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Baukunst und Topographie
Neue Zürcher Zeitung

Junge Schweizer Architekten

Britta und Francesco Buzzi aus Locarno

5. September 2003
Sie gehören zu den wenigen jungen Tessiner Architekten, die vor dem Hintergrund der Tessiner Schule arbeiten: Britta und Francesco Buzzi Auch bei ihnen lebt die «Tendenza» bald als Verpflichtung, bald als Belastung weiter. Allerdings haben sich die Bedingungen geändert; und es interessiert das Architektenpaar heute eher, aus den topographischen Bedingungen heraus präzise zu reagieren und auf die Zersiedelung der Landschaft Antworten zu finden, die speziell im Tessin von halburbanen und peripheren Strukturen geprägt ist. Die kritische Rekonstruktion historischer Bauten oder urbaner Spuren, die noch vor nicht allzu langer Zeit vielbeachtetes Credo der Tessiner Architekten war, steht nicht mehr im Mittelpunkt ihres Interesses.


Minimalhaus und Luxusvilla

Wie reagiert man nun als junges Büro in Locarno auf ein Umfeld, in welchem jeder Bauplatz schon genutzt scheint und Bodenspekulation eine angemessene Architektur nicht gerade erleichtert? «Es sind zunächst kleine, aber doch präzise Eingriffe», betont Francesco Buzzi: «Dabei versuchen wir, uns nicht auf das Lokale zu fixieren und dennoch prototypische Lösungen zu erarbeiten, die unmittelbar aus dem Ort entstehen.» Ein Beispiel dafür ist die Casa minima, die 1998 aus dem Umbau eines alten Rustico in Gerra Gambarogno hervorgegangen ist. Hier galt es, die Tatsache zu berücksichtigen, dass alte Ställe, die nicht in schmucke Ferienhäuser verwandelt und zugleich ihrer baulichen Authentizität entledigt wurden, im Tessin rar geworden sind. Es galt also, den Rustico, welcher nur noch aus seinen vier Aussenmauern bestand, möglichst zu erhalten. Dies brachte Buzzi & Buzzi auf die Idee vom Haus im Haus.

In die viereckige Ruine wurde eine kostengünstige, mehrgeschossige Holzkiste gestellt, die mit Hilfe eines Helikopters in nur sechs Stunden montiert werden konnte. In Anlehnung an die umgebenden Dächer bekam das Holzhaus ein Satteldach, mit dem es nun aus dem Mauergeviert der alten Stallruine herausschaut. Die grösseren Horizontalfenster des Einbaus rahmen - von innen gesehen - die kleineren Fenster des Rusticos ein und erzeugen einen interessanten Dialog zwischen Alt und Neu. Der Holzkörper tastet die alte Substanz nicht an, sondern schafft eine eigene Raumschicht, die reversibel ist: Sollten sich die Nutzungsvorstellungen der Besitzer einmal ändern, kann der Einbau herausgenommen und durch etwas anderes ersetzt werden - die alte Steinhülle bleibt jedoch original erhalten.

Bekannt wurden Britta und Francesco Buzzi aber schon mit dem ersten Projekt, mit welchem sie sich 1995 selbständig machen konnten. Die spektakuläre, viel publizierte Villa sulla Roccia liegt oberhalb von Ascona auf dem Weg zum Monte Verità. Aber es war nicht nur der Genius Loci des legendenumwobenen Berges, der die Architekten anregte, sondern auch die modernistische Entwurfsweise zweier klassischer Häuser, die nicht weit von dem steilen und felsigen Grundstück liegen: das Haus Koerfer von Marcel Breuer und die Villa Tuia von Richard Neutra. Ebenso wie die beiden Vorbilder entwickelt sich die Villa sulla Roccia aus der präzisen Setzung in die umgebende Natur mit dem spektakulären Blick auf den Lago Maggiore und die Brissagoinseln. Allerdings musste hier zunächst im Eingangsbereich der steile Hang mit einer riesigen Stützmauer gehalten werden, die Buzzi & Buzzi mit einer Granitverkleidung und einem Treppenturm aus Beton skulptural inszenierten.

Das Haus darüber ist in zwei horizontalen Raumschichten angelegt, mit seeseitig vollständig verglasten Wänden, die mit segelartigen, perforierten Rollos geschlossen werden können, und massiven mit dunkel gefärbtem venezianischem Stucco verputzten Wänden auf der Rückseite. Diesem Dialog folgend, trennt das L-förmige Haus das Grundstück in den heiteren, zum See hin ausgerichteten Garten und den hinteren, eher düsteren, waldigen Bereich. Der Grundriss mit den Schlafzimmern im Erdgeschoss und der Wohnzone im Obergeschoss scheint zunächst auf Vorbilder der klassischen Moderne zu verweisen. Doch ähnlich wie die Hausstruktur mit ihren offenen und geschlossenen Bereichen entwickeln auch die Räume eine grosse Komplexität, die über modernistische Grundrisse weit hinausgeht.


Komplexer Bau am Hang

Diese Vielschichtigkeit, die sich erst im Laufe des Entwurfs ergibt, macht die Arbeit des Teams aus. Es ist dies ein Prozess, welcher von der ersten Setzung des Volumens an immer wieder verändert, reduziert oder erweitert wird. Diese undogmatische Dynamik vermittelt auch das zweite grössere Projekt von Buzzi & Buzzi: die vor drei Jahren vollendete, «Paesaggio cubico» genannte Casa Peter in Tegna. Sie liegt an einem steilen Hang unterhalb des Strassenniveaus, unweit des Flusses Melezza. Buzzi & Buzzi entwickelten einen geschlossenen Quader, der von der Strassenseite kaum sichtbar ist. Der schwarz eingefärbte Beton spiegelt die imposanten Felsformationen des Pedemonte wider, schafft aber auch einen schroffen Gegensatz zur Natur, der wiederum durch die Einschnitte und Kerben im Bauvolumen konterkariert wird.

Die fünfte Fassade bildet das Dach, das - genau auf der Höhe der Strasse gelegen - als Autoparkplatz dient. Von dieser Plattform, die einen eindrücklichen Blick auf die weite Flusslandschaft der Melezza und auf das Maggiadelta freigibt, gelangt man durch einen Dacheinschnitt hinunter zum Eingang und in die Innenräume. Hier löst sich die monolithische Erscheinung des Hauses auf: Die Farben sind hell, die grossen Fenster lassen Licht und Landschaft herein und verschmelzen Aussen- und Innenwelt zu einem fortlaufenden Raumkontinuum. Das geschieht über horizontale und vertikale Schichten: das geschossübergreifende Atrium, die Terrasse, die immer wieder von Wandscheiben gefasst wird, und Aussenräume wie das Schwimmbad, das nahe an die Wohnräume gerückt und doch als separater Bauteil formuliert ist. Einen «monolithischen Panzer in Suburbia» nennen Britta und Francesco Buzzi programmatisch das schwarze Haus und zielen dabei auf die Wahrnehmungsebene der dunklen prismatischen Blöcke. Auch bei diesem Projekt überzeugt die Komplexität des Entwurfsprinzips: Die Wohnqualitäten des Hauses scheinen sich ganz mühelos mit den architektonischen und skulpturalen Eigenschaften zu verbinden. Das ist nicht eben einfach. Umso mehr darf man schon jetzt gespannt sein auf grössere Projekte von Buzzi & Buzzi, zu denen sie hoffentlich bald Gelegenheit haben werden.


[Buzzi & Buzzi stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 10. September, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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