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Dunkel, schwer, streng
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Ein Misanthrop und radikaler Konservativer mit vielen Feindbildern. Und doch. Was macht die Faszination des Adolf Loos aus? Ein Blick in Neuerscheinungen.

6. Februar 2010 - Iris Meder
Ein Kulturmensch sieht nicht mehr zum Fenster hinaus; sein Fenster besteht aus Mattglas; es ist da, um Licht zu spenden, nicht um den Blick hinausschweifen zu lassen.“ – Fenster dienten Adolf Loos als Mittel effektvoller Lichtregie. Die meisten Menschen sind ratlos bis enttäuscht, wenn sie sich zum ersten Mal in einer Loos-Wohnung aufhalten: dunkel, schwer, streng und rigide in der Axialität und starren Festlegung der Funktionen, auf sich selbst zentriert mit all den verschrobenen, düsteren Sitznischen, unpraktisch mit all dem Auf und Ab der ewigen Stufen, konservativ die massiven Stilmöbel, die Steinverkleidungen, die Holzvertäfelungen. Wie anders letztlich als die luftigen, hellen, leichten und immer wie improvisiert wirkenden Gartenzimmer eines Josef Frank. Man muss das mögen, oder vielmehr: Man muss es nicht mögen. Worin besteht aber die anhaltende Faszination des großen Misanthropen, die uns allein im letzten Jahr drei dicke neue Publikationen beschert hat?

Hierzulande scheint man es vielfach tatsächlich nicht recht zu wissen. Erst vor ein paar Monaten hat die Bank Austria leichtherzig ihre 1914 von Loos als Zentralsparkasse eingerichtete Filiale in der Mariahilfer Straße zugesperrt. Die Zukunft des denkmalgeschützten Geschäftslokals mag man sich lieber nicht ausmalen. Im Dezember schloss das mit mehreren Millionen Euro vor ein paar Jahren aufwendigst rekonstruierte Café Museum. Nichts mehr mit einem neu aufgelegten „Café Nihilismus“ also, zu wenige besetzten die Loos'schen Thonetstühle. Nun überlegt man, den seinerzeit vom – ausgerechnet! – Josef-Hoffmann-Schüler Josef Zotti gestalteten Zustand von 1930 wiederherzustellen. Gelegenheiten zum Erwerb von Loos-Villen ließ die öffentliche Hand ebenso konsequent wie hartnäckig an sich vorbeiziehen, sodass architekturinteressierte Wien-Reisende Loos-Interieurs heute nur in Form der aus seiner Wohnung aus- und im Wien Museum eingebauten Kaminnische sehen können. Alternativen zu einer Reise in die Pension „Alpenhof“ nach Payerbach oder nach Prag, wo das 1930 von Loos für František und Milada Müller gebaute Haus als Museum zu besichtigen ist, bieten in Wien, neben zwei Räumen in der Musiksammlung der Wien Bibliothek und der halböffentlichen Zimmerflucht eines Vereinslokals, lediglich die Filiale der Raiffeisenbank im Haus am Michaelerplatz und die wohnküchengroße Loos-Bar, die sich immerhin gut hundert Jahre nach ihrer Eröffnung großer Beliebtheit erfreut.

Als bewohnte, genutzte Räume bildet in diesem Sinne der opulente Bildband von Ralf Bock und dem Fotografen Philippe Ruault Loos' Interieurs ab. Gerade darin liegt, neben einem untrüglichen Gefühl für Raumproportionen, wohl ihre größte Stärke: Nutzungen nicht nur aufzunehmen, sondern zu verlangen, im Gegensatz zu Loos' Feindbildern von der Wiener Werkstätte bis zum Bauhaus, bei denen ein falsch gekleideter, Sessel aus der Achse rückender Mensch, ein altes Bild an der Wand, ein abgeschabtes Möbelstück die Harmonie der Wohnzimmer gewordenen Utopie permanent bedrohen konnten. In seinem Textteil schreibt Bocks monografisch angelegter Band im Wesentlichen die überkommene Hagiografie fort, nicht ohne teils mehrfach vorkommende lange Zitate aus Loos' Schriften, die noch von ausführlichen Paraphrasierungen begleitet sind. Mehrfach sind Namen falsch geschrieben, was das Buch leider mit dem ansonsten hervorragend recherchierten zweisprachigen Katalog zur Prager Loos-Ausstellung von 2008 gemeinsam hat.

Der tschechische Katalog ist eine echte Bereicherung der Loos-Forschung, nicht zuletzt in der genauen Dokumentation der teils erstaunlich gut erhaltenen Pilsner Wohnungseinrichtungen von Loos. Hier, in den Umbauten der teilweise auf unattraktiven Werksgeländen stehenden Industriellenhäuser, machte er Ernst mit den Milchglas- oder Japanpapier-Fenstern, die er als Isolationsschicht vor die banalen Rausschau-Scheiben stellte. Ganz klar, es ist nicht die puristische „weiße Moderne“, um die es hier geht. Ein radikaler Konservativer, geistesverwandt mit Karl Kraus, huldigt beharrlich seinem Ideal von materialisierter Wahrheit und findet dabei eine treue Klientel inklusive seiner, nach Lina und Elsie, dritten Frau Claire. Private Familienfotos und persönliche Dokumente bereichern die Baudokumentation um das zentrale Kapitel der Auftraggeber. Leider endet für das Buch deren Geschichte mit der Bauausführung. Von der Enteignung und Emigration eines großen, der Ermordung eines kleineren Teils von Loos' Bauherren, auch seiner Frau Claire, erzählt das Buch nichts.

Der hervorragenden Forschungsarbeit der Prager und Brünner Institutionen steht, man muss es leider sagen, in einigen Wiener Sammlungen eine finanzielle Aushungerungspolitik gegenüber, die die Forschung weitgehend lähmt. So bleibt es dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter der Leitung von Ákos Moravánszky vorbehalten, den dritten der neuen Loos-Bände zu liefern. Großteils von Nachwuchsforschern werden Einzelbauten beziehungsweise Einzelthemen wie Spiegel im Werk von Loos oder dessen Nietzsche-Bezüge behandelt, aber auch – immer noch ein Desiderat – zumindest ansatzweise die Werke seiner Schüler wie etwa seines treuen Mailänder Jüngers Giuseppe de Finetti.

Die Verehrung der Loos-Schüler für ihren sexistischen, unfairen, egozentrischen und manchmal boshaften Meister war immens. Heinrich Kulka, Loos' Bürochef und Trauzeuge, meinte: „An den Kreuzwegen, denen ich in meiner Arbeit begegnet bin, hat mir der Geist von Loos immer den rechten Weg gewiesen“; Paul Engelmann bekannte demütig, er habe „von Kraus, nicht zu schreiben; von Wittgenstein, nicht zu reden; von Loos, nicht zu bauen“ gelernt. Loos-Schüler sein hieß einer lebenslangen Gemeinschaft angehören.

Der Feindbilder waren viele im Loos'schen Weltbild: Secession, Licht von zwei Seiten, Zwetschkenknödel, Designer-Likörgläser, Einbrenn und falsch angenähte Knöpfe; zu den letzten verbürgten klaren Worten des Delirierenden gehörte die Warnung an seine Krankenschwester: „Hüten Sie sich vor Josef Hoffmann!“ Trost boten englische Anzüge, Potaufeu, Josephine Baker, Melanzani und ab und zu der heute ausgestorbene „Feingespritzte“ – mit Soda aufgespritzter Champagner. Vielleicht sollte ihn die Loos-Bar, neben dem Longdrink „Lina Loos“, wieder auf die Karte setzen.

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