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Fast nichts für fünf Sterne
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Auf diskrete Weise großstädtisch und elegant: der neue Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, entworfen von Jean Nouvel. Allerdings: Ein paar Fragen zu Funktionalität und Verhältnismäßigkeit bleiben.

25. September 2010 - Liesbeth Waechter-Böhm
Presque rien“ – fast nichts – hat sich der französische Architekt Jean Nouvel als Gestaltungsprinzip für seine „Praterstraße 1“ vorgenommen, jenen 75 Meter hohen Hotel-Tower samt Nobel-Einkaufszentrum am Wiener Donaukanal, der sich mit grauer Eleganz und ganz symmetrisch seinem Gegenüber von Hans Hollein entgegenneigt. Diese Verbeugung in den Straßenraum hinein ist aber auch schon alles, was die beidens Häuser verbindet. Hollein hat eine ganze Stadtsilhouette in ein einzelnes Gebäude gepackt, Nouvel errichtet ein Sockelgebäudes – durchwegt von einer öffentlichen Passage – und einen Turm, und er verbindet beides räumlich auf durchaus spektakuläre Weise. Die gewölbte Glasdecke aus rhombenförmigen Einzelelementen ist schon jetzt der urbane Bedeutungsträger schlechthin.
Ein paar Fakten: Nouvel hat mit seinem Entwurf ein zweistufiges internationales Verfahren (13 Teilnehmer) gewonnen. Auslober war die Uniqa, die 2004 ihr eigenes Stammhaus, gar nicht weit vom Nouvel-Standort, bezogen hat. Planender Architekt dort: Heinz Neumann, der dann als lokales Partnerbüro für Nouvel fungiert hat. Ursprünglich sah das Nutzungskonzept vier Untergeschoße vor, ein Hotel, ein Konferenzszentrum, ein Einkaufszentrum und Büros. Daraus sind fünf Untergeschoße geworden, die Büronutzung wurde gestrichen, geblieben sind ein Fünf-Sterne-Hotel mit Konferenzzentrum und das Einkaufszentrum. Letzteres ist inhaltlich sehr speziell: Es wird der Schauplatz für die Plattform „Stilwerk“ sein, die auf – wie es so schön heißt – „hochspreisigem“ Niveau Möbel, Design, Kunst, Ausstattung anbietet. So etwas haben wir in Wien noch nicht, es ist auch nicht wirklich sympathisch. Ein Einkaufszentrum für die Reichen? Stufen wir es als Metropolen-Phänomen ein, dann geht es vielleicht.
Die Baukosten haben das geschätzte Maß weit überschritten: Aus 80 bis 100 Millionen sind über 130 Millionen Euro geworden. Das muss einen Bauherrn schmerzen. Aber: Die Uniqa hat sich offenbar vorgenommen, den Vorstellungen einer internationalen Autorität wie Nouvel so wenig wie möglich entgegenzusetzen. Sie hat sich mit äußerster Konsequenz auf seine Vorstellungen eingelassen – ein ziemlich komplexes Unterfangen, denken wir nur an die Aktion mit der 160 Tonnen schweren Brückenkonstruktion, die in einem einzigen Gewaltakt hochgehievt wurde. Es war also teuer, und das nicht zuletzt deswegen, weil sich ein Jean Nouvel um bauphysikalische, statische Logik und Effizienz ziemlich wenig schert.

Immerhin: Das Haus ist auf eine ausgesprochen diskrete Weise großstädtisch, es ist elegant. Wenn man unter Eleganz einen sehr zurückgenommenen Außenauftritt versteht, der wohl mit Volumina hantiert, aber nicht mit den landläufigen Vorstellungen von exquisiter Gestaltung. Tatsächlich sticht zunächst nur die erwähnte gewölbte Rhomben-Glashaut ins Auge, die hauptsächlich einen sogenannten Wintergarten umschließt, svon dem einem niemand sagen kann, wozu er dient – das ist offenbar nur Raum, großartiger, völlig nutzungsneutraler, gedeckter Außenraum. Nachts setzen die „farbigen“ Lichtdecken der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist einen Akzent. Prinzipien wie die Verspiegelung beziehungsweise das dunkle Weiß an der Ostseite, das Grau der Südseite, das Schwarz der Westseite, die klare Transparenz der Nordseite nimmt man auf den ersten Blick gar nicht wahr.
Aber es wäre natürlich nicht ein Nouvel, wenn da nicht mehr dahinterstecken würde. Sein „presque rien“ bedeutet, dass er sich nicht nur außen, sondern bis in die letzte Ecke auf die Nicht-Farben schwarz, weiß, graus und „transparent“ beschränkt hat, es bedeutet, dass – jenseits vom Glasdach – keine runden architektonischen Formen im Haus vorkommen, kurz: dass er sich ein formales/sästhetisches Korsett angelegt hat. Das hat sicher niemand von ihm verlangt, es ist eine subjektive künstlerische Entscheidung, eine – pragmatisch betrachtet – unnotwendige Einschränkung. Aber die spielt er durch. Was dem Haus, auch jetzt schon, wo noch auf Hochtouren gebaut wird – das Hotel eröffnet Mitte November, der Konsumt
empel im Dezember –, Charakter verleiht.
Es stellen sich natürlich Fragen, und sie haben einerseits mit funktionellen Lösungen zu tun, andererseits mit dem Verhältnis zwischen Aufwand und Leistung. Es gibt da zum Beispiel eine grüne Wand vom französischen Landschaftsplaner Patrick Blanc, mit dem Nouvel auch schon früher zusammengearbeitet hat. Blanc hat eine sehr aufwendige Methode entwickelt, wie eine Vielzahl von Pflanzen auch senkrecht wachsen können. Vorweg: Diese Grünwände sind einfach unglaublich schön. In Wien schirmt so eine Wand auf 600 Quadratmetern die langweilige Umgebung ab – mit 20.000 Pflanzen. Nur ist diese Wand definitiv der Hintergrundprospekt für die Anlieferung, als Besucher, Kunde, Gast sieht man gegebenenfalls Bruchteile davon. Preis–Leistung?

Oder im „Einkaufstempel“: Es ist eine Binsenweisheit, dass die Lage im Erdgeschoß privilegiert ist und es immer darum geht, den Besucherstrom nach oben zu lenken. Aber dazu muss man sehen, dass es oben weitergeht, man braucht eine Ahnung, was oben ist. Dem hat Nouvel mit seinen undurchsichtigen Brüstungen einen Riegel vorgeschoben.
Im Hotel fallen auch einige architektonische Tatbestände auf, die zu denken geben. Die Hotelgänge sind so schmal. Wenn da einer vom Personal mit einem Wagerl fährt, kommt der Gast kaum daran vorbei. „Aber wir haben ja zwei Gänge“, sagt Ernst Morgenbesser, Vertreter der Bauherrschaft, „wenn Sie die zusammenlegen, dann geht es sich wieder aus.“ Die Zimmer und Suiten sind nach dem „Designer“-Hotel-Anspruch ausgestattet, mal grau, mal weiß, von den rein schwarzen Suiten sind aber nur drei übrig geblieben, dem Hotelbetreiber Accor war das Risiko dann doch zu groß.

Eine Frage ist auch, wie der Top-Restaurant-Betrieb ganz oben wirklich funktionieren wird. Die Gäste kommen in einer Liftlobby an, die aber auch vom Service-Personal des Restaurants durchquert wird. Also kreuzen sich die ankommenden Gäste und das Personal mit den Speisentabletts.

Wenn man genau hinschaut, dann gibt es eine Menge funktioneller Einwände zu diesem Haus. Und es gibt die Frage, welchen Wert nun ein Konzept hat, das sich nicht am – kommerziell begründeten – Pragmatismus unserer Tage orientiert. Ich vertrete die Ansicht, dass es auch Sonderbauten geben muss und soll, die etwas verwirklichen, das die Grenzen der kommerziellen Logik sprengt. Es ist ganz toll, wenn sich ein Bauherr auf so etwas einlässt. Natürlich kann man sagen, na, die haben es ja; und sie nehmen es von ihren Kunden. Sie hätten es aber auch ganz anders machen können – die Phalanx architektonischer Banalitäten am Donaukanal singt geradezu das Hohelied davon. Die Uniqa hat sich den Luxus geleistet, etwas zu finanzieren, das den gängigen Kriterien zuwiderläuft. Egal, was dabei herausgekommen ist – an die Hauptwerke von Nouvel, das waren wohl doch seine Kulturbauten –, reicht das Haus am Donaukanal nicht heran. Es ist jedenfalls ein Segen, dass auch wir in Wien solche Bauherren haben.

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