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Kulturgut Freiraum
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Der Wiener Yppenplatz ist ein robuster, flexibler Platz. Besser gesagt: Er war es. Eine Sanierung hat ihn bunter gemacht. Ist er auch besser nutzbar?

26. Juni 2010 - Franziska Leeb
Der öffentliche Raum wird bei euch nicht wirklich gestaltet, oder?“, so der vorsichtig formulierte kritische Kommentar eines niederländischen Architekten nach einer dreitägigen Tour durch unsere Bundeshauptstadt. Stimmt, meistens wird nur eifrig möbliert. Ausnahmen gibt es. Aus jüngerer Zeit zum Beispiel den 2008 fertiggestellten Rudolf-Bednar-Park am Nordbahnhofgelände, geplant vom Züricher Büro Hager Landschaftsarchitektur. Hier wird auf über drei Hektar deutlich, was qualitätsvolle Landschaftsplanung leisten kann. Ein weitaus kleineres und unter engeren Rahmenbedingungen entstandenes früheres Beispiel ist, besser gesagt: war der Yppenplatz.

Die Wiener Landschaftsarchitektinnen Ursula Kose und Lilli Lička entwickelten auf dieser Leerstelle im Gründerzeitraster des 16. Bezirks vor zehn Jahren einen robusten, flexiblen und widerstandsfähigen städtischen Platz. Die praktischen Anforderungen dafür wurden in einem einjährigen Bürgerbeteiligungsverfahren erarbeitet. Offen und übersichtlich sollte der Platz sein, um für die Bedürfnisse aller Generationen und Geschlechter ausreichend Platz für Bewegung und Erholung bereitzustellen. Das Platzzentrum, unter dem sich ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg befindet, wodurch im Boden wurzelnde Bepflanzung unmöglich ist, wurde als „harte“ Fläche freigehalten, mit niedrigen, als Sitzbänke nutzbaren Betonwänden wurden drei Segmente markiert. Der Platz blieb als Ganzes nutzbar, auch diagonal durchlässig und erlaubte es einzelnen Gruppen, temporär Felder in Beschlag zu nehmen und für diverse Aktivitäten zu nutzen. An den Rändern wurden weiche Zonen mit Baumbestand angelegt und spezifischer definierte Bereiche wie ein Kinderspielplatz oder Möglichkeiten für Bocciaspiele angesiedelt. Auf der einen Schmalseite wurde der Ballspielkäfig untergebracht, gegenüber neben dem Marktamt ein von Bäumen beschatteter und von einer halbhohen Mauer geschützter Sitzplatz. Dadurch sollte nicht der ganze Platz von mächtigen und aggressiven Nutzergruppen wie adoleszenten Fußballern akustisch und raumgreifend dominiert werden, sondern auch weniger durchsetzungsfähigen Personen die Inanspruchnahme adäquaten Raums – nicht nur als passive Beobachter – erleichtert werden.

Der von Fachwelt und dem Vernehmen nach auch von den Nutzern positiv aufgenommene Platz wurde nun nach Plänen des Wiener Stadtgartenamtes neu gestaltet. Die Platzmitte wurde mit zwei mächtigen Pergolen aus Stahl, mandorlaförmigen Hochbeeten aus Beton, einem Wasserspiel und Wellenliegen ausgestattet. Der Asphalt erhielt wellenförmige Intarsien aus violettem und türkisem Gummigranulat. Im Fußballkäfig, für den KoseLička schon anno dazumal einen grauen Gummigranulatboden vorgesehen und budgetiert hatten, gibt es nun endlich einen solchen in sattem Türkis. Besondere Überlegungen flossen in die kreative Gestaltung des bestehenden Kinderspielplatzes. Eine in penibler Tischlerarbeit ausgeführte Karikatur eines windschiefen Marktstands dient als Eingang. Nebenan am richtigen Markt werden die alten Verkaufsbuden übrigens gerade nach und nach durch coole Metallkonstruktionen ersetzt. Birnenrutsche, Fruchtspieß, Bananenskulptur und eine Waagen-Wippe (der Zeiger ist nur aufgemalt und vermittelt daher kein physikalisches Vorschulwissen) ergänzen den sentimentalen Markt-Themenpark.

Wer im alten Yppenplatz eine fade Betonwüste gesehen hat, dem gefällt die neue Inszenierung womöglich besser. Der Platz ist nun bunter und auch dann nicht leer, wenn er menschenleer ist. Ist er auch besser nutzbar? Selbst wenn sie einmal bewachsen sind,werden die Pergolen nur minimale Flächen beschatten. Billiger und sinnvoller hätte man die Sandkiste überdacht, wo sich jene aufhalten, denen die Sonne am gefährlichsten wird. Das neue Platzmobiliar behindert das Passieren des Platzes in den Diagonalen. Vor dem Ballspielkäfig wurden Verweilmöbel für Jugendliche in Form entrindeter Baumstämme aufgebaut. Offenbar versucht man damit, dem Bedürfnis Pubertierender entgegenzukommen, die sich lieber auf die unbequemen Lehnen der Bänke als auf deren Sitzflächen hocken. Es ist lang her, aber tat man das nicht, weil es verboten war, und weniger aus Bequemlichkeit?

Gewiss war eine Sanierung des stark frequentierten Platzes notwendig. Die Graffiti zum Beispiel beschränkten sich zuletzt längst nicht mehr auf die dafür vorgesehenen Rückwände der Marktbauten. Jetzt erhielten sie „Bilderrahmen“ aus wildem Wein und Glyzinien. Ob das tatsächlich, wie erhofft, die Leidenschaft der Jugend zügeln wird, auf nicht gestatten Flächen zu sprayen? Blumen gibt es nun mehr als vorher. Die von KoseLicka konzipierten Kletterrosen am Marktamt, für die unter lose darübergelegten Betonplatten bereits Beete bereitet sind, wurden nie gepflanzt. Die geschmäcklerische Neugestaltung ist eine fragwürdige Oberflächenkosmetik, die Freiheiten in der Nutzung einschränkt und Historie negiert. Ja, der öffentlichen Raum ist – nicht nur in Wien – dilettantisch gestaltet und bedient kurzsichtige Interessen.

Auch was die historischen Gärten angeht, orten Landschaftsarchitekten, vertreten durch ein „Komitee zur Unterstützung der Gartendenkmalpflege im Bundesdenkmalamt“ unter der Regie von Eva Berger, Professorin für Gartenkunst an der Technischen Universität Wien, samt über 2000 durchwegs fachlich qualifizierten Unterzeichnern einer Petition an die Kulturministerin, kulturelle Kurzsichtigkeit. Die 1986 im Bundesdenkmalamt begründete Abteilung für historische Gartenanlagen existiert nicht mehr und soll mit einer Reihe weiterer Fachgebiete in einer „Abteilung für Kunstdenkmalpflege“ aufgehen. Für die Initiatoren signalisiert diese Neustrukturierung alles andere als eine Perspektive für eine Verbesserung der Situation des höchst sparsam und zögerlich behandelten Kulturgutes Freiraum. Zwar ist es vermutlich, ökonomisch gedacht, tatsächlich nicht sehr effizient, für jede Materie kleinste Ein-Personen-Abteilungen zu erhalten. De facto sind laut Berger rund 1700 Gartendenkmäler vorhanden. Nur 56 historische Park- und Gartenanlagen fallen aber in die Kompetenz des Bundes, nicht alle davon sind denkmalgeschützt, weil bei Anlagen in Privatbesitz zur Unterschutzstellung die Zustimmung der Eigentümer erforderlich ist.

Parks und Gärten im öffentlichen Besitz seien weniger bedroht als unzugängliche Anlagen in Privatbesitz, plädiert Eva Berger für umfangreichere Kompetenzen der Gartendenkmalpflege. Es braucht Budget und kompetentes Personal, um Eigentümer wertvoller Gartenanlagen zu beraten, den Bestand zu erforschen, Schutzmaßnahmen zu untersuchen oder Wiederherstellungskonzepte zu erarbeiten. Die Pflege von Gärten kostet Geld. Für viele Besitzer geht sie an die Grenzen der wirtschaftlichen Tragbarkeit. Gestaltete Freiräume jeglicher Art und Größe sind wertvolles Kulturgut und ein Beitrag zur Lebensqualität. Ihre Pflege und Erhaltung überwiegend von ökonomisch-kommerziellen Bedürfnissen abhängig zu machen ist kultur- und bildungspolitisch fahrlässig.

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