Artikel

Hölzerne Heimat
deutsche bauzeitung

Büroporträt des »Holzbauers« Christian Lehmann aus St. Georgen

Architektonisch sei der Schwarzwald ein »Notstandsgebiet«, meinen manche und blicken neidisch nach Vorarlberg mit seinen durchaus vergleichbaren Ressourcen. Doch es keimt auch hierzulande Hoffnung auf: Mitten im Südschwarzwald entwickelt ein gelernter Zimmermann Holzbauten von eigentümlicher Schönheit und Effizienz. Dabei setzt er auf einen Verbund von Fachleuten, ganz wie in der Musterregion hinter dem Bodensee.

11. April 2011 - Christoph Gunßer
Das Beste an St. Georgen ist, dass es zwischen den Boom-Regionen von Freiburg und dem Bodensee liegt. Auf dem »Scheitel Alemanniens« selbst gedeihen scheinbar keine besonderen Orte. »Wenn Sie heute über unsere Schwarzwaldhöhen fahren, können Sie in Neubaugebieten nicht mehr erkennen, ob das ein Schwarzwalddorf ist oder ein Ort in Hessen oder sogar in Norddeutschland«, klagt Christian Lehmann.

Er ist hier oben auf einem alten Sägebauernhof groß geworden, hat das Holz sozusagen in die Wiege gelegt bekommen. Also wurde er Zimmermann, Restaurator, Energieberater – und einer der gefragtesten Fachleute für zeitgemäßen Holzbau in der Region. Seine Projekte, die er teils alleine, teils mit befreundeten Architekten realisiert, wurden schon vielfach preisgekrönt. Doch auch er hat mehr in den benachbarten Ballungsräumen zu tun als im Schwarzwald, wo der Holzbau eigentlich zu Hause ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden hier 40 % der Gebäude aus Holz errichtet, in den Nachkriegsjahren waren es nicht mehr als 10 %, heute dürften es noch weniger sein.

Alles begann damit, dass Christian Lehmann in den 90er Jahren als Betriebsleiter einer großen Holzbaufirma mit Architekten zusammenarbeitete, die andere Formvorstellungen hatten als die gewöhnlichen von Krüppelwalm und Lochfassaden. V. a. Herbert Schaudt aus Konstanz prägte mit seinen filigran aufgelösten Strukturen eine ganze Generation junger Planer, die fortan geschosshohe Glasflächen, Holznetzfassaden und schlanke Dachränder entwarfen. Indes: »Alle wollen ein Flachdach haben, aber bauen können es die wenigsten«, soll Schaudt gesagt haben.

Holz-Netz-Werk

Doch Christian Lehmann wusste Rat. Bereits Ende der 80er Jahre hatte er an der Übertragung der nordamerikanischen Holzrahmenbauweise auf deutsche Vorschriften für den Bund deutscher Zimmermeister (BDZ) mitgewirkt und daraus ein eigenes Bausystem abgeleitet. Er teilte die Begeisterung der Architekten für lichte Räume und feingliedrige Konstruktionen. Früh setzte er sich für eine Zusammenarbeit in Netzwerken, ähnlich denen, die der Vorarlberger Szene immer wieder innovative Schübe bescheren, ein. Nachdem aus seiner abendlichen Teamarbeit mit den progressiven Architekten einige Aufsehen erregende Neubauten in Holzsystembauweise hervorgegangen waren, darunter der erste viergeschossige Holzbau in der Region (in Villingen-Schwenningen, gemeinsam mit Linie 4 Architekten), wagte Lehmann 2003 den Sprung in die Selbstständigkeit. Im Souterrain einer kleinen Wohnanlage, die er mitten im St. Georgener Teilort Peterzell aus heimischer Douglasie errichtete, betreibt er seither sein Büro. Im Haus wohnt der kräftige, zumeist stoppelbärtige Mann Anfang 50 mit seiner Familie (Lehmann hat fünf, z. T. schon erwachsene Kinder). Auf dem Schild der kleinen Firma steht – architektonisch pur – »lehmann_holz_bauten – beraten betreuen bauen«. Eine Sekretärin und ein Mitarbeiter sind vor Ort, während der Chef die Bauvorhaben besucht. Er ist froh, dass nicht wie in seinem früheren Job »50 Leute im Hof stehen, die beschäftigt werden wollen«. Zehn, zwölf Häuser im Jahr, das könne er gut schaffen, wenn er den Kontakt zu den Bauleuten nicht verlieren wolle. Er spricht ihre Sprache, duzt sich mit den meisten und setzt auf persönliche Beziehungen.

Die verhalfen ihm auch zu ersten Aufträgen in der näheren Umgebung, die wir hier dokumentieren. Ein Cousin betreibt die Zimmerei, in der Lehmann gelernt hat. Andere Handwerker und Architekten haben sich wie er aus großen Betrieben heraus selbstständig gemacht und auf dem Land angesiedelt.

Dieses Netzwerk ist Christian Lehmann wichtig, er »träumt davon, dass ´die Hölzernen´ an einem Strang ziehn« und »der Holzbau im Schwarzwald wieder zum Markenzeichen wird«. In Rundschreiben hält er Kollegen und Kunden über seine Vorhaben auf dem Laufenden und wünscht ihnen »Gottes reichen Segen«. Weltoffen, findig und doch verwurzelt, gelingt es dem Holzbauer Lehmann auf diese Weise, so etwas wie Heimat neu zu interpretieren.

Denn das alte Bild vom dunklen Tann mit heilen Höfen stimmt längst nicht mehr. Von den etwa 10 000 landwirtschaftlichen Anwesen im Schwarzwald werden nur noch rund 30 % im Haupterwerb betrieben, und jährlich werden es 3 bis 5 % weniger. Die typischen, mächtigen Eindachhöfe eignen sich nicht für moderne, effiziente Betriebsabläufe. Aus Bewunderung für diese Relikte einer anderen Zeit hat Christian Lehmann den Beruf des Restaurators gelernt, hat Studien und Erhebungen für mögliche Umnutzungen angestellt: Allein 1 500 m² Dach umzudecken kostet 100 000 Euro, zehnmal so viel wie beim üblichen Einfamilienhaus. Darüber ist Lehmann pragmatisch geworden – und erfinderisch.

Gengenbach: Langhaus im Schindelkleid

Von den vielen Wohnhäusern, die lehmann_holz_bauten schon realisiert haben, ist dies wohl das außergewöhnlichste, zugleich aber unauffälligste. Der Entwurf stammt von der Stuttgarter Architektin Dagmar Bürk Kaiser. In einer kleinen Talbucht des Kinzigtals, am Rande eines geschützten Weinbergs in Gengenbach, brachten die Planer das in zweiter Reihe stehende Haus fast zum Verschwinden, indem sie es nahezu komplett in Schindeln kleideten. Fünf Jahre nach Fertigstellung hat sich auf dem rauen, ungeschützten Holz so viel Patina gebildet, dass es in der Umgebung aufzugehen scheint. Schmal und hoch, trägt das Haus archetypische Züge. Allein die geschosshohen Glasflächen, dem Wohnwert geschuldet, und zwei kastenförmige Erker durchbrechen den ruhigen Umriss. Lehmanns effizientes Bausystem, das auf klare Raster, wenige Durchdringungen, Kastenelementdecken und einen reduzierten Schichtenaufbau in den kompakten Außenwänden setzt, bleibt in diesem belebten Familienhaus ganz selbstverständlich im Hintergrund. Muss man erwähnen, dass sich die mit entworfenen Einbaumöbel vorzüglich integrieren?

Die Schindeln, obwohl ein schwarzwaldtypisches Element, wurden hier nicht wie die Fensterrahmen und Erker aus heimischer Lärche gefertigt. Forschungen im Vorfeld – der Bauherr ist gelernter Förster – hatten ergeben, dass Lärchenholz dafür nur in höheren Lagen beständig genug ist (was man den exponierten Presshölzern und Balkonen heute schon ansieht). Kanadische Rotzeder, im Allgäu von Hand gespalten, war deshalb das Material der Wahl.

Ein verwandtes Haus, von derselben Architektin entworfen, entstand vor Kurzem jenseits des Schwarzwalds in Donaueschingen-Aasen. Hier bildet eine vertikale, dunkel lasierte Nadelholzschalung die Wetterhaut des wiederum sehr »puren« Giebelbaus. Er öffnet sich erst auf der Rückseite und am seitlichen Eingang in kastenförmigen Erker-Elementen. Im Innern tragen stählerne Stützen eine zentrale Galerie-Ebene.

Buchenberg: Die Wohnbox auf der Tenne

Von Weitem ist dem einsam oberhalb von St. Georgen gelegenen Tälerbauernhof kaum anzusehen, dass hier der Generationswechsel auf unkonventionelle Weise »über die Bühne« gegangen ist: Die Flur musste nicht durch ein neues Leibgedinghaus zersiedelt werden, denn die Familie der Tochter fand auf der Tenne Platz. Unter das mächtige, rund 12 m überspannende Gebälk des nicht mehr bewirtschafteten Hofs schob Christian Lehmann eine hölzerne »Box«. Auf der Süd- und Westseite halten Loggia und Wintergarten Abstand zum ansehnlich präparierten Gebälk, im Osten schmiegen sich Schlaf- und Kinderzimmer unter die Schräge. Nur ein schmaler Streifen der Dachdeckung wurde durch Glas ersetzt, Latten und Gebälk blieben erhalten. Ein Netz aus Latten – das Holz aus dem eigenen Wald – verbirgt rings um die Loggia die verglaste Südfassade.

Ausgetretene Dielen der von Werkstatt und Holzlager gerahmten »Brücke« (der befahrbaren Auffahrt) grenzen effektvoll an glattes Eichenparkett im eigentlichen Wohnraum. Der ist als Allraum gestaltet, von welchem die Zimmer über Einbauschränke abgeteilt sind. Das angenehm helle, nur vielleicht etwas hellhörige Ganze wird allein von einem großen Kachelgrundofen beheizt. Pfosten-Riegel-Fassade wie Einbauten sind ohne Schnickschnack sehr fein gestaltet, mit tatkräftiger Unterstützung des Bauherrn, der gelernter Orgelbauer ist. So ließen sich die 110 m² Wohnfläche für 150 000 Euro realisieren. Derzeit plant die Familie, wegen Nachwuchs', noch das Geschoss unter der Tenne auszubauen.

Langenschiltach: Ein Wohnzimmer für Milchkühe

Als Architektenkammer und Regierungspräsidium im vorigen Jahr den Architekturpreis »Baukultur Schwarzwald« auslobten, kamen nur 13 der 169 Einsendungen aus dem Bereich Landwirtschaft. Das ist bezeichnend für die, auch in dieser Region v. a. von billigen Fertigbauten geprägte Szene. Dass es auch anders geht, bewies Christian Lehmann auf einem Hof in Langenschiltach, unweit von St. Georgen. Die jungen Bauersleute wollten für ihre neue »Milchviehliege- halle« – so heißt ein Bio-Kuhstall im EU-Jargon – Holz aus dem eigenen Wald verwenden. In dem filigranen Skelettbau, den Lehmann entwickelte, sind 110 Festmeter Fichte verbaut. Einfach gesteckte Bohlenwände nach altem Vorbild umhegen die Liegefläche, so dass sich die 24 Kühe und 15 Stück Nachzucht sichtlich wohl fühlen. Dank Lowtech-Details lässt die Konstruktion je nach Bedarf Licht und Luft herein. Lediglich 135 000 Euro Baukosten für ein so individuelles »Wohnzimmer« für ihr Vieh freuten die Bauherren obendrein – eine Fertighalle wäre kaum günstiger gewesen. Von der gut eingepassten Photovoltaikanlage auf dem Trapezblechdach abgesehen, hatten es weder Material noch Planer oder Handwerker weiter als 10 km bis zur Baustelle. Regionales Bauen, wörtlich genommen.

Nach acht Jahren Selbstständigkeit zählt Christian Lehmann mittlerweile Menschen aus ganz unterschiedlichen Kreisen zu seinen Bauherren: Vom traditionellen Landwirt über aufgeschlossene Fach- und Führungskräfte der heimischen Industrie bis hin zum Ruhe suchenden Stadtflüchtling von weither. Alle schätzen die Verbindung von Innovation und Ortsbezug in seinen Bauten. Wir werden die Ideen, die auch in Zukunft vom kargen Scheitel Alemanniens herabkommen – oder dort oben für einen lebendigen, »hölzernen« Schwarzwald sorgen – also weiter mit Interesse verfolgen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: