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Baumeister des Lichts
Neue Zürcher Zeitung

Zum 250. Todestag des Architekten Balthasar Neumann

19. August 2003 - Martin Haag
Die Kreativität des Barockbaumeisters (Johann) Balthasar Neumann (1687-1753) erschien schon seinen Zeitgenossen fast mirakulös. In mehr als drei Jahrzehnten schöpferischer Tätigkeit hatte er nicht nur die Kunstlandschaft Franken nachhaltig geprägt, sondern nahezu europaweiten Ruhm erlangt. Dabei hatte alles eher unscheinbar begonnen.

Der im Januar 1687 im böhmischen Eger geborene Neumann kam 1711 als Handwerksgeselle nach Würzburg. Die Entdeckung seines künstlerischen Genius verdankte er dem Würzburger Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn. Dieser verschaffte dem architektonisch noch wenig erprobten Neumann 1721 seinen ersten Grossauftrag für die repräsentative Grablege des vormaligen Fürstbischofs und Mainzer Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn im barockisierten Nordquerhaus des Domes. Dafür entwickelte Neumann ältere Entwürfe des Mainzer Hofbaumeisters Maximilian von Welsch sowie des Wiener Hofarchitekten Johann Lukas von Hildebrandt schöpferisch fort und verwirklichte eine hochkomplexe Raumstruktur.

Das Meisterwerk der Schönbornkapelle qualifizierte Neumann in den Augen des Fürstbischofs für die Leitung des gewaltigen Neubaus der Würzburger Residenz. Ein Prunkstück der majestätischen Anlage, die wesentliche Errungenschaften der oberitalienischen, französischen und Wiener Palastarchitektur der Epoche zur Einheit verschmilzt, bildet das viel bewunderte Treppenhaus, kongenial freskiert von Giambattista Tiepolo. Über einem dämmrigen, gedämpft farbigen Vestibül öffnet sich die monumentale Anlage zu ungeahnter Lichtfülle. Mit dieser bis dahin beispiellosen, fünfschiffigen «Treppenkathedrale» des Barock hatte Neumann sich als einer der führenden Baumeister seiner Zeit etabliert. Zu einem weiteren Höhepunkt von Neumanns Treppenhauskunst geriet neben der Haupttreppe von Schloss Augustusburg bei Brühl vor allem das 1732 vollendete Hauptstiegenhaus der fürstbischöflichen Residenz zu Bruchsal, das in seiner «geistreichen Eigenart und hohen Raumpoesie unerreicht» (Georg Dehio) bleibt.


Treppenkathedralen des Barock

In ihrer spannungsreichen Polarität bilden Treppenhaus und darüber liegender Kuppelsaal des Bruchsaler Schlosses eine von Neumanns eindrucksvollsten Raumschöpfungen. Zudem dokumentierten sie das ungewöhnliche Talent des Künstlers, «Aufgaben, die schier unmöglich erscheinen mussten, doch noch souverän zu Ende zu bringen» (Bernhard Schütz). Diese spezifische Begabung sollte Neumann rund eine Dekade später erneut unter Beweis stellen: beim Neubau der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen. Die rechtwinkligen Aussenmauern der Kirche umschliessen einen vollständig kurvierten, beschwingten Innenraum, fugenartig komponiert aus nicht weniger als sieben ineinander greifenden Rotunden. Deren liturgisches wie architektonisches Zentrum bildet die bis zur Vierung vorgeschobene, längsovale «Gnadenrotunde». Neumann akzentuierte sie als sinngebende Mitte des Interieurs durch je drei den zweigeschossigen Wandarkaden vorgelegte, stuckmarmorne Dreiviertelsäulen in Grosser Ordnung - ein in anderer Weise bereits im Kaisersaal der Würzburger Residenz erprobtes Würdemotiv.

Neumanns hochbegabter Mitarbeiter Johann Jakob Michael Küchel, dessen Geburtstag sich heute zum dreihundertsten Mal jährt, prägte das barocke Raumbild von Vierzehnheiligen massgeblich mit. Die dem «Gnadenaltar» (einem Schlüsselwerk des beginnenden Rokoko) zugrunde liegende Idee eines allseitig geöffneten Altarbaldachins ist wohl Küchels Verdienst. Von Küchel stammen auch der pyramidale Hochaltar der von Neumann entworfenen Wallfahrtskirche Gössweinstein sowie der formschöne Bau des neuen Rathauses zu Bamberg. Dekorationsplanung und Ausführung des ins Riesenformat gesteigerten, in Weiss und Gold schimmernden «Ziboriums» von Vierzehnheiligen hingegen waren (wie erst neuere, kunsthistorische Forschungen nachwiesen) das Werk des brillanten Wessobrunner Stuckateurs Johann Michael Feichtmayr (1709-1772). Das geglückte Zusammenspiel sich komplementär ergänzender Künstlerpersönlichkeiten liess in Vierzehnheiligen schliesslich eine «überwirkliche» Gesamterscheinung erstehen.


Sublime Architektur

Nur «in Knechtsgestalt» zu Ende geführt wurde laut Dehio hingegen Neumanns der Konzeption nach wohl grossartigster Sakralbau: die Benediktiner-Abteikirche zu Neresheim. Ein letztes Mal variiert der im Zenit seines Schaffens stehende Künstler hier das Leitmotiv der «Vier- Arkaden-Rotunde mit Säulenpaaren»; es hatte ihn seit dem Bau der Würzburger Schönbornkapelle immer wieder beschäftigt. An die Stelle einer mit hochdramatischen Hell-Dunkel-Kontrasten arbeitenden Lichtregie, wie sie die Sakralbauten seiner grossen Vorläufer Guarino Guarini, Christoph und Johann Dientzenhofer sowie Kaspar Moosbruggers Riesenbau von Einsiedeln prägte, tritt in Neresheim eine wahre Flut gleissenden Tageslichts - ins Kircheninnere geleitet durch teilweise verborgene, hohe Fensteröffnungen. «Das Licht baut mit» an der festlichen Linienführung der Architektur: Von Anfang an bildete diese gewissermassen «diaphane» Raumkunst ein wesentliches Moment in Neumanns Ästhetik. Trotz manch baugeschichtlich bedingten Ausstattungsmängeln, die auf den heutigen Betrachter ernüchternd wirken können, behauptet sich in Neresheim Neumanns reine Architektursprache mit geradezu bezwingender Kraft. In dieser stupenden Wirkmächtigkeit der gebauten «Architektur an sich» liegt der vielleicht nicht geringste Beweis für die künstlerische Genialität Balthasar Neumanns, der heute vor 250 Jahren, am 19. August 1753, noch vor der Vollendung seines letzten und sublimsten Architekturprojekts starb.

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