Artikel

Der steirische Panther
Spectrum

Ein liegender Monolith, der Anspannung, Bewegung und Tempo ausdrückt. Exzellent detailliert, mit Sorgfalt und Perfektionismus. Ein Büro- und Geschäftshaus mit dem Zeug zum Wahrzeichen von Graz.

24. April 2010 - Karin Tschavgova
Es zu übersehen, ist unmöglich, denn es ist das auffälligste Bauwerk, das in Graz in letzter Zeit entstanden ist. Tausende, die in die Stadt kommen, darunter viele Pendler, fahren jeden Tag daran vorbei und ebenso viele Abreisende, die den Weg zur Autobahn nach Wien, Italien oder Slowenien über die Ausfahrt im Südosten der Stadt nehmen. Für die, die sich von auswärts nähern, zeigt es sich besonders spektakulär: als bis zu sechs Geschoße hoher, liegender Monolith mit glänzend schwarzer, glatter Hülle, der sich – wie man erst im Vorbeifahren sehen kann – auflöst in massive Strebepfeiler und eine mächtige, auskragende Geste.

Dieser Bau dient zweifelsohne der Repräsentation. Seine Funktion lässt sich auf den ersten Blick nicht erkennen. Rückschlüsse aufgrund seines Standorts sind schwierig, denn der Bezirk ist, nicht anders als andere Randzonen in Graz, gekennzeichnet durch Heterogenität und Dimensionssprünge – Gewerbebauten liegen verstreut zwischen kleinteiligen vorstädtischen Siedlungsstrukturen, dazu Wohnblöcke, Glashäuser, Felder und ein Einkaufszentrum. Identität schafft das Fußballstadion, das jeder mit dem Bezirk Liebenau assoziiert.

Auf seine unmittelbaren Nachbarn, eine Reihe von kleinen Einfamilienhäusern, schaut unser Gebäude herab. In Höhe und Größe orientiert es sich an der nahe gelegenen Eckbebauung, die Teil des Stadion-Ensembles ist. Mit diesem bildet es die ersten einer Reihe von monumentalen „Solisten“, die die Tangente künftig säumen sollen, geht es nach dem räumlichen Leitbild, in dem hierorts für eine Verdichtung durch vertikale Akzente plädiert wird.

Des Rätsels Lösung? Unser Bau ist ein Büro- und Geschäftshaus und vorrangig die Firmenzentrale eines Grazer Unternehmens, das Brillen und Schmuck designt und weltweit vertreibt. Die monumentale, weit ausladende Form mit schräg gekappten Enden, ansteigenden Trauflinien und messerscharf gesetzten Einschnitten ist geeignet, Logo und Wahrzeichen zu sein. Bauherr und Architekten sehen in ihm einen schwarzen Panther, der zum Sprung ansetzt. Der gewollte Ausdruck von Anspannung, Bewegung und Tempo, der durch die lang gezogene Fensterbänderung noch verstärkt wird, entspricht der Firmenphilosophie, die aus einem kleinen Betrieb der Nachkriegsjahre ein global agierendes Unternehmen hat werden lassen.

GSarchitects haben diese Gebäudeskulptur erdacht. Hinter dem Kürzel stehen Danijela Gojic und Brigitte Spurej, die Insidern schon lange, bevor sie ihr eigenes Büro gründeten und 2005 mit Michael Gattermeyer eine Partnerschaft eingingen, bekannt waren. Die beiden Frauen hatten jahrelang für steirische Architekten Wettbewerbsprojekte entworfen – ziemlich erfolgreich und schon immer in der Architektursprache, die nun auch ihren ersten in Eigenverantwortung realisierten Großbau kennzeichnet. Dass sie „schnittige“ Entwürfe machen können, haben sie oft bewiesen. Unter anderem stammt der Wettbewerbsentwurf zur zweiten Ausbaustufe des Flughafens Graz-Thalerhof von ihnen. Nun galt es zu demonstrieren, dass sie auch in der Lage sind, ihre Ideen ohne Qualitätsverlust umzusetzen.

Tatsächlich blieben Gestalt und Ausdruck im Wesentlichen wie im Wettbewerb erhalten. Der straßenseitig monolithisch wirkende Baukörper entpuppt sich – welch Überraschung – auf seiner Kehrseite als Zusammenschluss zweier lang gestreckter, trapezförmiger Arme, die in einem weit geöffneten Winkel zueinander stehen und sich in ihrem Schnittpunkt in eine Halle, die über alle Geschoße reicht, auflösen. Einer der Arme beherbergt die Firmenzentrale mit allen Funktionen, die Geschäftsabwicklung und Verwaltung brauchen. Der andere Trakt enthält, getrennt erschlossen, vermietbare Büroflächen, die im nun angebotenen Zustand große ungeteilte Einheiten mit zentralem Versorgungskern sind, die optimale Lichtverhältnisse aufweisen, weil sie großteils durchgehend beidseitig belichtet sind. Jene Flächen, die einseitig Fensterbänder nach Osten aufweisen, erhalten zusätzliche Belichtung aus dem Oberlicht der Halle. Die Öffnung der Büros beider Trakte hin zum Luftraum der gemeinsamen Halle schafft nicht nur Transparenz und Durchlässigkeit, sondern erzeugt auch eine Atmosphäre der konzentrierten Betriebsamkeit, die auf den Besucher angenehm wirkt. Hier wird gearbeitet, und das darf jeder sehen (wer will, kann sich mit Screens gegen ungewollte Einblicke schützen). Brücken, die über eine offene Treppe erschlossen werden, queren den Luftraum.

Der Treppenturm, den die Architekten frei ans nördliche Ende der Halle gestellt haben, zeigt exemplarisch die hohe Qualität der Bauausführung. Anschlüsse und Übergänge sind exzellent detailliert und bewältigt, Materialien wie Stahlblech für die Geländer, Glas oder an anderer Stelle Leder für Wandverkleidungen sind so verwendet, dass sie am besten zur Geltung kommen. Der gesamte Bau – von der Fassade aus schwarzem Glas bis zum Pflanztrog auf der Dachterrasse der Chefetage – wurde bis ins Detail nicht nur mit großer Sorgfalt geplant, sondern auch mit Können. Stellt man dies fest, so erinnert man sich, dass der Dritte im Bunde der Architekten, Michael Gattermeyer,Detailentwicklung im Büro von Klaus Kadagelernt hat. Perfektionismus wird auch dem Bauherren zugeschrieben und zeigt sich in der repräsentativen Ausgestaltung der beiden Chefetagen – edelste Materialien, eigens entworfene Möbel und verschwendend viel Raum.

Großzügiger Umgang mit Flächen, Luftraum und Raumhöhen ist ein Luxus, der den Architekten zugestanden wurde und ihnen erlaubte, das Bauwerk zur Stadt hin aufzulösen in ein durchlässiges strukturelles Gebilde aus Stützen, Decken und Rahmenwerk, das die gewünschte Dynamik der Bewegung widerspiegelt.

Zweifellos lässt sich eine Wesensverwandtschaft mit der Architektur von Zaha Hadid, Thome Mayne oder Coop Himmelb(l)au ausmachen. Dieses erste große Werk von GSarchitects steht aber auch deutlich in der Tradition der Architektur der „Grazer Schule“, die jede noch so banale Bauaufgabe in ein einzigartiges Monument der kreativen Potenz verwandeln wollte.

Ein wenig einsam und verloren steht es noch da mit seiner Prachttreppe, die direkt in die Stromzählerkästen führt. Die Umgebung muss erst noch anpasst werden.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: