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Chance vertan
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Eine Wiener Mustersiedlung hätte es werden sollen, nördlich des Heeresspitals. Sieben österreichische Biennale-Architekten haben daran gearbeitet. Gescheitert ist das Projekt, weil der Bauträger eine Erhöhung der Bebauungsdichte verlangte.

5. März 2011 - Franziska Leeb
Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, dass der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig „ die Entwicklung innovativer Bau- und Wohnkonzepte an der Schnittstelle von Architektur, Nutzerfreundlichkeit und Leistbarkeit“ als „ein Gebot der Stunde“ beschwor und zugleich ein Projekt, dass eben diese Innovationen leisten möge, vorstellte. Die sieben zum Thema Wohnbau im österreichischen Pavillon bei der Architektur- Biennale 2008 in Venedig vertretenen Architekturbüros, Maria Flöckner und Hermann Schnöll, Henke und Schreieck, Jabornegg & Pálffy, Marte.Marte, Wolfgang Pöschl/Tatanka Ideenvertriebsgmbh., Riegler Riewe und Gerhard Steixner, wurden beauftragt, rund 200 Wohnungen umzusetzen. Laut der österreichischen Biennale-08- Kommissärin und Anstoßgeberin für die Mustersiedlung, Architektin Bettina Götz, waren die Ansprüche an das Projekt hoch. Von Hinterfragung gängiger Bebauungsplanung im Wohnbau über neue Wohntypologien bis hin zu technologischen Innovationen sollten aus dem Projekt neue Erfahrungen und Rückschlüsse gewonnen werden. Auf die wird man weiterhin warten müssen. Die Architekten sind aus dem Werkvertrag mit dem Bauträger ausgestiegen, weil sie die verlangte Bebauungsdichte für den Standort nicht vertreten können.

Im März 2009 traf man sich mit der für den geförderten Wohnbau zuständigen Magistratsabteilung 50 und den Vertretern der Bauträger, um die Weichen für eine Realisierung auf einem Grundstück im Stadtentwicklungsgebiet nördlich des Heeresspitals zu stellen. Zwei Monate später folgte ein Workshop im Architekturzentrum, bei dem auch die für die Flächenwidmung zuständige Magistratsabteilung 21 vertreten war. Bei diesen Gelegenheiten deponierten die Architekten, dass die vorgegebenen Parameter für die Bebauung in hohem Ausmaß definiert sind und daher die Entwurfsfreiheiten stark einschränken. Eine Widmung, innerhalb deren eine maximale Dichte frei durch die Architekten verteilt werden könne, wäre wünschenswert, auch um später Ausnahmeregelungen, sprich „ unwesentliche Abweichungen von den Bebauungsbestimmungen“ nach Paragraf 69 der Wiener Bauordnung, zu vermeiden. Die zu diesem Zeitpunkt bestehende Widmung wurzelte in einem 1999 abgehaltenen städtebaulichen Wettbewerb. Gewonnen hatte diesen Architekt Johannes Kastner-Lanjus, der 2008 mit einer Verdichtung von 450 auf mehr als doppelt so viele Wohnungen auf dem Gesamtareal beauftragt wurde.

Nachdem das Baufeld für die Mustersiedlung, ein Grundstücksstreifen im Süden des Entwicklungsgebietes, definiert war, wurde fortan an einem gemeinsamen Ganzen gearbeitet. Einfach war es nicht, sieben unterschiedliche Positionen in einem Projekt zu vereinen, das geben alle Beteiligten zu. Dennoch war die Stimmung gut, das Arbeitsklima produktiv, und man habe in den Diskussionen voneinander profitiert. Geeinigt haben sie sich schließlich auf eine zusammenhängende Bebauung mit offener Hofstruktur, in der jedes Architekturbüro einen Abschnitt bearbeitet. Herausgekommen ist ein durchaus bemerkenswertes Konglomerat unterschiedlicher Wohnungstypen mit einem starken Fokus auf ein attraktives Wohnumfeld. In einer weitgehend für gemeinschaftliche Nutzungen freigehaltenen Erdgeschoßzone sollte man von einem Milieu zum anderen gelangen. Für benachbarte Abschnitte wurde jeweils eine gemeinsame Erschließung erarbeitet, was wirtschaftlich sinnvoll ist und die Verschränkung in den oberen Geschoßen gewährleistet. Ein außerordentlich hoher Anteil von Gärten, Loggien und Terrassen, als Wohnräume im Freien, war selbstverständlich. Eine geeignete bautechnische Variante konnte nicht mehr gefunden werden, angepeilt wurde jedoch ein modulares System, das auf alle Wohnungstypen angewendet wird, um den Bau wirtschaftlich abzuwickeln. Immer wieder wurde das Projekt mit der Wohnbaugesellschaft, der Kabelwerk Bauträger GmbH, besprochen und schließlich der Magistratsabteilung 21 zur Anpassung der Widmung vorgelegt. Spätestens als ein großzügigerer Rahmen in Aussicht gestellt wurde, als zur Realisierung des vorgelegten Projektes notwendig gewesen wäre, hätten die Alarmglocken schrillen müssen. Im guten Glauben, dass somit Luft für eine einfachere Umsetzung des vorgelegten Konzeptes geschaffen würde, verschwendeten die Architekten keinen Gedanken an eine weitere Verdichtung. Man hatte sich schließlich auf ein Projekt geeinigt, das über eine aus städtebaulicher Sicht für die Stadtrandlage angemessene Dichte verfügt, und wähnte sich zudem durch den Architektenwerkvertrag und das initiale Interesse des Wohnbaustadtrates abgesichert.

Ein Irrtum, wie sich Anfang September 2010 herausstellte, als die Wohnbaugesellschaft den Architekten mitteilte, dass die höhere Widmung auszunutzen sei. Statt 208 Wohnungen, wie im kaum mehr als zwei Monate zuvor abgeschlossenen Architektenvertrag festgehalten, sollten nun 340 realisiert werden. Kabelwerk-Geschäftsführer Peter Fleissner begründet die Verdichtung mit den durch die unerwartet hohe Widmung gestiegenen Grundstückskosten, deren Bewertung sich an der erzielbaren Nutzfläche orientiert. Zudem hätte in der letzten Widmungsphase die Stadtplanung im südlichen Teil zusätzliche Grundstücksfläche der Widmung zugeschlagen, die vom Bauträger dazugekauft werden musste. Würde die Wohnungsanzahl nicht erhöht, werden die einzelnen Wohnungen teurer.

Eine derartige Auftragsvergrößerung löst im Normalfall große Freude bei den Planern aus. Nicht so in diesem Fall, wo sich die Architekten bereits an der Grenze der in dieser Lage für sie vertretbaren Dichte bewegten und man überdies zuvor nie darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass das Widmungspotenzial auszunützen sei. Ein Schreiben, das Wohnbaustadtrat Michael Ludwig von der „ unerwarteten Wende“ des Projektes in Kenntnis setzte und das Interesse an der Realisierung einer Musterwohnanlage in Wien bekräftigte, blieb unbeantwortet. Ob der Unvereinbarkeit von Bauherrenwunsch und architektonischem Konzept stiegen die Architekten aus dem Vertrag mit dem Bauträger aus. Es sei ein idealistisches Projekt gewesen, so Bauträger Fleissner, das man gern realisiert hätte. Leider wurde die Widmung höher und waren die Architekten nicht flexibel genug, darauf zu reagieren. Ein Lapsus mit Folgen oder doch Kalkül? Wer profitiert davon, dass die räumliche Qualität für Anrainer und künftige Bewohner gemindert wird? Eine Chance ist vertan. Wie auf Anfrage der „ Presse“ das Büro des Wohnbaustadtrates mitteilt, werde es kein neues Grundstück für dieses Projekt geben. Mit der Vermittlung der Architekten an den Bauträger habe man seinen Teil erfüllt. Bedauerlich, dass sich diese nicht einigen konnten. Leistbares Wohnen, Wohnzufriedenheit und mehr Nachhaltigkeit seien die aktuellen Schwerpunkte. Genau das und noch mehr wollten die sieben Architekten. Es bleibt die Hoffnung, dass das Scheitern dieses so engagiert in Angriff genommenen Projekts zumindest einen Anlass liefert, über Instrumentarien nachzudenken, die den geförderten Wohnbau aus der Geiselhaft der Bodenpreise befreien.

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