Artikel

Design muss sein
Spectrum

Graz als Pensionopolis ist längst Geschichte. Die Stadt war 2003 EU-Kulturhauptstadt, ist Weltkulturerbe und nun laut Unesco eine „City of Design“. Ein Titel, der verpflichtet.

15. April 2011 - Karin Tschavgova
Zweifelsohne: Graz hat, was andere Städte nicht haben. Um von der Unesco den Titel City of Design zu erhalten, müssen Städte besondere Merkmale nachweisen: eine lebendige Designbranche, starke kulturelle Impulse im Bereich des Designs und der modernen Architektur, herausragende Designschulen, international bekannte Kreative und Gestalter und – last, not least – ein unverwechselbares „urban design“. Zehn Städte weltweit haben diesen Titel seit 2004 verliehen bekommen, darunter Buenos Aires, Shanghai, Berlin und Kobe. Design Cities veranstalten Messen, Events und Ausstellungen, die Design fokussieren und ihren „Creative Industries“ zu Bekanntheit und Wachstum verhelfen sollen.

Der Begriff Industrie in einem Atemzug mit Kreativität mag immer noch irritierend sein, und tatsächlich zielen viele Aktivitäten darauf, das wirtschaftliche Potenzial von Kreativität und Design zu maximieren. Folgerichtig stehen hinter den „Creative Industries Styria“, die seit Jahren unter Einsatz erheblicher Geldmittel die Nominierung zur City of Design betrieben haben, die steirische Wirtschaftsförderung, die Industriellenvereinigung, die Wirtschaftskammer und – mit zehn Prozent Beteiligung – die Stadt Graz. Motor und Schutzpatron dieser Initiative ist der Wirtschafts- und zugleich Kulturlandesrat, der als Ziel angibt, viele neue Arbeitsplätze schaffen zu wollen.

Die Beteuerung, dass der Titel nicht der Imagepolitur diene, sondern eine „gelebte Haltung und Ausdruck einer urbanen Kultur ist, die die bewusste, intelligente Gestaltung von Lebensraum als zentralen Wert ansieht“, mutet etwas unbedarft an. Nimmt man diese Aussage dennoch ernst, so stellt sich die Frage, was die Auszeichnung für die Stadt Graz bewirken kann – und vor allem wie ein Gestaltungsprozess strukturiert sein könnte und ablaufen müsste, um sichtbare Auswirkungen auf den urbanen Lebensraum der Grazer zu zeitigen. Zum „Wie“ trifft Eberhard Schrempf, der Geschäftsführer der seit 2007 bestehenden „Creative Industries Styria“, keine Aussage, wenn er auch erkennt, dass ein derartiger Prozess langfristig ausgerichtet sein muss. Richtig: Auch die Verankerung des skandinavischen Designs in den gelebten Alltag der Schweden und Finnen gelang nicht mit einem Handstreich.

Mit kontinuierlich hoher Bauqualität und durch Festivals und hochkarätige Ausstellungen profiliert Graz sich im Reigen der österreichischen Landeshauptstädte schon seit vielen Jahren und versucht damit, Anreize für den Städtetourismus zu schaffen. Der Anspruch von Stadt und Wirtschaft, sich nun als Designhauptstadt zu positionieren und dafür beträchtliche Mittel zur Verfügung zu stellen, berechtigt zur Erwartung, dass Stadtdesign umfassend neu definiert und behandelt wird. Was die „Creative Industries Styria“ in Hinblick auf die Titelverleihung bis jetzt „geliefert“ haben (in Anlehnung an die eigene, auf Wirtschaft zielende Begriffsfestlegung), sind punktuelle Interventionen im Stadtraum, die mehr mit oberflächlichen Bildern der Werbung operieren, als durchdachte, nachhaltige Gestaltungsprozesse zu manifestieren. Dazu zählt ein roter Straßenbelag, der der Belebung einer zentralen Gasse dienen soll, die seit Jahren als Einkaufsstraße kränkelt – Oberflächendesign, das weder originell noch ansehnlich ist. Auch die Möblierung des Vorfelds am Kunsthaus mit Sitzgelegenheiten in Buchstabenform, die den Satz „Graz ist ein Hotspot“ formen, stellt bestenfalls das dar, was Werner Sewing in einem Aufsatz über die Versuchung des Populismus als allgemeine Geschäftsgrundlage heutiger gestalterischer Praxis bezeichnet – die Synthese aus Pop, Subkultur und Kommerz.

Während auf Plakatwänden an zentralen Gebäuden vollmundige Aussagen zur Bedeutung von Design für Graz getroffen werden (die unbeabsichtigt auch die Unschärfe des Begriffs bloßlegen), wird zeitgleich auf dem Schlossberg ein Stück Stadtdesign realisiert, das Graz nicht zur Ehre gereichen wird. In den Kasematten, die bis jetzt zu den schönsten Freiluftbühnen zählten, wurde nach einem Beschluss, der in erster Linie wirtschaftlichen Interessen folgt, die Bühne neu situiert, um einen Durchgang zum Restaurant zu schaffen. Waren die Kasematten früher nicht mehr als eine zarte Rahmung, so verstellt nun ein massiv betoniertes Bauwerk, das jegliche Gestaltungsqualität vermissen lässt, den einst unmerklichen Übergang ins üppige Grün – grob in den Details, unproportioniert und ungekonnt. An einer höchst markanten, exponierten Stelle, in denkmalgeschütztem Ambiente, wurde hier ausschließlich vom Zweck bestimmt geplant und dabei unbeachtet gelassen, was Produktgestaltung und Formgebung ausmacht. Gutes Design ist nach dem Designtheoretiker Jochen Gros das Ergebnis eines erweiterten Funktionalismus, der die formal-ästhetische und die semantische Funktion von Design gleichwertig neben die praktische setzt.

Zweifelsohne impliziert der Anspruch, Designhauptstadt zu sein, auch den Auftrag zu umfassender Gestaltungsqualität. Das würde allerdings bedeuten, dass die Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums koordiniert abläuft und dauerhafte ebenso wie temporäre Planungen einem punktuell festzulegenden hohen Gestaltungsanspruch folgen und von einem Gremium geprüft werden. Darunter fiele dann der Zaun für die Rabatte, die der Stadtgärtner zum Schutz der Blumen am Tummelplatz montieren lässt, oder der weihnachtliche Schmuck der Herrengasse genauso wie eine Bühne, die die Grazer Spielstätten als Bauherr im Auftrag der Stadt Graz bauen lässt. Eine Vision in weiter Ferne, die aber zumindest schon angedacht sein sollte, seit die Stadt sich um den Titel „City of Design“ beworben hat.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: