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Grubenmanns Brücken
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Schweizer Holzbrücken trugen im 18. Jahrhundert zur Weiterentwicklung des Brückenbaus bei. Die damals neuen Spreng- und Hängewerke erreichten grössere Spannweiten als die Jochbrücken, die bis dahin (und später erneut) gebaut wurden. Die Zimmererdynastie Grubenmann aus Teufen trug zur Blüte und zum internationalen Ruf des Schweizer Brückenbaus bei, allen voran Hans Ulrich Grubenmann.

16. Oktober 2009 - Andreas Müller, Hanspeter Kolb
Hans Ulrich Grubenmann wurde am 23. März 1709 in Teufen AR als jüngster Sohn von Ulrich Grubenmann geboren. Er wuchs in einer Umgebung auf, die von Zimmermannstradition geprägt war. Fast alle seine männlichen Verwandten und Bezugspersonen waren Bau- oder Zimmermeister. Nach kurzem Schulbesuch lernte er das Handwerk seiner Vorfahren und Brüder. Nebst einer gründlichen beruflichen und handwerklichen Ausbildung in familiärer Umgebung müssen dem jungen Grubenmann wohl auch eine grosse Begabung, viel Gefühl für statische Zusammenhänge und ein ausgeprägtes Selbstvertrauen mitgegeben worden sein. In der damaligen Zeit gab es kaum Möglichkeiten, sich theoretisches Wissen anzueignen. Entsprechende Ausbildungsstätten oder Fachbücher waren nicht vorhanden. Der Weg zur Meisterschaft führte über Learning by Doing und das Lernen aus den Bauten und Erfahrungen anderer. Offensichtlich war Grubenmann ein Mensch, der dies gut konnte. Er war äusserst kreativ und hatte den Mut, an Grenzen zu gehen oder diese auch zu überschreiten. Wie viel er durch Ausprobieren herausfand und lernte, ist heute schwer zu sagen. Tatsache ist, dass es damals üblich, ja obligatorisch war, von den zu bauenden Brücken ein massstäbliches Modell zu bauen. Von Grubenmann wird die berühmte Anekdote erzählt, dass er sich selbst auf das Modell seiner Rheinbrücke in Schaffhausen stellte, um die Ratsherren von der Tragfähigkeit seines Entwurfs zu überzeugen. Hans Ulrich Grubenmann war schon zu Lebzeiten legendär, aber nicht unumstritten. Was Konkurrenten über ihn dachten, ist nicht dokumentiert. Seine Auftraggeber trauten ihm jedenfalls nicht vorbehaltlos.

So stiess sein Entwurf für eine freitragende Brücke über den Rhein bei Schaffhausen mit damals sagenhaften 119 m Spannweite auf erbitterten Widerstand. Da half auch die erwähnte Demonstration nichts. Grubenmann erhielt zwar den Auftrag, wurde jedoch verpflichtet, den von der Vorgängerbrücke stehen gebliebenen Mittelpfeiler zu benutzen (Abb. 1–3). Wie weit sich Grubenmann an diese Auflage hielt, war lange umstritten. Dass er bei der Eröffnung der Brücke mit dem Ausspruch «Da habt ihr euren Pfeiler, aber ich habe meine Brücke» die Keile unter dem Auflager weggeschlagen haben soll, gehört wohl ins Reich der Legenden. Zahlreiche Reisende und Gelehrte der damaligen Zeit kamen nicht umhin, die gewaltige und doch elegante Brücke zu bestaunen und den «einfachen Zimmermeister» als Genie zu rühmen. Das wohl aussergewöhnlichste Werk Grubenmanns traf jedoch das gleiche Schicksal wie acht andere seiner Brücken: Die französischen Truppen zerstörten es 1799 im Krieg gegen Österreich, um ihren Rückzug zu sichern. So existieren heute nur noch zwei Brücken von Hans Ulrich Grubenmann, die Kubelbrücke und die Tobelbrücke über die Urnäsch in der Nähe von Herisau AR.

Konstruktion und Tragwerke Spreng- und Hängewerkbrücken wurden im 18. Jahrhundert auch «Schweizer Sprengwerkbrücken » genannt. Werner Blaser beschreibt sie so: «Mehrfache Streben-Spannriegelzüge vereinten sich zu stabilen Tragwerken mit hohen Steifigkeiten, in denen sich die Kräfte gleichmässig verteilten.»[1] Hans Ulrich Grubenmann hat diesen Brückentyp durch seine Konstruktionen wie kaum ein anderer beeinflusst und damit wesentlich zum internationalen Ruf der Schweizer Holzbrücken beigetragen. Heute sind elf von ihm entworfene Brücken bekannt. Sie haben Spannweiten zwischen 29 und 61 m. Vorbilder mit grossen Spannweiten gab es nur wenige, da bis dahin fast nur Jochbrücken gebaut wurden wie zum Beispiel die Kappelbrücke in Luzern von 1365.

Als junger Zimmerer konnte Grubenmann sicher von der Martinsbrücke mit 30 m Spannweite profitieren, die Zimmermeister Falk 1468 bei St. Gallen über die Goldach baute.[2] Sie war eine der ersten weitgespannten Holzbrücken und laut Josef Killer die erste Spreng- und Hängewerkbrücke überhaupt.[3] Die Brücke mit der grössten Spannweite aus der Zeit vor Grubenmann dürfte die Limmatbrücke beim Landvogteischloss Baden von 1650 mit einer Spannweite von 38 m sein. Grubenmann baute seine erste Brücke mit 33 Jahren 1743 über die Linth bei Ziegelbrücke GL (Abb. 6). Von der Konstruktionsart und der Spannweite ist wenig bekannt. Auf Bildern ist zu erkennen, dass sie durch einen Mittelpfeiler im Fluss unterstützt war. In überlieferten Texten ist aber auch die Rede davon, dass die Bauherren die Limmatbrücke in Baden AG als Wunschvorstellung genannt haben könnten. Grubenmanns bekannteste Brücke ist die von 1755 bis 1758 gebaute Rheinbrücke in Schaffhausen. Der in verschiedenen Abhandlungen detailliert dargestellte Bau besteht aus zwei Spreng- bzw. Hängewerken, die 52 und 59 m weit von den Widerlagern zum Mittelpfeiler spannen (Abb. 2–3). Dieser stammt von der steinernen Vorgängerbrücke. Zusätzlich hat Grubenmann ein drittes Sprengwerk über die gesamte Länge eingebaut – vermutlich ein Relikt aus seinem ursprünglichen Entwurf, der eine 119 m weit gespannte Brücke ohne Pfeiler vorsah (Abb. 5). Auch später wurden trotz weiterentwickelten Techniken und Möglichkeiten in der statischen Nachweisführung keine solchen Spannweiten mehr gebaut.

Grubenmanns Kühnheit wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass es eine seiner ersten grossen Brücken war. Sogar der Verdacht der Selbstüberschätzung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Unter diesem Gesichtspunkt kann man die Schaffhauser Ratsherren gut verstehen, die den Mittelpfeiler forderten. Durch diesen Befehl ergab sich ein Knick im Grundriss über dem Auflager. Damit war die Brücke auch tatsächlich auf den Pfeiler angewiesen, denn durch den Knick wären sonst hohe Umlenkkräfte in Querrichtung der Brücke entstanden. Gut sind im Modell die trägerrostförmigen Dia gonalfachwerke sowohl in der Gehbahnebene als auch in der Dachverbandsebene zu erkennen (Abb. 4). Gut ausgebildete und leistungsfähige Windverbände und eine sehr gute Queraussteifung der Gesamtkonstruktion zeichnen alle Brücken Grubenmanns aus.

Vom Stabpolygon zum Bogen Bei seiner 1764/65 erstellten Brücke über die Linth bei Ennenda GL verwendete Grubenmann ein dreiteiliges Trapezhängewerk über acht Felder (Abb. 7). Dieses verstärkte er durch ein einfaches (Dreieck-)Hängewerk in der Mittelachse und angrenzende Trapezhängewerke über die drei verbleibenden Endfelder. Mit diesen zusätzlichen Tragsystemen wurden die Lasten der Gehbahn in jeder Achse aufgenommen und in das Haupttragwerk eingeleitet. In beiden Endfeldern wurde die Gehbahn noch mit weiteren Streben nach unten gegen die Widerlager abgestützt.

Um grössere Spannweiten zu erreichen, entwickelten die Baumeister Grubenmann das Stabpolygon zum leistungsfähigeren Bogen weiter. Beispielhaft dafür ist die Limmatbrücke beim Kloster Wettingen (1765–1766) mit 61 m Spannweite (Abb. 8). Grubenmann konstruierte sie als Bogenbrücke mit Hängesäulen in Kombination mit Abstrebungen der Gehbahn gegen das Widerlager an den ¼-Punkten. Den Bogen setzte er aus sieben übereinander gelegten, sehr gut verzahnten und verschraubten Balken zusammen. Es wird vermutet, dass die Ende des 15. Jahrhunderts erbaute Holzbrücke über die Sitter ihm als Vorbild für diese Konstruktionsart diente. Dort waren erstmals zusammengesetzte, gebogene Bauteile verwendet worden. Josef Killer lobt die von Grubenmann veredelte Konstruktion für ihre hohe Steifigkeit: «Zeichnung und Modell zeigen deutlich, dass die Verzahnung und Verschraubung so gut ausgeführt wurden, dass fast mit dem vollen Trägheitsmoment gerechnet werden konnte.»[4] Laut Blaser verwendete er dazu mechanisch gebogene Kanthölzer.[5] Diese Bauweise wurde später bis zu den heute bekannten Bogenkonstruktionen aus Brettschichtholz weiterentwickelt. Bei der Linthbrücke Netstal (1766–1768) verwendete Grubenmann erneut ein polygonzugartiges Hängewerk mit jeweils in den Achsen abgeknickten Streben (Abb. 9–10). Nur in den mittleren drei Feldern, wo der bogenartige Polygonzug sehr flach verläuft, wird die Tragstruktur durch Streben etwas versteift.

Wer heute auf den Spuren Hans Ulrich Grubenmanns wandeln will, kann dies auf den beiden noch verbliebenen Brücken bei Herisau tun (Abb. 11–13). Die 29 m weit gespannte Urnäschbrücke von 1778 zwischen Hundwil und Herisau hat Grubenmann mit einem zweiteiligen Stabpolygon über fünf Felder konstruiert. Die im Vergleich zu seinen andern Brücken stark ausgedünnte Konstruktion wird durch die mit eingezogenen Diagonalen verstärkte Schalung versteift. Man kann den auch hier sehr sorgfältig ausgebildeten gekreuzten Windverband in der Gehbahnebene gut erkennen. Die 30 m weit gespannte Kubelbrücke über die Urnäsch zwischen Stein und Herisau von 1780 ist fast baugleich. Auch hier wird die Haupttragkonstruktion mit einem zweiteiligen Stabpolygon über fünf Felder durch die mit eingezogenen Diagonalen verstärkten Schalung versteift. Nachdem die französischen Truppen 1799 die meisten der berühmten weitgespannten Holzbrücken des 18. Jahrhunderts zerstört hatten, wurden ab 1800 wieder eher Jochbrücken mit kürzeren Spannweiten oder Kombinationen von Joch- und Spreng- bzw. Hängewerken erstellt. Ein Beispiel ist die 1804 gebaute Brücke über die Aare bei Wangen BE, die heute als Geh- und Radweg genutzt wird (Abb. 14). Hans Ulrich Grubenmann musste das Ende seiner Bauwerke nicht mehr miterleben; er starb 1783.

Brückenschlag in die Gegenwart Grubenmann war Zimmermeister und kein Ingenieur. So hat er für die Bemessung seiner Bauten sicher keine statischen Berechnungen durchgeführt. Das war zur damaligen Zeit eine normale Vorgehensweise. Die Wahl der Querschnitte und die Dimensionierung basierten auf seinen Erfahrungen. Er beobachtete seine gebauten Brücken in der späteren Nutzung sehr genau, um Schwachstellen zu identifizieren und um seine Konstruktionen weiterzuentwickeln. Dass einige seiner Brücken «singende Brücken» genannt wurden, deutet darauf hin, dass einzelne Bauteile bis an ihre Grenzen belastet waren und die Tragstruktur durch Lastumlagerung räumlich beansprucht wurde. Natürlich ging dies mit grossen Verformungen einher, dennoch waren Grubenmanns Konstruktionen durch die aussergewöhnlich guten Queraussteifungen sehr robust.

Was würde wohl heute aus einem Talent wie Hans Ulrich Grubenmann? Er könnte sich an einer Hochschule ein grosses theoretisches Wissen aneignen, seine praktische Begabung und sein statisches Gefühl aber vielleicht nicht in dem Mass entwickeln, wie es zu seiner Zeit möglich war. Damals wurde konstruiert und kaum gerechnet. Grubenmanns Kreativität und sein Mut, an Grenzen zu gehen und diese gar zu überschreiten, brauchen Ingenieurinnen und Ingenieure aber auch heute, wenn sie bei den heutigen Normen und Vorgaben aussergewöhnliche Bauwerke schaffen wollen.
Anmerkungen:
[1] Werner Blaser, Othmar Birkner: Schweizer Holzbrücken. Birkhäuser, Basel 1982
[2] Eugen Steinmann: Hans Ulrich Grubenmann. Niggli, Niederteufen und Schläpfer, Herisau 1984
[3] Josef Killer: Die Werke der Baumeister Grubenmann – Eine baugeschichtliche und bautechnische Forschungsarbeit, Zürich 1942 (PDF auf http:// e-collection.ethbib.ethz.ch/view/eth:20590)
[4] ebd.
[5] wie Anm. 1

Weitere Literatur:
Josef Killer: Die Werke der Baumeister Grubenmann. 3. Auflage. Birkhäuser, Basel 1985
Rosemarie Nüesch-Gautschi: Baumeister Hans-Ulrich Grubenmann von Teufen, Teufener Hefte 4, Tschudi, Druck u. Verlag, Glarus 1985
Christian von Mechel: Plan, Durchschnitt und Aufriss der drey merkwürdigsten hölzernen Brücken der Schweiz. Basel 1803

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