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Die Twins am Bosporus
Spectrum

Istanbul erlebt einen Bauboom. Die Vorarlberger Architektin Brigitte Weber hat ihn genutzt. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet sie in der Bosporus-Metropole. Ihr jüngster Wurf: die Trump-Towers. Perfektion bis ins kleinste Detail.

7. Mai 2011 - Karin Tschavgova
Sie zählt zu den derzeit erfolgreichsten österreichischen Architektinnen, und doch ist sie hierzulande kaum bekannt: Brigitte Weber, TU-Wien-Absolventin und ehemalige Mitarbeiterin von Wilhelm Holzbauer, ist Architektur-Export. Seit 15 Jahren lebt und arbeitet die Vorarlbergerin in Istanbul. Dabei wollte sie anfangs gar nicht bleiben, zu widrig erschienen ihr Klima und Arbeitsbedingungen, zu fern ein Erfolg des Büros, das sie mit einem Freund eröffnete. Es sagt viel über den Fleiß, die Zielstrebigkeit und das Durchsetzungsvermögen der Architektin aus, dass sie schließlich blieb, heute als Alleinverantwortliche ein Büro mit zehn Mitarbeitern leitet und als erste und bislang einzige Ausländerin in die türkische Architektenkammer aufgenommen wurde. Ihre Bauherren sind reich und einflussreich, ihre Aufträge inzwischen vom Messestand zum Hochhaus angewachsen.

2005 erhielt Brigitte Weber die Chance, im Stadtteil Mecidiyeköy am Kamm des Hügels zwischen dem Goldenen Horn und dem Bosporus für ein abschüssiges Grundstück, das als schwierig zu bebauen galt, ein städtebauliches Projekt für kommerzielle Nutzungen zu entwickeln. Dem Investor gefiel es, mit der Stadtverwaltung wurde ein Bebauungsplan ausgehandelt, und nun stehen die beiden Trump-Towers vor ihrer Fertigstellung – ein Turm mit 39 und einer mit 37 Geschoßen auf einem lang gestreckten Sockel, der auf fünf Ebenen ein Einkaufszentrum und darunter weitere sechs in den Hang gebaute Ebenen zum Parken enthalten wird. Donald Trump gab als Verwertungsberater das Ausstattungsniveau vor und soll als Lizenzgeber seines Namens für höchste Qualität bürgen. Webers Konzept sah vor, dass Form und Farbgebung der beiden fein gegliederten, schlanken Hochhäuser die Dynamik der Vorbeifahrenden am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Verkehrsachsen visuell betonen, und tatsächlich scheinen sich die Türme in der Annäherung des Betrachters um ihre eigene vertikale Achse, den Erschließungskern, zu bewegen. Ein Turm für Büros und einer für rund 200 Wohnungen, die in beeindruckender Perfektion bis ins kleinste Detail designt wurden. Größe und luxuriöse Ausstattung der Wohnungen sind maßgeschneidert für die wachsende, finanzkräftige Mittelschicht Istanbuls, die Eingangskontrollen ebenso selbstverständlich erwartet wie Serviceleistungen und ein großzügiges Angebot an privaten Gemeinschaftseinrichtungen.
Brigitte Webers Wohn- und Bürotürme gliedern sich damit ein in eine ganze Reihe von Prestigebauten, in die reich gewordene Unternehmerfamilien investieren, weil sie erkannt haben, dass sich auch außergewöhnliche Architekturqualität verkaufen lässt.

Im Businessviertel Levent, wo sich seit der Fertigstellung der zweiten Bosporusbrücke 1988 Immobilienspekulanten breitmachten und Industriebetriebe absiedelten, wurden bis zur Finanzkrise etwa 60 Hochhäuser errichtet. – Istanbul als Finanzplatz und Sitz großer, internationaler Unternehmen erlebt derzeit einen Bauboom, der sich von jenem der seit etwa 1985 anhaltenden „Post-Gecekondu-Ära“ gravierend unterscheidet. Damit meint der Stadthistoriker Orhan Esen das unaufhaltsame Verschwinden der Gecekondus, der von den ländlichen Zuwanderern „über Nacht errichteten Hütten“ und informellen Siedlungen aus der Zeit nach 1950. Wo die Gecekondus nicht dem rigorosen Umsiedlungsprogramm der staatlichen Wohnbaubehörde zum Opfer fallen, die an ihre Stelle uniforme Wohnblöcke setzt, werden sie durch bis zu achtgeschoßige Überbauungen in kleinkapitalistische Unternehmen verwandelt. Den Gewinn aus Verkauf oder Vermietung der neuen Immobilie teilen sich die legalisierten Besitzer von solcherart verdichteten Grundstücken und der Investor, der meist auch Projektentwickler und Bauunternehmer ist.
Der andere, hier angesprochene Bauboom bedeutet das Ende der Tradition einer steten, sich wiederholenden Überbauung dieser Stadt – noch höher geht es nicht. Auch die Einschätzung von Lebensdauer und Wert eines Bauwerks ändert sich. Großinvestoren schaffen Inseln exquisiten Wohnens und Arbeitens und orientieren sich dabei an den Wünschen der neuen Upperclass, die einen westlichen Lebensstil pflegt und unter sich bleiben will. Sie errichten Shoppingmalls, Bürotürme und Wohnhochhäuser in zentralen Lagen der 13-Millionen-Stadt und „Gated Communities“ an der Peripherie im grünen Umfeld. Bislang sollen mehr als 650 dieser umzäunten, bewachten Einfamilienhaus- und Geschoßbausiedlungen errichtet worden sein. Ärmere Bevölkerungsschichten treten nur noch als Dienstleister in Erscheinung. Superlative werden geplant. So besitzt Istanbul mit dem eben fertig gestellten, 261 Meter hohen Sapphire-Tower das höchste Wohngebäude.

Brigitte Webers Megaprojekt mit einer Gesamtfläche von 260.000 Quadratmetern wird international nicht weniger Aufmerksamkeit bekommen als der Sapphire. Empfehlungen zum nächsten Auftraggeber durch den Eigentümer der Trump-Towers, den türkischen Unternehmens- und Medienmogul Aydin Doğan, scheinen ihr sicher. Schon jetzt könnte sie aufgrund der Nachfrage ihr Büro auf bis zu 40 Mitarbeiter erweitern. Weil sie die Kontrolle über jedes Projekt behalten will, gern selbst entwirft und die Entwicklung jedes Details begleitet, hat sie nicht vor, zu groß zu werden. Eines betont die Architektin mit Nachdruck, und Türkeikenner pflichten ihr bei: Ihr Erfolg in der Türkei beruht sicher nicht auf einem Exotenbonus der selbstbewussten und attraktiven Ausländerin mit blonder Mähne. Frauen sind in der Technik und im Feld der Architektur in diesem Land traditionell stark vertreten und werden als absolut gleichberechtigt wahr- und ernst genommen. Nicht nur darin erscheint Istanbul fortschrittlicher und weltstädtischer als Wien.

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