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Raumpoet entwarf Raummaschinen
Der Standard

Josef Maria Olbrich jenseits des Krauthappls: Ein umfassender Überblick ist in Wien zu sehen

Die Form nach Außen entspringt den Bedürfnissen im Innern. Vorn und zu beiden Seiten das Licht einfallend, mit den nötigen Räumen für die Requisiten, Garderoben und Heizung, ist das ganze Objekt eine einzige Maschine, die allen Anforderungen des Künstlers entspricht" , beschrieb Klaus Maria Olbrich 1900 ein Atelier für die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe.

6. Juli 2010 - Anne Katrin Feßler
Zwar wird dieser konkrete Entwurf nie realisiert, dafür verdeutlicht Olbrichs Ausspruch, der 1906 ins Credo „Das Haus wird zur Maschine!“ münden sollte, dass Funktionalität und Ornament einander nicht widersprechen. Das architektonische Maschinendenken ist also nicht allein Verdienst des zwanzig Jahre jüngeren Le Corbusiers, der den Begriff der „Wohnmaschine“ 1921 prägte.

Zurechtgerückt, das soll der Blick auf Joseph Maria Olbrich (1867-1908) in der Tat werden: Die Ausstellung, eine Kooperation des Leopold-Museums mit den Museen Mathildenhöhe (Kuratorin Regina Stephan), breitet das vielfältige Gesamtwerk des Universalkünstlers aus: Olbrich hat quasi alles - vom güldenen Tafeltuch bis zur Opel-Limousine - entworfen.

Insbesondere in Wien tut die Retrospektive wohl, denn allzu ausschließlich wird der Otto Wagner-Schüler hier mit seinem frühen und kühnen Geniestreich - dem Gebäude der Wiener Secession (1898) - assoziiert. Dem zum Trotz präsentiert man gleich zum Auftakt der mit rund 400 Exponaten informativen und sortierten Schau (bis 27. 9.) ein atmosphärisch mit Mahler unterlegtes Video, das mit dem Betrachter einen schwerelosen Flug durch die Secession unternimmt. Dem virtuellen Ausflug folgt hoffentlich ein realer im nur 800 Meter entfernten Original.

Chaos von Ideen

Mit dem Krauthappl begann Olbrichs steile Karriere, die allerdings nicht in Wien ihren Höhepunkt finden sollte, sondern in Darmstadt. Dorthin hatte ihn der schöngeistige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen 1899 geholt. Ein „großer Unbekannter“ , wie die Ausstellung leise andeutet, ist Olbrich dennoch nicht.

Ernst Ludwig von Hessen machte ihn zum Leiter seiner Idee einer Kunst und Handwerk vereinenden Künstlerkolonie - die englische Arts-and-Crafts-Bewegung stand Pate. Ein Unterfangen, von dem er sich auch eine wirtschaftliche Belebung versprach: „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst.“ Die Leichtigkeit der Entwürfe des „Raumpoeten“ (Ludwig Hevesi) brachten den Erzherzog ins Schwärmen: „Ich fühlte sofort, da ist etwas Frisches und ganz zu mir Passendes, etwas Sonniges ...“

Olbrichs recht experimentelle Vorstellungen für das Ensemble auf der Mathildenhöhe zeigen jedoch auch die Spuren eines anderen Lehrers: Camillo Sittes Prinzip einer organischen, nicht hierarchischen Stadtplanung. Mittelpunkt der Anlage und in Wien als Modell zu sehen ist das Ernst-Ludwig-Haus: Das im Ornament auf das zentrale Omegaportal konzentrierte Gebäude wusste - damals höchst ungewöhnlich - Atelier- und Ausstellungsgebäude elegant zu vereinen. Nach Wien sollte Olbrich, der 1908 erst 40-jährig an Leukämie starb, nie zurückkehren. 1904 hatte ihn Otto Wagner, dessen Chefzeichner Olbrich über Jahre war, noch erfolglos für eine Professur an der Akademie nominiert. Nach Olbrichs Tod schrieb Wagner der Witwe des „kaum zu fassenden Genies“: „Die Menge ist leider so blind, dass ihr nie klar werden wird, was sie von ihm noch hätte erwarten können.“
Es war die letzte Ausstellung, die zu Lebzeiten Rudolf Leopolds eröffnet wurde. Der am 29. Juni verstorbene Sammler und Museumsgründer wird heute, Dienstag, am Grinzinger Friedhof beigesetzt. Die Trauerfeier findet um 10.00 Uhr statt.

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