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Eine chinesische Tropfenfolter
Der Standard

Was braucht es, um der sozialen Dimension von Architektur gerecht zu werden? Ästhetik, Intelligenz und Menschlichkeit. Zu dieser Ansicht gelangten Experten zum Abschluss der Alpbacher Architekturgespräche über schwindende Ressourcen und nötige Gegenstrategien.

20. August 2003
Alpbach - „Nachhaltige Architektur ist kein Traum von gestern, sondern die einzige Lösung für die Zukunft - aber diese Lösung kann unzählige, vielfältige zukunftsorientierte Gestalten annehmen.“ Derart bilanzierte Dominique Gauzin-Müller, Französin, Architektin und seit 20 Jahren in Süddeutschland zu Hause, den zweiten Tag der Alpbacher Architekturgespräche, die den schwindenden Ressourcen und realistischen, nötigen und utopischen Gegenstrategien gewidmet waren.

Dabei erfuhr das Motto des heurigen Forums, „Kontinuität und Brüche“, unerwartete Bestätigung. Während sich Architekten, Raumplaner, Ökologen und andere in ihrer Forderung nach radikal neuen Lösungen zumindest im Prinzip einig waren, erwies sich Tirols Landeshauptmann Herwig van Staa in einer bizarren Mischung aus Resignation und Zynismus als Bewahrer des Status quo.

Van Staa gab zwar aller inhaltlichen Kritik an der Ressourcenverschwendung Recht und erklärte wörtlich, dass Baulandwidmungen in Tirols Gemeinden häufig der „Einkommenssicherung der Dorfpotentaten“ dienten. Doch seien „zukunftsweisende Entscheidungen nicht mehrheitsfähig“, und die „Dummheit wird nur erträglicher, wenn die Verdummung fortschreitet und dann weniger wahrgenommen wird“.

Der Salzburger Sozialwissenschafter Raimund Gutmann stellte ein Modellprojekt vor, wonach bei entsprechender individueller Beratung in typischen Einfamilienhaussiedlungen alpiner Gemeinden durch Verdichtung, Zu- und Umbauten annähernd eine Verdoppelung der Anzahl der Haushalte möglich wäre. Den Einsparungen an - gerade in Tirol - besonders raren Bodenreserven, sinkenden Infrastrukturkosten für die Gemeinden und der Vermeidung von Verkehr stellte van Staa den nicht auszurottenden Wunsch nach dem frei stehenden Einfamilienhaus entgegen. Als roter Faden durch alle Foren zog sich die Forderung nach einer Verteuerung (Verdoppelung) der Energiekosten, bei gleichzeitiger Entlastung der Besteuerung menschlicher Arbeit.

Gauzin-Müller und ihre Architektenkollegen Ian Ritchie (London) und Martin Trebersburg (Wien) führten an Beispielen vor, dass Energie sparende Architektur (bis hin zu energieautarken Häusern) technisch kein Problem mehr sei und dass sich auf den Lebenszyklus eines Hauses bezogen (einschließlich des Aufwandes für Errichtung und Entsorgung) der Energieaufwand auf ein Fünftel des Ist-Standes senken ließe.

Neben der Lösung der Aufgabenstellung nach „efficiency and economy“ hätten aus Ritchies Sicht Architekten insbesondere Verantwortung für „aesthetics“. Architektur ohne ästhetische Dimension sei mit der chinesischen Tropfenfolter zu vergleichen. Ritchie forderte eine Baukultur, die „alle menschlichen Sinne einbezieht“. Dazu gehöre auch, Schalldämmung nicht auf interne Probleme des Gebäudes zu reduzieren, sondern Lösungen zu suchen, die „alle Geräuschkulissen der Umgebung berücksichtigen“. Um der sozialen Dimension von Architektur gerecht zu werden, brauche es „Intelligenz und Menschlichkeit“.

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