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Kalter Kaffee? Irrtum!
Kalter Kaffee? Irrtum!, Foto: Margherita Spiluttini
Spectrum

Sie sind Moden gegenüber indifferent, weil sie Grundlegendes ansprechen, und sie werden deshalb auch Langzeitwirkung haben: Ottokar Uhls „Gegen-Sätze“. Nichtraucher und Nichttrinker debattieren.

23. August 2003 - Walter Zschokke
In einem schattigen Gastgarten sitzen der Nichtraucher und der Nichttrinker bei g'spritztem Wein und Soda-Citron. Sie debattieren über ein kürzlich erschienenes Buch mit Texten von Ottokar Uhl, dem 1931 in Kärnten geborenen kämpferischen Emeritus der Technischen Universität Karlsruhe mit Wohnsitz Wien.

Nichtraucher: Diese Gedanken aus den Siebziger- und Achtzigerjahren mit heutiger Distanz zu lesen ist überraschend und anregend. Man wird gewahr, was damals die Köpfe erhitzte, aber auch zu neuen Überlegungen angestiftet.

Nichttrinker: Ist doch alles kalter Kaffee und längst überholt, wen soll das interessieren? Heute sind ganz andere Fragen aktuell.

Nichtraucher: Irrtum! Wesentliche Aussagen sind deswegen nicht falsch geworden. Einiges ist sogar als selbstverständliche Erkenntnis in die tägliche Praxis engagierter Architekten eingeflossen. Uhl hat Grundlagenforschung betrieben, die nicht jeder noch einmal machen muss.

Nichttrinker: Das würde bei den abgesunkenen Honorarsätzen auch gar nicht mehr gehen. Schon für Uhl überstieg der Aufwand den finanziellen Ertrag. Ohne stützende Forschungsgelder wären seine partizipatorischen Entwurfsprozesse nie bis zum Bauen gekommen.

Nichtraucher: Darum geht es nicht, sondern darum, dass diese diskursiven Prozesse mit den späteren Nutzern zu einem anderen Gebrauchswert und neuen Erscheinungsbild der Bauwerke geführt haben. Seine Theorien sind Gestalt geworden. Sie lassen sich an den Bauwerken nachvollziehen, und zusammen mit den Texten ergeben sich klare Aussagen, die von anderen Architekten in manche ihrer Wohnbauten aufgenommen wurden.

Nichttrinker: Das sind doch bloß Tropfen auf einen heißen Stein, die im Massenwohnbau geringe Auswirkungen haben.

Nichtraucher: In seinem Drang, das Planen von Wohnbauten von Grund auf zu erforschen und neu zu formulieren, spricht Uhl auch nicht von Entwerfen als einem gefühlsmäßigen Vorgang, sondern von Planen im Sinne eines rationalen Vorgangs. Der Einbezug anderer Fachdisziplinen und der künftigen Bewohner führte zu Erkenntnissen, die heute selbstverständlich scheinen. Damals ging es aber darum, den benutzerfeindlichen Bauwirtschaftsfunktionalismus, der etwa mit der unflexiblen Großplattenbauweise idiotische Wohnungsgrundrisse produzierte, sachlich zu widerlegen.

Nichttrinker: In diesen Wohnanlagen wohnen aber bis heute Menschen, so katastrophal können sie daher nicht sein.

Nichtraucher: Das wäre im Einzelfall zu klären. Aber Uhl geht es eben darum, das Gespräch, das beim Bau eines Einfamilienhauses zwischen Architekt und Bauherrschaft selbstverständlich ist, auch jenen zu ermöglichen, die sich nur eine geförderte Wohnung leisten können. Er erreichte damit mehr Identifikation der Bewohner mit ihrer Wohnung und mit dem ganzen Haus. Durch die Gesprächsrunden haben sich die Leute kennen gelernt und zu einem gemeinsamen Handeln gefunden, ein Prozess, der sonst Jahrzehnte dauern kann.

Nichttrinker: Sozialromantiker! Das kann im Massenwohnungsbau gar nicht funktionieren. Das geht schon organisatorisch nicht.

Nichtraucher: Wer sagt denn, dass es richtig ist, 800 oder 1000 Wohnungen aufs Mal hinzuklotzen. Bei einer Trennung von Rohbau und Ausbau ließe sich diese Aufgabe je für ein Stiegenhaus auf weitere Fachleute aufteilen, die dann mit einer geringeren Zahl späterer Bewohner das Gespräch führen könnten. Derartige Erkenntnisse sind in Uhls Texten angelegt. Aber er hat sich nicht nur mit der Wohnungsfrage befasst, sondern mit derselben Hartnäckigkeit auch versucht, im Kirchenbau neue Wege zu gehen.

Nichttrinker: Gerade im Kirchenbau finde ich den Verzicht auf eine zeichenhafte Form und das Verneinen einer wichtigen Rolle im städtebaulichen Gefüge befremdlich.

Nichtraucher: Da, hier schreibt Uhl, dass „der Kirchenbau als isolierte Bauaufgabe überholt ist. Und zwar ist überholt das isolierte, einsam und an dominierender Stelle stehende Gebäude ebenso wie die auf isolierte Nutzung ausgerichteten Räume in strenger Trennung von den übrigen Funktionen.“ Und für diese Aufgaben hat er seine Vorstellungen partizipatorischer Planung in mehreren Fällen verwirklichen können, auch wenn die katholische Kirche hierarchisch strukturiert ist und sich manchmal schwer getan hat. Auf Gemeindeebene lässt sich das leichter anfangen. Da für Uhl der Aspekt des gemeinsamen Abendmahls und des gemeinsamen Gebets, des Versammelns, wichtiger ist als jener der individuellen Kontemplation, für die er eine Überhöhung durch sakralisierte Architektur ablehnt, kann dieser Versammlungsraum dann auch profan genutzt werden und bedarf nicht der zeichenhaften Anlehnung an historische Beispiele.

Nichttrinker: Das wollen die Gläubigen doch gar nicht. Sie verlangen das, was sie gewöhnt sind. Und einen Kirchenbau, der ihrem Idealbild einer Kirche in keiner Weise mehr nahe kommt, lehnen sie ab.

Nichtraucher: Weil sich die Bedingungen hin zu demokratischen Verhältnissen verändert haben, sind die Bedürfnisse auch in religiösen Dingen neu zu definieren. Die Denkarbeit passiert nicht von allein. Darum schlägt Uhl einen formalisierten Prozess vor, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen und nicht unbemerkt wieder in alte Geleise zu rutschen. In seinem Aufsatz „Kirchenbau als Prozess“ erläutert er sechs Phasen: Untersuchung - Planung - Konstruktion - Verteilung - Gebrauch - Elimination. Wesentlich sind daher seine methodischen Ansätze, die das Neue nicht „aus der Luft“ - oder aus einer Zeitschrift - herausgreifen, sondern mit den Betroffenen entwickeln. Das ist etwas ganz anderes als das Zitieren historischer Formen, die zu ihrer Zeit als revolutionär galten, oder das zwanghafte Suchen nach neuartigen Formen. Für Uhl ist die Form am Anfang unwichtig. Ihm geht es um neue Konzepte. Die Formen ergeben sich im darauf folgenden Schritt.

Nichttrinker: Damit wird er heute nicht viel Echo haben, wo sich alles um Oberflächen und Formen dreht.

Nichtraucher: Weil seine Texte Grundsätzliches ansprechen, sind sie Moden gegenüber indifferent. Sie werden Langzeitwirkung haben, insbesondere nachdem sie in einem handlichen Buch zusammengefasst sind, das noch nach Jahren gelesen und beherzigt werden kann.

Nichttrinker: Aber es ist doch bekannt, dass Architekten nur Bilder anschauen und keine Texte lesen, wie soll da so ein Buch Auswirkungen haben?

Nichtraucher: Und selbst wenn dem so wäre. Wer sagt denn, dass nicht andere Menschen, etwa solche, die gemeinsam etwas bauen wollen, auf Uhls Schriften stoßen und seine Methoden des Gesprächs und des Beizugs weiterer Fachleute von den Architekten einfordern werden?


[Ottokar Uhl
Gegen-Sätze. Architektur als Dialog. Ausgewählte Texte aus vier Jahrzehnten, Hrsg. von Elke Krasny und Claudia Mazanek, 208 S., brosch., € 18,90 (Picus Verlag, Wien)]

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