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Wie Schafe auf der Wiese
Spectrum

Sanfte Faltungen, beiläufige Nettigkeiten, gut strukturierte Freiräume: Eine neuer Stadtteil an der U2 wartet mit allerhand Erfreulichem auf. Ein paar Enttäuschungen gibt's auch.

9. April 2011 - Franziska Leeb
Während man sich am künftigen Ende der U-Bahn-Linie U2 noch bis mindestens 2013 per Smartphone-Anwendungin die erweiterte Realität wird begeben müssen, um die Seestadt Aspern in ihren Dimensionen zu erfassen, braucht es in anderen Teilen des Donaustädter Stadtentwicklungsgebietes entlang der U-Bahn-Trasse keinerlei Wahrnehmungshilfen mehr, um die Wirklichkeit zu begreifen. Vorläufig endet die U2 an der Aspernstraße. Eva Česka und Friedrich Priesner (gemeinsam mit Georg Hurka „Česka Priesner Partner Architektur“ – kurz ČPPA) haben im Jahr 2000 ein städtebauliches Gutachterverfahren für das Areal gewonnen. Als Vorgaben hatten sie damals nur die Trassenführung der U-Bahn und die Lage der Station, aber keine Bebauungsdichten zu berücksichtigen. Die nicht unheikle Aufgabe, am Stadtrand ein neues Wohnquartier mit sämtlicher notwendiger Infrastruktur zu etablieren und die Themen Wohnen am Stadtrand und Urbanität in Einklang zu bringen, lösten sie durchaus überzeugend. Westlich der Trasse sahen sie einen breiten Grünzug vor, der im Bereich der Station zum Platz wird. Entlang dieser öffentlichen Freiräume sollte soziale Infrastruktur wie Kindertagesheime angesiedelt werden. Zur Erzherzog-Karl-Straße hin war ursprünglich ein Block mit Freizeit- und Sporteinrichtungen vorgesehen. Dreigeschoßige Randbebauungen sollten die Wohnquartiere entlang der Lavaterstraße und den Querachsen säumen, dazwischen schlugen sie in lockerer Struktur ein Gewirk aus niedrigen Baukörpern mir vielen privaten und halböffentlichen Freiflächen vor. Als städtische Geste war entlang des Platzes eine Spange aus oberirdischen Parkdecks mit Bürogeschoßen und einem Studentenheim vorgesehen, die dem zentralen Platz ein bauliches Rückgrat gibt und, indem sie die Trasse überbrückt, die Barrierewirkung derselben aufhebt.

Etwas mehr als zehn Jahre nach diesem einstimmig entschiedenen Wettbewerb ist vorerst von diesem Leitprojekt nicht mehr viel zu spüren. Es wurde nachverdichtet, und Wohnbau macht sich dort breit, wo im Wettbewerb gewerbliche oder öffentliche Bauten sinnvoller wären. Die Büro-Spange kam nicht. Stattdessen entsteht hier im Anschluss an den vom Architekten der U-Bahn-Stationen, Paul Katzberger, wunderbar großzügig als Spiel- und Aktionsfläche konzipierten Platz ein Wohnblock mit sieben über einer Geschäftszone gestapelten Geschoßen. Einen Block weiter westlich ersetzte man die vorgesehenen Sporteinrichtungen durch einen apart anmutenden Wohnbau, der die Widmung mit einer abgetreppten Gebäudefront schlau ausnützt und von pool Architektur stammt. Laut Beschreibung der Architekten dient er als „Lärmschutzwand für das dahinterliegende Wohngebiet“. Leider hat es aber trotz Höhenabstufungen auch die Sonne schwer, zu den niedrigen Bauten im Anschluss durchzudringen. Dahinter aber geht es im Sinne des Leitprojektes von ČPPA weiter, die wie üblich als Sieger des städtebaulichen Wettbewerbes mit der Planung eines Quartiers beauftragt wurden, dem wir uns hier ausführlicher widmen wollen. Gleichzeitig entstanden zwei weitere Quartiere, für die Room8 sowie AllesWirdGut gemeinsam mit feld72 verantwortlich zeichnen.

Ihre Bauherren durften sich Česka und Priesner selbst wählen und schätzen sich mit der Auswahl von GEWOG und WBV-GPA auch im Nachhinein glücklich, weil sie von ihnen nicht genötigt wurden, die mögliche Dichte auszunutzen. Andreas Fellerer und Jiři Vendl wurden als Kooperationspartner ins Boot genommen.

Ein schlichter Riegel mit vier Wohngeschoßen über einer mit Gemeinschaftsräumen und Büros genutzten Erdgeschoßzone fasst die Siedlung zur Lavaterstraße hin. Man kommt ohne spektakuläre Gesten aus. Statt dessen: sanfte Faltungen, wie in der Loggienzone des Straßentrakts oder den hölzernen Brüstungen der Terrassenhäuser dahinter, die der strengen Orthongonalität der Baukörper die Härte nehmen. Auffallend ist, mit welcher Feinfühligkeit zahlreiche Nettigkeiten ganz beiläufig Aufenthaltsqualität und Nutzbarkeit der privaten Freiräume verbessern. Dazu zählen die Ablagebretter unter den Terrassen- und Balkonbrüstungsoberkanten, die Blumentöpfe und andere Dinge von außen unsichtbar aufnehmen.

Die dreigeschoßigen Terrassenhäuser bilden das Zentrum der Anlage. Nach Südwesten orientieren sich die Zimmer und Aufenthaltsräume an Terrassen und Gärten. Westlich abschließende Kopfbauteile bergen Fahrrad- und Kinderwagenabstellräume in sinnvoller zentraler Position und zuoberst Waschküchen mit angrenzenden Gemeinschafts-Dachterrassen. Im Gegensatz zur wohnlichen, sonnigen Seite mit den Holzbrüstungen präsentiert sich die schattigere Laubengangseite kühler, besticht aber trotz der offensichtlich notwendigen Pragmatik mitsorgfältig überlegten Details und dezenten Stimmungsmachern, wie den weißen Lochblechbrüstungen mit Lilienornament.

Schön gelöst sind auch die Vorbereiche der locker, wie grasende Schafe angeordnetenReihenhäuser. Betonscheiben formen und überdecken ein attraktives Entrée in den Garten und stellen einen uneinsehbaren Winkel für Spiel- und Gartengeräte bereit. Eine weitere schmale Sichtbetonscheibe überdeckt den Hauseingang und das breite Wohnzimmerfenster, dem außen noch ein Holzwinkel als Sitzbank vorgelagert ist.

Großen Anteil daran hat die Freiraumgestaltung von Maria Auböck und János Kárász,die sich bauplatzübergreifend durch alle vierQuartiere zieht. Eibisch- und Hainbuchenhecken säumen die Mietergärten, von denenjeder mit einem Obstbaum bedacht wurde. Teilweise ist das Gelände sanft moduliert, Baumgruppen setzen Akzente, die Spielplätze sind mehr als nur eingezäunte Ebenen mit den ewiggleichen Standardgeräten. Die Erdgeschoßzone an der Lavaterstraße erhielt durch große Pflanzvitrinen grüne Akzente. Auch wenn das Grün noch Zeit zur Entfaltung braucht: Dank der Stellung der Baukörper zueinander, ausreichender Distanzen dazwischen und gut strukturierter Freiräume, erlebt man den Freiraum auch als siedlungsfremde Passantin schon jetzt mit Wohlgefühl. Schade nur, dass das städtebauliche Konzept im Lauf der Jahre so erodiert ist.

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