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Quelle, Steppe, Schnecke
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Zwei neue Großprojekte auf dem Bädermarkt: die „Therme Wien“ und die „St. Martins Therme“ im burgenländischen Seewinkel. Erstere nach dem Bild eines Flusslaufs geplant, Letztere mit afrikanischem Flair, aber ohne Ethno-Kitsch.

15. Mai 2010 - Iris Meder
Wohlfühlen“ ist wohl einer der lukrativsten Geschäftszweige in postindustriellen Gesellschaften wie unserer. Der Freizeit-Lifestyle reicht dabei vom viel beschworenen Erlebnis bis zum simplen Faulsein, sprich „Relaxen“. Nicht zuletzt die damit verbundene Bereitschaft, sich immer höhere Dosen an Verwöhnung zu gönnen, hat zum Thermen-Boom der letzten Zeit geführt. Allerorten wurde nach Goldadern in Gestalt von lukrativen Thermalquellen gesucht. Nach der Siebzigerjahre-Phase mit Künstlerkitsch-Deko von Friedensreich Hundertwasser bis Ernst Fuchs erkannte man in den Neunzigern – Initialzündung war Peter Zumthors intellektuell-asketische Felsentherme im Graubündner Bergdorf Vals –, dass architektonische Qualität Gäste durchaus nicht unbedingt abschreckt.

Es folgten geglückte Beispiele etwa im steirischen Fohnsdorf (Titus Pernthaler 2007) und in Gleichenberg, 2008 nach Entwürfen des norwegischen Büros Jensen og Skodvin gebaut. Nun gerieten auch die bislang gut funktionierenden Seventies-Kästen in Zugzwang, denen nicht selten der Charme von Park-and-Ride-Garagen eignete.

So auch das 1974 anlässlich der Internationalen Gartenschau WIG 74 über einer neu erschlossenen Thermalquelle gebaute Kurbad Oberlaa. Die legendären durchdringenden Huptöne, die zum raschen Wechseln der Sprudel- und Massagedüsen auffordern, können von Nostalgikern noch bis zum Sommer genossen werden, ebenso wie das Drehkreuz, das auch bei komplett leerem Becken den Zugang zum Whirlpool versperrt, wenn das Sprudel-Programm läuft. Nebenan entsteht nämlich die neue „Therme Wien“, die den Altbau ersetzen wird.

Auf dem besonders an der südostösterreichischen Thermenlinie allmählich gesättigten Markt der Thermal-Resorts zählt die Therme Wien gemeinsam mit der vor Kurzem eröffneten „St. Martins Therme & Lodge“ im burgenländischen Seewinkel zu den letzten Dinosauriern ihrer Gattung. In Wien hat manallerdings neben dem Wohlfühlbadebetrieb schon immer auf medizinische Anwendungen gesetzt. Der Bauteil des Kurmittelzentrums „Therme Wien Med“ wurde bereits imMärz eröffnet. Anders als bei den meisten auf der grünen Wiese errichteten Resorts liegt der kalkulierte Einnahmen-Schwerpunkt in Wien nicht auf dem Hotelbetrieb – das Hotel wird hier getrennt von der Therme betrieben, ein Neubau nach Entwürfen von Rüdiger Lainer ist in Planung. Für die Therme schrieb man 2003 einen geladenen Wettbewerb aus, den ersten Platz machten die Stuttgarter Bäderspezialisten 4a Architekten. Ihre Vorliebe für abgeschrägte, auskragende Baukörper lässt sich an der kleineren Bodenseetherme in Konstanz studieren, die 2007 eröffnet wurde.

In Wien ist das architektonische Leitmotiv der verglasten Thermenhallen das abstrahierte Bild eines Flusslaufs, der „Steine“ genannte geschlossenere Zonen unterschiedlicher Nutzung und atmosphärischer Gestaltung verbindet. Die Differenzierung der Raumformen erlaubt es, die riesigen Volumen des Komplexes sinnvoll zu strukturieren – auf 7,5 Hektar wollen zusätzlich zu den 4500 Quadratmetern des Gesundheitsbereiches 4000 Quadratmeter Wasserfläche und 3000 Quadratmeter Saunabereich mit 24 unterschiedlichen Saunen (gemischte sowie getrennte Damen- und Herrenbereiche) untergebracht sein – die Nutzfläche ist doppelt so groß wie beim Altbau. Die Erschließung einer zweiten Quelle erlaubt es, 55 Prozent des Energiebedarfs zu decken, der Rest wird mit Fernwärme abgedeckt.

Die bisherige Hauptklientel der Altersgruppe von 45 bis 65 soll um jüngeres Publikum erweitert werden, wobei man vor allem auf das Einzugsgebiet Bratislava setzt. Als „Totalunternehmer“ der von der Wien Holding mitfinanzierten Anlage mit einem Investitionsvolumen von 115 Millionen Euro fungiert „Vamed Vitality World“, die unter anderem auch das neue Thermenresort im Seewinkel betreibt.

Dort führte ein Zusammenschluss von 13 Gemeinden nach einer erfolgreichen Quellbohrung zum Bau eines Thermalhotels am Rand des Nationalparks Seewinkel mit dem Konzept einer „Lodge“ nach dem Vorbild afrikanischer Naturbeobachtungs-Stationen – angesichts der steppenähnlichen Landschaft des UNESCO-Welterbes mit seinen Wasserbüffel- und Vogelpopulationen weniger abwegig, als es zunächst scheint. Standort ist ein Schotterteich, der einen zusätzlichen Naturstrand bietet.

Dem Flusskonzept von 4a Architekten steht ein skulpturaler Baukörper vom Büro Holzbauer & Partner gegenüber. Auch hier musste der planende Architekt, Wolfgang Vanek, große Volumen unterbringen. Leitbild ist eine Schneckenform mit einem langen Nord-Süd-gerichteten Schweif für das 300-Betten-Hotel mit Terrassenrestaurant am Wasser und einer sich verdichtenden Spirale, die als Zentrum die zylindrische Thermenhalle aufnimmt. Hier zeigt sich ein österreichisches Spezifikum, nämlich der Wunsch des heimischen Thermengastes nach einer eigenen Liege – erstaunlicherweise geben die meisten Gäste als eines der wichtigsten Ziele in einem Thermalbad Lesen an. Eine architektonische Herausforderung besteht daher in der Verteilung ausreichend großer Ruhezonen – auch die Thermenhalle nehmen größtenteils nicht Wasserbecken, sondern Liegeterrassen ein.

Ein weiteres dem Markt geschuldetes Charakteristikum von Thermen-Resorts ist die Hierarchisierung des Publikums, die dem „normalen“ Tagesgast einen begrenzten Bereich zuweist, während unter anderem zusätzlich das „Upper Deck“-Programm mit Saunabenutzung und Liege auf der Empore der Halle zu buchen ist, außerdem das „Day Spa“, das Zutritt zum Hotelbereich gewährt.

Die Therme prägt ebenso wie den mit bemerkenswerter Sorgfalt geplanten Hotelbereich eine Bezugnahme auf das Lodge-Thema in Form eines Farb- und Materialkonzeptes, das auf erdige Ocker- und Brauntönesetzt, von der Putzfassade – mit Nistplätzen für Vögel – über die Steinzeugfliesen des Bodens bis zu den baupolizeilich zertifizierten Schilf-Wandverkleidungen einzelner Bereiche.Auf Eso-Ethno-Kitsch mit Buddhastatuen, Salzbrunnen und Feng-Shui-Ampeln wurde verzichtet, was der Klarheit der Architektur zugute kommt. Schön sind die intimen Ruhezonen und kleineren Innen- und Außenbecken des Day Spa, die – besonders spektakulär in der Abenddämmerung – nahtlos in den Teich und die Seewinkel-Steppe überzugehen scheinen. Fast wie in Afrika.

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