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Eine Welle der Musik über Amalfi
Der Standard

Die Amalfi-Küste ist um eine Attraktion reicher - der Konzertsaal von Oscar Niemeyer stieß in Ravello jedoch anfangs auf massive Opposition

10. April 2010 - Gerfried Sperl
Wer vor der Amalfi-Küste auf einem Ausflugsschiff sitzt, sieht weit oben im Hang das Bauwerk - wie das Mittelstück eines bei Flut gestrandeten Wals - und im Fernglas eine weite Öffnung. Von innen ermöglicht dieses hinter dem Orchester platzierte Auge den Blick auf das Meer. So wie die Besucher auch während der Sommer-Konzerte im 200 Meter entfernten Rufolo-Garten die Dämmerung und die Nacht des Meeres erleben können.

Bei näherer Betrachtung kann das 400 Plätze fassende Konzerthaus auch wie eine Welle gesehen werden. Eher flach ansteigend, dann stark abfallend - mit einer weiß gestrichenen Betonfläche, die in kleinerer Form bei vielen aus der arabischen Architektur stammenden Dachflächen dieser Gegend zu sehen ist.

Da man um den felsigen Untergrund wusste, lagen die Kostenüberschreitungen bei einer dreijährigen, durch zwei Schneewinter erschwerten Bauzeit angeblich bei nur 20 Prozent. Angesichts der vielen Sprengungen und der gewaltigen Fundamentierung eine reife Leistung. Vor allem wenn man (bei allerdings anderen Dimensionen) auf die 300-prozentigen Kostenüberschreitungen bei der Hamburger Elbphilharmonie blickt. Wir sind in Italien.

Von welcher Seite man das Baukunstwerk auch betrachtet - die Ansichten sind spektakulär, manchmal sogar anschmiegsam, in jedem Fall geglückt. Vor allem die aus dem Hang kragende Längsseite gibt dem Niemeyer-Bau etwas wagemutig Experimentelles.

Wer mit dem Auto aus Neapel kommt, nimmt das Gebäude gleich am Ortsanfang wahr. Denn was hierzulande selten geschieht, ist in Ravello verwirklicht: eine gute Straßenanbindung, eine Garage für 80 Autos und vor dem Eingang zum Auditorium ein riesiger Platz für Pausenpalaver und begleitende Feste.

Darunter ein Vortragssaal sowie Proben- und Umkleideräume, dazu die Administration. Begleitgebäude bieten einen Bookshop, zwei kulinarische Zentren, wo auf den Glasflächen Entwurfszeichnungen und sehr poetische Skizzen mit Frauenfiguren festgehalten sind. Der 102-jährige Niemeyer war bisher nicht in Ravello, er ließ sich durch Filme inspirieren und am Ort von seinem Co-Architekten José Carlos Süssekind vertreten.

Ende Juni, wenn die offizielle Eröffnung stattfindet, soll der Meister endlich auch persönlich nach Italien kommen. Regierungschef Berlusconi hat sich bereits angekündigt.

Knapp vor Ostern wurden im Auditorium selbst bereits die für akustische Finessen geplanten durchsichtigen Lamellen an der Decke des Auditoriums angebracht. Die zwischen elegantem Grau und Blau variierende Bestuhlung ist so entworfen, dass die Lehnen genau in der Mitte jedes Sitzes aufeinandertreffen.

Einfache, massive Bänke und Theken aus Eichenholz komplettieren in den Pausenräumen eine auch im Detail sehr schlüssige Entwurfsskala - bis hin zu Geländern, die nach innen geneigt sind, um das Hinaufklettern zu erschweren. Das einzig störende sind Verstrebungen, die keine Zierde, sondern statische Notwendigkeit sind.

Was jetzt schon, kurz vor der endgültigen Fertigstellung sich in hoher architektonischer Qualität entfaltet, wurde jahrelang bekämpft. In dieser Märchenwelt mit moderner Architektur intervenieren? Nie und nimmer. Eine Bürgerinitiative formierte sich „zur Rettung von Ravello“ , wo einst Richard Wagner einige seiner Werke komponiert hatte.

Dahinter die Spekulanten. Wie so oft an der Traumküste, hätte man auch mit dieser „Gstätten“ viel Geld machen können. Teile des insgesamt 26.000 Quadratmeter großen Areals mussten daher ziemlich brutal enteignet werden. Vier Jahre wurde vorbereitet und geplant. 2003, als es schien, der Baubeginn liege nahe, kam es zu neuen Verzögerungen und politischen Interventionen.

Zwei Faktoren machten 2006 das scheinbar Unmögliche möglich. Die hartnäckige Arbeit der Fondazione Ravello mit Domenico Masi an der Spitze und die Regionalregierung von Kampanien mit dem eben abgetretenen Präsidenten Antonio Bassolino, dem es gelang, EU-Gelder an diese Küste zu lotsen.

Zum dritten Mal. Die erste kulturelle Großtat des damaligen Bürgermeisters von Neapel war vor der Jahrtausendwende der Bau der U-Bahn, angeblich ohne Mafia-Beteiligung, dafür mit exzellenter Architektur und mit „Kunst am Bau“ . Nicht als Illustration wie in Wien, sondern als Teil der baukünstlerischen Ausprägung.

Die zweite große kulturelle Intervention war die vor allem technische Modernisierung des Teatro San Carlo in Neapel. Wer die muffig-schwitzige Atmosphäre der früher einmal zweitwichtigsten Oper Italiens kannte, wird von der neuen Pracht überrascht sein. Die eigentliche Neuerung aber nicht bemerken: Denn mit 50 Millionen EU-Euro wurde von der bayrischen Akustik-Firma Müller (u.a. verantwortlich für das neue La Fenice oder für das Festspielhaus St. Pölten) eine international konkurrenzfähige Bühnenmaschinerie und eine Klimatisierung gebaut, die zusammen mit der tollen Bestuhlung und der Restaurierung des Zuschauerraums schöne Premieren unterstützt - zuletzt Maria Stuarda von Gaetano Donizetti.

Alt und verschroben geblieben ist das Publikum. Die Jungen flanieren rund um das San Carlo wie eh und je auf ihren Motorrollern oder in den Smarts und Fiat 500. Neapel ist ja eine komplett fahrradlose Stadt.

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