Artikel

Der Wille zur Welt
Spectrum

Als einziges der von Robert Kotas gestalteten Kinos hat das „Gartenbau“ das große Kinosterben unbeschadet überstanden. Zum Glück! Sein Bau vor 50 Jahren brachte einen Touch von Internationalität an den Wiener Parkring.

15. Januar 2011 - Iris Meder
Kirk Douglas trug schwarze Lack-Ballerinas. Seine gut gelaunte Anwesenheit bei der Eröffnung des Gartenbau-Kinos anlässlich der Österreich-Premiere seines Films „Spartacus“, des seinerzeit teuersten Films der Welt, im Dezember 1960 ist in zahlreichen Schnappschüssen dokumentiert. Auch die mieselsüchtigen Mienen des neben ihm und seiner Frau in der ersten Reihe platzierten Paares. Es ist wohl ein bezeichnendes Bild für die Wiener Dualität eines Willens zu Weltläufigkeit und Fortschrittlichkeit, gepaart mit einer prinzipiellen Skepsis und misstrauischen Selbstbeschränkung.

Für hiesige Verhältnisse griff das Gartenbau-Kino, dessen 50-jährige Geschichte derzeit in einer von Fiona Liewehr und Norman Shetler kuratierten Ausstellung vor Ort dokumentiert wird, durchaus ins Volle. Wie für die Einrichtung des Vorgängerbaus in den Blumensälen der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft lag die Konzeption und Gestaltung des 900 Zuschauer fassenden neuen Kinos beim Architekten Robert Kotas. Das Kino war Teil eines Neubauprojektes der Architekten Erich Boltenstern und Kurt Schlauss, das mit seiner längs zur Straße gestellten Hotel-Hochhausscheibe die geschlossene Struktur der historistischen Ringstraßenbebauung durchbrach und damit für heftige Proteste privater Denkmalschutz-Organisationen sorgte. Letztlich brachte der Bau mit seiner schlanken, filigranen Struktur aber doch einen Touch von Internationalität an den Parkring, wozu vor allem auch das elegante, großzügige Kino mit seinem gleißend erleuchteten verglasten Eingang beitrug.

Der aus Mährisch Ostrau gebürtige Kotas, Architekt der KIBA seit der frühen Nachkriegszeit, war als nicht nur in architektonischen, sondern auch in technischen Fragen versierter Kino-Spezialist in Wien fast konkurrenzlos. Als Schüler von Clemens Holzmeister und Carl Witzmann hatte er sein Handwerk bei zwei der renommiertesten Theater-Architekten gelernt. Kotas' erster Kino-Großbau war 1950 das in der ehemaligen Markthalle Stadiongasse untergebrachte Forum-Kino. Bereits im Foyer punktete der außen eher abweisend als monolithische Garage verkleidete Bau mit einer ungewohnten und von der Kritik besonders positiv hervorgehobenen Weiträumigkeit, die unter anderem auch die Präsentation von Skulpturenaustellungen erlaubte. Weich und fließend schwang sich die zweiarmige Freitreppe auf die Empore, die Ränge im 1147 Zuschauer fassenden Kinosaal führten den weichen Bewegungsfluss weiter.

Kotas' Kino-Erfolge setzten sich fort, im Kolosseum-Kino, im intellektuell anspruchsvoller programmierten und mit schicken Schwarzweiß-Kontrasten und klarer Geradlinigkeit auch entsprechend gestalteten Studio 1 des Flotten, im Tuchlauben, Opern, Stadtkino, Rabenhof und zahlreichen anderen, die heute verschwunden oder stark verändert sind. Dabei entwickelte Kotas auch eine Art Corporate Design mit eigenen Schrifttypen innerhalb der Ikonografie der Bauaufgabe Kino. Dennoch behielt jedes Haus gemäß seiner Umgebung und Dimension einen eigenen Charakter.

Das Gartenbau bot, anders als die anderen, durch seine Situierung in einem Neubau, die Chance, die Räumlichkeiten des Premierenkinos ohne vorgegebene bauliche Beschränkungen zu planen. So ist das Foyer des Gartenbau mit seiner theatralisch inszenierten Staffelung von Raumschichten mit Freitreppen, Emporen, Verengungen und Aufweitungen noch heute beeindruckend. Kotas übernahm neben dem architektonischen Entwurf nicht nur die Organisation der technischen Infrastruktur (wie der in die Stahlstützen der Sitze integrierten Entlüftungen), sondern widmete sich auch gestalterischen Detailaufgaben bis hin zu Café-Sitzbänken und Notausgangs-Schildern. Die aus Gründen der Raumakustik aus Platten mit zehnerlei verschiedenen Oberflächen zusammengesetzte Saaldecke komponierte Kotas zu einem auch farblich differenzierten abstrakten Bild.

Auch im Foyer gehen die künstlerischen Arbeiten großteils auf Kotas' Entwürfe zurück – so die konstruktivistische Mosaikwand im Gang zu den Toiletten. Neben der auf einem einzigen Träger ruhenden Treppe zur Café-Empore zählt die unverändert erhaltene Wand zu den schönsten Details des Hauses. Das großformatige hinterleuchtete Glasbild über dem Zugang zum Zuschauerraum stammt vom Künstler Johannes Peter Perz.

Ohne sich am extrovertierten Glamour Hollywoods zu orientieren, entwickelte Kotas eine adäquate zeitgenössische Formensprache für das, zumindest am Standort Ring, durchaus festliche gesellschaftliche Ereignis Kinobesuch. Auf den Architekturzeichnungen aus seinem Büro sind fast alle Besucherinnen in langen Kleidern dargestellt, im Zuschauerraum bot die KIBA vor dem Hauptfilm allabendlich moderierte Modeschauen. Vor der üppig bemessenen Leinwand von acht mal 17 Metern wurde für das kurzlebige „Cinemiracle“-Verfahren, bei dem mit drei Projektoren ein Surround-Effekt erzielt wurde, eine noch größere parabolförmig gebogene Projektionsfläche eingebaut.

Dass das Gartenbau als einziges der zig von Kotas in Wien und ganz Österreich eingerichteten Häuser das große Kinosterben nicht nur überlebt, sondern auch weitgehend unbeschadet überstanden hat, ist ein (zuletzt auch vielen privaten Aktivisten zu dankender) großer Glücksfall. Das von Leo Kammel gestaltete Weltspiegel-Kino am Gürtel beherbergt heute ebenso wie das von Albrecht F. Hrzan geplante Löwen-Kino einen Supermarkt. Geschlossen ist Karl Schwanzers Kolibri, verändert Rudolf Vordereggers Kosmos. Kotas' liebstes Kind, das Forum, wurde 1972 zugesperrt, das Gebäude 1975 abgerissen. Als Großkino hatte es mit dem Gartenbau eine letztlich zu starke Konkurrenz bekommen. Mehr Glück hatte Hrzans Filmcasino, das 1989 von Elsa Procházka restauriert und adaptiert wurde. Heute ist es neben dem Gartenbau der letzte authentische Zeuge der Wiener Kinokultur der Nachkriegsära. Mit ihren Auslagen und erleuchteten Foyers waren die zahllosen Lichtspielhäuser nicht zuletzt auch wichtige Bestandteile des großstädtischen öffentlichen Raums, die heute großteils verloren sind.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: