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Nutzung: der beste Schutz des Denkmals
Spectrum

Respekt vor dem Historischen und zugleich ein entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen: der Umbau eines 230 Jahre alten Nutzbaus in der Wiener Sensengasse zu einer hoch technisierten Universitäts-Zahnklinik.

20. November 2010 - Iris Meder
Wenn ein 230 Jahre alter denkmalgeschützter Nutzbau zu einem hoch technisierten medizinischen Zentrum umgebaut werden soll, ist das keine geringe Herausforderung. Der Umgang mit dem architektonischen Bestand ist allerdings eine Bauaufgabe, die in Bedeutung und Umfang sicher noch zunehmen wird.

Daher zählt es mehr und mehr auch zu den Anforderungen an Architektur, nicht nur Idealbauten für die grüne Wiese zu planen, sondern sich auch mit den Gegebenheiten eines historisch gewachsenen Gefüges auseinandersetzen zu können. Zu denen, für die ein Umbau sogar interessanter ist als ein Neubau, gehört Manfred Nehrer. Mit seinem Büro Nehrer + Medek und Partner gewann er 1993 den EU-weiten Wettbewerb für den Bereich des alten Allgemeinen Krankenhauses (AKH) zwischen Josephinum und Narrenturm. Der Erfolg gab den Planern Recht: 1999 gewannen sie auch den nach diversen Änderungen in der Nutzungskonzeption ausgeschriebenen zweiten Wettbewerb für die Universitätszahnklinik auf demselben Areal.

„Nutzung ist die beste Art von Denkmalschutz. Das Zusammentreffen von Alt und Neu ist ja das Interessanteste“, bringt Manfred Nehrer seinen Zugang auf den Punkt.

Das ehemalige Wiener Garnisonsspital, an dem einst Wundärzte ausgebildet wurden, wurde wie das angrenzende Josephinum nach Plänen von Isidore Canevale 1783 bis 1784 gebaut. Es ist geprägt durch den Pragmatismus der Josephinischen Zeit. Analog zum benachbarten Allgemeinen Krankenhaus hat es großzügige Höfe – den „Kräuterhof“ und den „Garnisonshof“ –, um die sich lang gestreckte Trakte mit großen, hohen Krankensälen und großzügig belichteten hofseitigen Korridoren legten. Zur Sensengasse hin ist dem Gebäudekomplex ein kurioses kleines Robinienwäldchen vorgelagert, das unter Naturschutz steht.

Das Projekt von Nehrer + Medek, dessen erster Bauabschnitt jetzt unter der Projektleitung von Paul Steinmayr realisiert wurde, sah eine Erschließung des Komplexes von der Seite der Sensengasse vor, was für das gesamte architektonische Konzept bestimmend war. Zwischen dem nicht zugänglichen Stadtwäldchen und einem linkerhand neu gebauten Studentenheim wurde ein freier Vorplatz angelegt, der sich in Richtung Spitalgasse öffnet.

Von diesem ausgehend, definierten die Architekten eine rechtwinklig zur Sensengasse verlaufende Achse durch den Gebäudekomplex, die am Altbautrakt zwischen den beiden Höfen entlangläuft und die räumlichen Bezüge des Komplexes klärt. Leicht abgewinkelt wurde dem Altbautrakt hofseitig ein neuer Gebäuderiegel mit Glasfassade vorgelegt, ähnlich wie es im Universitätscampus des Alten Allgemeinen Krankenhauses geschah.

Durch die neue Erschließung wird die Außenwand des Altbaus zur Innenwand einer zentralen glasgedeckten Halle, die als Rückgrat des gesamten Komplexes, aber auch als Piazza und Wartezone fungiert. Trotz ihrer Größe vermeidet die Halle alle unangemessene Monumentalität. Hierzu tragen auch Details wie die nicht durchgehenden, sondern versetzt angeordneten Glas-Versprossungen und Bodenplatten bei. Ein Farbkonzept von Oskar Putz, das anstelle des vom Auftraggeber ursprünglich gewünschten Feng-Shui-Konzeptes zum Einsatz kam, prägt die Halle zusätzlich und korrespondiert mit den farbigen Projektionen des grafischen Leitsystems, das von Walter Bohatsch entwickelt wurde.

Die leicht konisch zulaufende Halle verteilt die Studierenden, Praktizierenden und Patienten der Zahnklinik auf die hofseitig mit Grünblick gelegenen Behandlungsräume, die im Neubauteil durch verschiedenfarbige Türen gekennzeichnet sind. Im Untergeschoß ist ein mit Eichenholz ausgekleideter Hörsaal für 240 Personen untergebracht, der natürliches Licht über eine Eintiefung im Hof erhält. Über dem Hörsaal fungiert eine ebenerdige holzbeplankte Terrasse als idyllischer Schanigarten einer Cafeteria.

Die autofreien Höfe mit erhaltenem altem Baumbestand gestaltete Anna Detzlhofer in zeitgemäßer abstrahierter Bezugnahme auf historische Strukturen. Im Altbauteil wurden die großen Raumhöhen beibehalten, in den neuen Stiegenhäusern nutzte man die Geschoßhöhen für Halbstöcke mit WCs. Innen wurden neue Fenster vor die restaurierten einfachverglasten Außenfenster des 19. Jahrhunderts gesetzt, die so nach wie vor das Außenbild des Altbaus bestimmen. Ebenso wurden die Dachgeschoße nicht ausgebaut – die alten Kamine dienen als Abluftkanäle, so dass der optische Eindruck der alten Dachlandschaft bestehen bleibt.

Im besonders schönen Bibliotheksraum konnte nach Rücksprache mit der Baubehörde die Eichenholzdecke von 1783 vollständig freigelegt werden. Ein neuer Eichenboden und Lesetische aus demselben Holz nehmen das historische Material in zeitgenössischer Form wieder auf, ebenso wie sich die Keramikfliesen der Neubauteile in ihrer Farbigkeit auf die historischen Sandstein-Bodenplatten beziehen. Der zweite Bauabschnitt wird unter anderem den am „Kräuterhof“ gelegenen neuen Festplatz und Festsaal der Medizin-Universität umfassen.

Respekt vor dem Historischen kennzeichnet die Verschränkung von Alt- und Neubauteilen ebenso wie ein selbstbewusstes, entspanntes Auftreten im Zeitgenössischen.

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