Artikel

„Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen“
Der Standard

Wolfgang Streicher lehrt energieeffizientes Bauen an der Uni Innsbruck und spricht über Hightech versus Holzfensterläden. Was ein Lowtech-Haus haben muss oder eben nicht, erfragte Sascha Aumüller.

8. September 2010 - Sascha Aumüller
Standard: Sie befassen sich seit mehr als 20 Jahren mit Gebäudetechnik. Und sagen jetzt: je weniger Technik, desto besser. Warum?

Streicher: Erstens gibt es in der Elektronikbranche Lebenszyklen von maximal zehn Jahren. Wenn Sie danach Ersatzteile brauchen, haben Sie ein Problem. Autos werden nach zehn Jahren weggeschmissen, aber ein Haus lebt länger. Zweitens: Diese Technik kann eigentlich keiner bedienen. Es steht also viel herum im Haus, das nicht optimal betrieben wird. Das kann sogar zu einer Verschlechterung der Energieeffizienz führen.

Standard: Das relativiert die Idee vom „intelligenten Haus“.

Streicher: Ein intelligentes Gebäude ist eines, das nicht noch „künstliche Intelligenz“ braucht, weil es in sich schon intelligent ist. Da sind eher die Architektur und die Bautechnik gefragt. Alles, was nicht nachträglich eingebaut werden muss, braucht auch keine Wartung oder Erneuerung.

Standard: Die Gebäudetechnik benötigt auch Strom. Beeinflusst sie die Energiebilanz wesentlich?

Streicher: Sicher, denn der Energiebedarf von Pumpen oder Sensoren muss für eine Gesamtbilanz immer mitgerechnet werden. Meine Erfahrung ist: Da wird zum Teil mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Moderne Gebäude benötigen immer weniger Energie zum Heizen, aber wenn wir eingesparte Kilowattstunden dann wieder in Gebäudetechnik investieren, dann wird's eigentlich sinnlos teuer.

Standard: Sind Häuser mit wenig Technik unterm Strich günstiger?

Streicher: Die Planung eines Lowtech-Hauses kostet zuerst einmal mehr, durch niedrigere Investitionen in die Haustechnik und geringere Betriebs- und Wartungskosten wird langfristig aber gespart.

Standard: Warum kostet die Planung eigentlich mehr?

Streicher: Bestimmte Funktionen wie die Beschattung sollten bereits baulich - etwa durch Dachüberstände - umgesetzt werden, das erfordert bessere Planung. Dafür brauchen Sie dann keine Sensoren und Außenjalousien, die bei Sturm leicht kaputtgehen können. Beschattung und Nachtlüftung mit Einbruch- und horizontalem Schlagregenschutz sind Funktionen, die sehr aufwändig realisiert werden können. Oder auch mit alten Holzfensterläden.

Standard: Wie definieren Sie Innovation - Altes wiederzuentdecken?

Streicher: Es ist die Kombination von Know-how aus Zeiten, als nicht jede beliebige Architektur über Technik bedienbar wurde, mit den neuen Technologien bei Bau- und Dämmstoffen, Fenstern und der Haustechnik. Fertighausfirmen sind dafür gute Multiplikatoren, weil sie Gebäude und Haustechnik zusammen planen und die Gesamtkosten runterbringen wollen, ohne Behaglichkeit zu verlieren.

Standard: Sind moderne Fertighäuser also Lowtech-Gebäude?

Streicher: Die Hersteller müssen sich noch mehr mit der Haustechnik beschäftigen. Es handelt sich ja nur um die Entwicklung neuer Schubladenlösungen - die heutige Gebäudetechnik ist zwar eher Hightech, aber eben eine Schubladenlösung. Will der Kunde etwas anderes, wird es teuer, weil der Hersteller neu nachdenken muss und der Kunde nicht bereit ist, das Nachdenken zu bezahlen.

Standard: Demnach lässt sich das Konzept des Lowtech-Hauses besser von Architekten realisieren?

Streicher: In erster Linie geht es einmal darum, Architekten, Gebäudetechniker und Bauingenieure zusammenzubringen. Das Problem ist aber noch ein anderes: Im Architekturstudium wird immer weniger Technik gelehrt und in den Bauingenieurstudien keine Architektur. Auf der Baustelle kommt dann noch der Maschinenbauer und der Jurist dazu, die haben alle ihre Sprache, und keiner weiß, wovon der andere eigentlich redet.
[ Wolfgang Streicher, geboren 1961 in Graz, wuchs in Deutschland auf und absolvierte 1986 das Maschinenbaustudium an der Technischen Universität Graz. Seit 2000 forscht er ebendort zum Schwerpunkt „energieeffiziente und integrierte Gebäudeentwicklung“ und nunmehr seit März 2010 an der Universität Innsbruck. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: