichen Familienmitgliedern waren „Bettgeher“ in den beengten Wohnungen eine Selbstverständlichkeit.

Adolf Loos schilderte 1903 die Wohnverhältnisse einer Arbeiterfamilie in seiner Zeitschrift „Das Andere“ unter dem Titel „Wie der Staat für uns sorgt“ so: „Sehen wir uns diese familie näher an. Vater, mutter und so und so viele kinder. In dem zimmer wird gekocht, gegessen und geschlafen. Abends und im laufe der nacht kommen die schlafburschen und schlafmädln. Es gibt leute, die sich darüber streiten, ob und wann die kinder über die funktion der fortpflanzung aufgeklärt werden sollen. Für das proletariat sind solche fragen ,blech‘. Mit den funktionen der fortpflanzung werden die kinder genau so bald vertraut gemacht wie mit den funktionen der verdauung.“

Eine Alternative bot die Idee der „Gartenstadt“, die im Wiener „Cottage“ zunächst nur bürgerlichen Kreisen zugute kam. In der von Heinrich Tessenow mitgeplanten Gartenstadt in Dresden-Hellerau war dieses Wohnkonzept auch für Arbeiter zugänglich.

Nach den ersten allgemeinen Wahlen bekam Wien 1919 eine sozialdemokratische Regierung, und unter Bürgermeister Jacob Reumann wurden die Sozialprogramme des Roten Wiens entwickelt. Der Anwalt Gustav Scheu, ein Mitinitiator des Mieterschutzgesetzes, wurde Reumanns Berater in Wohnbaufragen. Er bestellte Max Emers zum Siedlungsreferenten, der ein Siedlungsamt aufbauen sollte. Hans Kampffmeyer, der bereits 1908 ein Gartenstadtkonzept für Wien propagiert hatte, wurde 1920 Leiter des Siedlungsamtes der Stadt Wien.

Gustav Scheu konnte 1921 Adolf Loos zur Mitarbeit gewinnen. Loos wurde Chefarchitekt des Wiener Siedlungsamtes und plante die Siedlung „Friedenstadt“ in Lainz sowie weitere in Hirschstetten und am Heuberg. Dabei entwickelte er das Konzept für ein „Haus mit einer Mauer“, das er patentieren ließ. Als Gestalter von Wohnungen und Einfamilienhäusern hatte Adolf Loos seit 1900 den fixen, raumgenauen Einbau von Kastenmöbeln propagiert und diese als Teile der Wand behandelt. 1924 formulierte er diese Gestaltungsmaxime auch im Hinblick auf die Einrichtung von Siedlungshäusern so: „Liebe freunde, ich will euch ein geheimnis verraten: Es gibt keine modernen möbel! Oder um es präziser zu sagen: nur die möbel, die mobil sind, können modern sein. Die wände eines hauses gehören dem architekten. Hier kann er frei schalten. Und wie die wände auch die möbel, die nicht mobil sind. Sie dürfen nicht wie möbel wirken. Sie sind teile einer wand und führen nicht das eigenleben der unmodernen prunkschränke.“

Die praktische Umsetzung dieser Idee lag in den Händen einer jungen Architektin: Margarete Lihotzky hatte bei Oskar Strnad an der Wiener Kunstgewerbeschule Architektur studiert und beschäftigte sich mit der Planung von Arbeiterwohnungen. Sie wurde bald selbst Teil der Siedlerbewegung und arbeitete mit Adolf Loos zusammen. 1923 plante sie das Kernhaus Typ 7, das bei der fünften Wiener Kleingarten-, Siedlungs- und Wohnbauausstellung am Wiener Rathausplatz in Originalgröße ausgestellt war. Das Kernhaus verfügte im Erdgeschoß über eine Wohnküche mit Herd und Essplatz sowie eine Kammer und eine Spülküche mit anschließendem Abort. Im Mansardengeschoß befanden sich die Schlafräume. Die Wohn- und Schlafräume wurden mit typisierten und raumgenau angepassten Einbauschränken eingerichtet. Für die Sitzecke entwarf Lihotzky auch den Tisch und die leichten Stühle, die eine weitere Vereinfachung der von Strnad 1916 für den „Einfachen Hausrat“ entworfenen Modelle darstellten.

Die besondere Funktion und Bedeutung der Wohnküche erläuterte sie in ihren Erinnerungen so: „Jedes Einfamilienhaus sollte ein klares Zentrum haben. Dieses Zentrum war naturgemäß der Platz, wo sich die Familie versammelt. Die Siedlerfamilie bestand damals im Durchschnitt aus vier bis fünf Personen. Sie versammelte sich beim Essplatz, der aber keineswegs nur zum Essen diente. Hier wurde gewohnt, hier wurde gelebt.“ Darüber hinaus beschäftigte sich die junge Architektin mit Fragen der Rationalisierung des Haushalts und entwickelte eine Einbauküche, die bei der vierten Wiener Kleingartenausstellung 1922 zu sehen war. Aufgrund dieser vielfältigen praktischen Erfahrungen im sozialen Wohnbau erhielt Margarete Lihotzky 1926 die Einladung, am Wohnbauprogramm des „Neuen Frankfurt“ mitzuarbeiten. Hier sollte 1927 die berühmte „Frankfurter Küche“ entwickelt werden.

Adolf Loos verließ bereits 1924 das Wiener Siedlungsamt infolge von Differenzen über ein von ihm vorgeschlagenes Terrassenhausprojekt. Der Siedlungsbau ging jedoch weiter. Franz Schuster, Schüler von Heinrich Tessenow an der Wiener Kunstgewerbeschule und danach sein Mitarbeiter in Dresden-Hellerau, war in Wien 1923 bis 1925 Chefarchitekt des Österreichischen Siedlungs- und Kleingartenverbandes. Gemeinsam mit Franz Schacherl plante er unter anderem die Siedlung „Am Wasserturm“ in Wien-Favoriten.

1923 kam es mit der Einführung einer zweckgebundenen Wohnbausteuer auf Luxusgüter durch den Wiener Finanzstadtrat Hugo Breitner zu einer Wende im kommunalen Wohnbau Wiens. Neben den Siedlungen traten nun Gemeindebauten in Form von großen Wohnhöfen in den Vordergrund. Diese neuen Wohnhöfe waren großteils traditionelle Ziegelbauten, was Arbeit für das Baustoff- und das Baugewerbe bedeutete. Sie verfügten über begrünte Innenhöfe, die sich von den kleinen Hinterhöfen der „Zinskasernen“ deutlich unterschieden. Die Wohnungen bestanden aus Wohn- und Schlafraum. Mit Küche hatten sie 48 Quadratmeter, mit Kochnische nur 38 Quadratmeter. Sie verfügten durchwegs über einen Wasseranschluss, einen Gasherd und ein eigenes WC. Ein Badezimmer für jede Wohnung erwies sich als zu teuer und wurde durch öffentliche Badeanstalten („Tröpferlbad“) ersetzt.

Franz Schuster stellte genaue Überlegungen zur zweckmäßigen Einrichtung von Volkswohnungen an und präsentierte 1927 in der „Kunstschau“ im Wiener Künstlerhaus ein Musterzimmer mit Kochnische. Im selben Jahr publizierte er anhand dieses Beispiels eine Studie über „Eine eingerichtete Kleinstwohnung“. Er ging vom Standardtyp der Wiener Volkswohnung mit Wohnküche und Schlafraum aus. Für die Kochnische entwarf Schuster funktionelle Einbauschränke. Der Wohnbereich sollte mit einem Esstisch, drei Stühlen und einem Liegesofa, das als Kinder- oder Gästebett dienen konnte, eingerichtet werden. Wichtig war Schuster ein Spielzeugschrank für das Kind. Im Schlafzimmer war neben den Betten und weiteren Schränken auch ein Waschtisch zu finden, da in Wien Badezimmer erst nach dem Zweiten Weltkrieg zum Standard des kommunalen Wohnbaus gehörten. Ein Kleinkind sollte sein Gitterbett in einer Nische des Kleiderschrankes haben, später konnte hier ein weiterer Schrankteil eingesetzt werden.

Für Franz Schuster war die Farbigkeit der Räume ein wichtiges Gestaltungselement. In Vorzimmer, Wohnraum und Kochnische sollten seiner Vorstellung nach die Wände in Weiß, im Schlafzimmer jedoch in hellem Zitronengelb gestrichen werden. Die Küchenschränke, der Spielzeugschrank und die Wohnzimmerschränke sollten in Hellgrün, der Kinderhocker sowie der Blumentisch in Orange und die Betten in Hellblau lackiert werden. Die übrigen Möbel sollten die natürliche Farbigkeit des Holzes behalten.

1927 ging auch Franz Schuster nach Deutschland, wo er als Privatarchitekt am Wohnbauprogramm des „Neuen Frankfurt“ mitarbeitete und 1929 sein „Aufbaumöbel“-Programm entwickelte. 1937 kehrte er an die Wiener Kunstgewerbeschule zurück, wo er bis 1967 die Fachklasse für Architektur leitete. In der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 blieb er den sozial motivierten Einrichtungsideen treu und wirkte am Möbelprogramm „Soziale Wohnkultur“ mit.

Die Wohnbaukonzepte des Roten Wiens wurden 1927 in der Ausstellung „Wien und die Wiener“ im Messepalast (dem heutigen Museumsquartier) vorgestellt. Die Architekten Josef Frank, Oswald Haerdtl und Josef Hoffmann präsentierten Mustereinrichtungen für Volkswohnungen. Bei der von Architekt Ernst Lichtblau geleiteten Beratungsstelle für Wohnungsreform („Best“) hatten die Mieter von Volkswohnungen zudem die Möglichkeit, sich über Einrichtungsfragen persönlich beraten zu lassen.

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