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Lamborghini im gotischen Laubengang
Der Standard

Modernes Design ist in Bozen augenfällig - aber auch Kapitel verpönter Architekturgeschichte.

6. März 2010 - Robert Haidinger
Tür auf! Aha, klar: Kandinsky. Kein Gemälde, sondern ein Holzschnitt, immerhin sind wir in Südtirol. Tür zu. Weiter den Flur mit den cremefarbenen Wänden entlang. Bei Zimmer 311 hat das Zimmermädchen die Klinke gedrückt: Kubin fährt hier mit Bleistift auf dem Papier Kutsche. Wie Spiralen drehen sich die Räder im Grau - vermutlich einen späten Herbsttag erwischt. Zimmer 213: ein Kokoschka zum Cocoonen, auch nicht schlecht.

Luigi Veronesis Werke, dessen Abstraktionen ein wenig an die Möbel des Mailänder Designers Achille Castiglioni erinnern, hängen gleich dreimal im Hotel herum. Das tun auch jene von Kolo Moser, Arnulf Rainer, und das freundliche Zimmermädchen, das eigentlich aus Messina stammt, aber hier im Norden die Bettwäsche macht und also nicht nur in Italien und im Bozener „Hotel Laurin“ herumkommt, sondern auch in der Kunstgeschichte. Zweihundert Gemälde und Skulpturen machen das Grand Hotel, das heuer seinen runden Hunderter feiert, so auch für viele andere zum spannenden Startpunkt einer Bozen-Promenade.

Schlendert man die Stufen des „Laurin“ Richtung Waltherplatz hinunter, macht Bozen dort weiter, wo die gegenwärtige Kulturoffensive des Grand Hotels aufhört. Architekt Boris Podrecca, in Bozen so eine Art Style-Masterplaner, hat im nahen Designerhotel Greif soeben die neue Bar „Grifoncino“ eingerichtet. Wenige Schritte weiter verbinden sich Alpen und Apennin: gotische Laubengänge, neben denen Lamborghini parken. Saisonale Schuhmode, die auf die zeitlose Härte des traditionellen Schüttelbrotes trifft. Auf dem Dach der Kathedrale leuchtet indessen Bozens jüngste Investition: ein farbiges, neues Ziegelmosaik, für das die tiefschwarze Gemeinde noch gar nicht einmal besonders lange sammeln musste. Der Popstar aus der Eiszeit, Ötzi, wurde bereits vor Jahren zum zweiten Mal konserviert, wovon man sich im nahegelegenen Archäologiemuseum überzeugen kann. Und dann tritt noch einmal moderne Architektur auf: das 2008 eröffnete Museion - Museum für moderne Kunst - saugt wie ein Glasprisma Facetten der Umgebung auf. Am Abend verwandelt die Projektion eigens entwickelter Arbeiten die eindrucksvolle Fassadenfläche in ein leuchtendes Ufo zwischen Altstadt und Talferer Grün.

Aber Bozen hat auch einen blinden Fleck. Einen, den Kurzbesucher häufig übersehen. Er lautet: „Duce“ statt Dolce. Und wenn es schon klarer sein muss: Muse mit Mussolini. Das wird - ja durchaus verständlich - nicht wirklich vermarktet. Und trotzdem: Das „andere Bozen“ hält ein weit aufgeschlagenes Lehrbuch einer verpönten Spielart der Moderne bereit, die den Reiz der geschniegelten Stadt durchaus erhöht. Ab Mitte der Zwanzigerjahre wählte das faschistische Italien Bolzano zum architektonischen Schauplatz eines imperialen Muskelspiels - das zugleich asketische Züge der internationalen Moderne trägt.

Wer Meilensteine des damals revolutionären Razionalismo-Stils sehen möchte, muss dazu das Bozen der handpolierten Äpfel und der Fashion-Lauben kurz hinter sich lassen. Der Weg führt über die Ponte Talfera alias Talferbrücke, und dreht man sich auf der Mitte angekommen um, ragt das erste Beispiel des damals revolutionären Baustils bereits am Altstadt-Ufer auf. „Cassa di Risparmio“ steht darauf zu lesen. Und gleich groß darunter: „Sparkasse“. Um einen Neubau handelt es sich dabei allerdings nicht. Sondern um einen radikalen Umbau, der dem ursprünglich im bayrischen Barockstil errichtetem Haus modernistische Travertin-Glätte plus vergrößerter Fenster aufzwang.

Geht man von hier den Siegesplatz und die Italien-Straße hinunter, lassen sich weitere politisch verbrämte Klassiker in einen zehnminütigen Spaziergang einbinden. Radikal sachlich, dem deutschen Bauhaus verwandt, bevor dort und da antikisierendes Beiwerk ideologische Abgründe verrät, sehen die hohen Arkaden und leicht wirkenden Bauten aus. Und hakt man die Institutionen ab, die Mussolini exemplarisches Bauen wert war, meint man fast ein Lehrstück in Sachen heutiges Cavaliere-Italien vor sich zu sehen: Justizpalast, Finanzamt, Sportstadion, Armeequartier, als Draufgabe wählte der „Duce“ Lido Badeanstalt statt Reality-TV - mehr Staat als Travertin-Modul geht auch heute nicht.

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