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Kein frommer Anstrich
Spectrum

15 neue Kirchenfenster, von Künstlern gestaltet, und eine Außenhaut mit einer ganzen Flut von Worten und Ausrufen: ein hintergründiger Kirchenumbau im Grazer Griesviertel.

18. Dezember 2010 - Karin Tschavgova
Umbau ist ein Wort mit hohem Symbolwert. Seit zwei Wochen zeigt sich die Kirche St. Andrä imGrazer Griesviertel im neuen Kleid. Es ist das äußere Zeichen einer vor rund zehn Jahren initiierten Öffnung, eines mit Beharrlichkeit und Konsequenz in Gang gesetzten Umbaus des Gotteshauses in einem Bezirk, dessen Ausländeranteil mit 30 Prozent der höchste der Stadt ist.

Zu jener Zeit, als die Vorstadtkirche zur Pfarrkirche wurde, nachdem das dazugehörige Dominikanerkloster durch Josef II. aufgelöst worden war, bildete der Stadtteil eine vitale Mischung aus Gewerbe- und Gastbetrieben, Fuhrunternehmen und Zinshäusern für Arbeiter der neuen, nahen Industriebetriebe. Heute ist das Handwerk fast ausgestorben, und viele der Häuser und Werkstätten sind desolat. Geblieben und neu hinzugekommen sind sozial Schwache: Arbeiter, Alte und Ausländer.

Der Pfarrer der Kirche St. Andrä beschloss, darauf zu reagieren. Hermann Glettler begann, die Kirche zu öffnen – für die afrikanische Gemeinde, die seither jeden Sonntag um zwölf Uhr ihre farbenfrohe, sangesfreudige Messe abhält, für lateinamerikanische Christen und Messen in Spanisch, für Ratsuchende, ehrenamtliche Helfer, die sich in kleinen Gruppen zusammenfanden und für ein Lerncafè, in dem Kinder und Jugendliche – meist mit Migrationshintergrund – Hilfe und Stütze erfahren.

Und der Pfarrer begann umzubauen. Das Besondere: Nicht etwa mehr Raum oder mehr Komfort waren sein Ziel, sondern die Transformation des Kirchenraums in einen spirituell aufgeladenen Ort durch Kunst. Dem Theologen, der auch Kunsthistoriker ist, ist gelungen, namhafte Künstler dafür zu gewinnen, den 15 nach dem Krieg aus ökonomischen Gründen billig verglasten hohen Rundbogenfenstern neue Gestalt zu geben.

Aus einigen der Arbeiten lässt sich der Versuch einer Neuinterpretation des farbigen Kirchenfensters, das in der Gotik als integraler Teil des künstlerischen Gesamtkonzepts galt und immer großen Einfluss auf die Raumwirkung ausübt, ablesen.

In den Fenstern von Johanna Kandl, Gustav Troger, Michael Kienzer und Flora Neuwirth dominiert Farbe. Michael Kienzer lässt eine Folge von sieben Farben im Monitor von übereinander angeordneten, in die Laibung montierten Flachbildschirmen entstehen. Tageslicht fällt, kontrastierend, nur durch Ritzen und Abstände zwischen den Geräten ein, die zudem einen deutlichen Verweis auf die uns beherrschende Bilderzeugung des 21. Jahrhunderts geben. Flora Neuwirth arbeitet mit nur einer Farbe. Magenta als eine der vier Druckfarben ist für sie die konzentrierte Bedeutungsessenz einer farben- und reizüberfluteten (Werbe-)Welt. Ihr Fenster nach Westen – mit Glas, Rahmen und Laibung total in Farbe – strahlt eine staunenmachende ästhetische Wirkung aus, ist reine Poesie. Andere lösen ihre Fensterarbeit aus der ursprünglichen Bedeutung, farbig leuchtende, Licht dämpfende Membrane zwischen kirchlicher und profaner Welt zu sein.

Lois Weinbergers Fenster mit schwarzer Schrift in glasklarem Grund bringt uns den zwar tagtäglich, aber meist nicht worttreu verwendeten Ausspruch „Oh mein Gott“ in seiner Sinndeutung ins Bewusstsein. Manfred Erjautz „A short break in time“ ist ein in seiner Wirkung ungemein starkes und zugleich sympathisch lapidares Ergebnis von gedanklicher und handwerklicher Präzisionsarbeit. Schön auch, wie diese Arbeit in der Taufkapelle auf die dominierende Vertikalausrichtung des dort stehenden kunstvollen Dreifaltigkeitsaltars von 1770 eingeht. Zwei in wenigen Metern Abstand einander gegenüberliegende Fenster sind in gegenläufigen Krümmungen ausgebuchtet, das linke konkav nach innen, das rechte konvex nach außen. Beide sind wie die ursprünglichen Fenster mit schmiedeeisernen Gittern versehen, die exakt den Krümmungen entsprechend nachgebaut wurden. Das daraus entstandene Bild gleicht der Momentaufnahme einer dynamischen Horizontalbewegung. Eines Windsogs? Wer weiß? Sicher ist, hier hat sich etwas bewegt.

Markus Wilfings Fenster und jenes der Gruppe G.R.A.M. haben trotz ihrer Unterschiedlichkeit in Wirkung, Material und Technik etwas gemeinsam: Ihr Symbolwert thematisiert auch die radikal konsequente Öffnung der Kirche an diesem Ort. Markus Wilfing, dessen Uhrturmschatten als eindrucksvollste Arbeit im öffentlichen Raum der Kulturhauptstadt Graz 2003 in Erinnerung blieb, montiert in die transparente Fixverglasung einen Aluminiumrahmen mit Glastüre – eine Türe im Fenster, hoch oben, scheinbar schwebend. Damit öffnet er den sakralen Raum nach außen, in profane Alltagswelten, aber auch nach oben, ins Geistige und schafft ein starkes Bild, das viele Interpretationen zulässt. Günther Holler-Schuster und Martin Behr von G.R.A.M. verwandeln einen in Afrika auf der Straße gefundenen Negativstreifen mit den Portraits festlich gekleideter schwarzer Frauen in transluzente Symbolkraft.

„Seid alle willkommen“ – in der Ausstattung der Kirche durch und mit Kunst will der im besten Sinne eigensinnige Pfarrer Glettler ein Zeichen der Offenheit setzen und ist überzeugt davon, dass dieses von vielen der Kirchenbesucher so empfunden wird. Kunst ist Gastgeschenk, denn „die Kirche ist der Ort, an dem Gastfreundschaft gelebt werden muss“. Akzeptanz und Verstehen der einzelnen Werke sind ihm dabei weniger wichtig als der Dialog, der in der Auseinandersetzung mit Kunst entstehen kann. Der Seelsorger will Reibung, Diskussion provozieren, weil sie im besten Fall in ein Gespräch über die großen existenziellen Fragen des Menschseins münden kann.

Genau aus dem Grund wurde die Außenhaut gezielt so gestaltet, wie sie sich nun allen, auch den bislang nur Vorübergehenden, präsentiert. Der Künstler Gustav Troger, von dem auch Interventionen im Kirchenraum stammen, hat die Fassade mit einer ganzen Flut von Worten und Ausrufungen versehen, die der „Illustration“ einzelner Farben der Adler-Farbkarte entnommen sind. Jedem Farbton ist farbgleich ein Wort in einer bestimmten Schriftart zugeordnet. „Skepsis, Rosine, Bald! Musterknabe und Maikäfer flieg!“ in Arial, Times New Roman und anderen stellen nur einen Augenblick lang die Frage nach dem Warum, erzeugen zugleich Neugier und ein Bedürfnis nach mehr Erfassen, um gleich darauf zu Assoziationen und Fragen anzuregen und zur Rückkoppelung an die Welt rundum.

Der funktionelle Nutzen dieses Kirchenumbaus ist hintergründig, der Anstrich dieserKirchenfassade kein frommer – aber beides ist ein spannungsgeladener und dadurch aktueller Beitrag zu Fragen und Problemen, die in einem Quartier entstehen, in dem so viele fremd sind. Es ist eine legitime Antwort auf die Notwendigkeit interkultureller Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Anderen, Gewöhnungsbedürftigen.

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