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Licht durch den Trichter
Spectrum

Das Besucherzentrum für das neue Grazer Museumsquartier unter die Erde zu verlegen ist eine Königsidee. Aber sie hat ihren Preis. Joanneumsviertel: eine erste Visite.

2. Dezember 2011 - Karin Tschavgova
Alles Neue ist gewöhnungsbedürftig. Die Bezeichnung Joanneumsviertel für das, was am vergangenen Wochenende in Graz mit großer Zeremonie eröffnet wurde, ist dem einen (dem Uneingeweihten) Verwirrung, dem anderen (den Initiatoren) Programmatik. Das neue Joanneumsviertel – ein Stadtbezirk, ein Museumsquartier oder ein um einen neuen Eingang erweitertes, modernisiertes Museum? Die Absicht hinter der Titelgebung ist nachvollziehbar. Mehrere museale Institutionen unter der Obhut und Verwaltung des „Universalmuseums Joanneum“ wurden neu strukturiert und werden bis 2013 umgebaut und erweitert. Sie alle liegen in einem Straßenkarree „hinter“ dem Hauptplatz, wie Grazer das Quartier um das bis 1886 bestehende Neutor der ehemaligen Befestigung lokalisieren.

Eröffnet wurden nun das sanierte Museum Joanneum und ein neues Besucherzentrum als zentrales Verbindungsglied zwischen dem neobarocken Museumsbau aus dem Jahr 1894, der nach der Übersiedelung der Gemäldesammlung ins Schloss Eggenberg nach Neunutzung rief, und dem Lesliehof, einem als Kloster im 17. Jahrhundert erbauten Geviert, das bis 2009 als veraltetes Museum für Naturkunde diente, sowie der zeitgleich mit dem Joanneum errichteten Landesbibliothek. Drei historische Sammlungs- und Ausstellungsbauten, die bis dahin nur ihre geringe Besucherzahl einte, sollten nicht nur saniert und erweitert werden, sondern durch ein repräsentatives Eingangszentrum eine die große Investition rechtfertigende Belebung erfahren.

Daraus erklärt sich auch die Verlegung der Neuen Galerie von der zentral gelegenen Sackstraße in das sanierte Joanneum. Sich die international renommierte Abteilung für die Sammlung und Präsentation zeitgenössischer Kunst einzuverleiben, die, obschon auch zuvor formal dem Landesmuseum unterstellt, von Peter Weibel und Christa Steinle bis zur nicht friktionsfreien Übersiedlung in weitgehender Autonomie der Programmgestaltung geführt werden konnte, war wohl ein Muss für Peter Pakesch, den Museumsdirektor, um sein neues Museumsviertel zu attraktivieren.

Der Entwurf des spanischen Architekturbüros Nieto Sobejano in Arbeitsgemeinschaft mit „eep architekten“ aus Graz, die das EU-weit ausgeschriebene Bewerbungsverfahren für sich entscheiden konnten, sah vor, die geforderte Kubatur für die Erweiterung der Bibliothek und das neue Besucherzentrum unter die Erde zu legen. Auf trapezförmigem Zuschnitt sind nun Kasse und Garderoben, Entlehnstelle und Freihandbibliothek, die multimedialen Sammlungen, ein Auditorium und der Museumsshop situiert, darunter ein Tiefspeicher für die Bücher. Die auf Straßenebene entstandene freie Fläche ist nicht mehr wie früher als umzäunter Museumsgarten angelegt, sondern als befestigter Platz und öffentlicher Raum, der schwellenlos benützt werden kann – und soll. Fünf große, kegelförmige Trichter aus Glas strukturieren die Piazza und bringen großzügig Tageslicht in die Räume darunter, sodass der Besucher, hat er erst die Rolltreppe, die ihn vom Platz auf die Verteilungsebene führt, verlassen, nie das Gefühl hat, sich unter Terrain zu befinden. An der höchst komplexen Form der verschieden großen Kegelstümpfe, die das Besucherzentrum aus jeder Perspektive und jedem Winkel dominieren, zeigt sich auch die Qualität seiner Detailausbildung am deutlichsten. Die riesigen, unterschiedlich gebogenen und geneigten Gläser mit Punktraster stoßen mit beeindruckender Präzision aneinander. Sie müssen selbst für den Glashersteller eine Herausforderung gewesen sein. Darüber hinaus zeigt die räumliche Gestaltung fein nuancierte Zurückhaltung: Sichtbeton an den Wänden, geschliffener Gussasphalt als Boden, bündig eingelegte Türelemente und frei stehende Möbel im gleichen Holz; Grau, Schwarz und helles Braun als Materialfarben und Weiß als Aufhellung bilden ein stimmiges Ganzes.

Die Königsidee des Entwurfs ist zweifelsfrei die Absenkung des Besucherzentrums um ein Geschoß. Die historischen Bauten, die einander den Rücken zukehren, werden in ihrer Dimension und autonomen Stellung nicht angetastet, die Fläche dazwischen bleibt frei von Hochbauten und könnte so als Platzangebot, in Kürze ergänzt durch ein Café, über den Museumsbetrieb hinaus wirksam werden.

Was stadträumlich schlüssig ist, hat allerdings seinen Preis. Das barocken Grundrissprinzipien folgende Museum Joanneum wurde ursprünglich von der Neutorgasse aus erschlossen und war durch die Raumfolge Vestibül, Prunkstiege und Kuppelsaal geprägt. Nun betritt man das Palais über die neue, zweiläufige Treppe vom Besucherzentrum aus, die in eine Hintertreppe mündet, ehe man, auf dem Treppenabsatz der Prunkstiege angekommen, sieben Stufen ins Vestibül absteigen muss, um von dort nach sieben Stufen Aufstieg die beiden Ausstellungseinheiten des ersten Hauptgeschoßes zu erklimmen. Will man also ins neue Museum der Arbeiten von Günter Brus oder in die Sammlungsausstellung der Neuen Galerie, so hat man 61 Stufen zu bewältigen, und will man gar ins zweite Hauptgeschoß, das mit einer großen Hollein-Retrospektive eröffnet wurde, so folgen weitere 35 Stück.
Man kann auch den neuen Lift nehmen, die repräsentative historische Raumfolge erlebt man dann allerdings nicht. Auch die Enfilade der beiden Ausstellungsebenen ist nur mehr eingeschränkt erlebbar. Der Wunsch nach zusätzlichen Hängeflächen machte es offensichtlich unabdingbar, dass die meisten der größeren Räume ihre natürliche Belichtung verloren. Der Fensterfront wurde eine geschlossene Wand vorgesetzt, die zusammen mit der neuen abgehängten Decke eine Vorsatzschale bildet: Sie enthält die technische Infrastruktur.

Die Absicht ist klar. Dass die Gartenfassade als nun zum Platz gerichtete Hauptfassade vorwiegend Blindfenster zeigt, scheint zweitrangig. Ob nicht auch eine funktionstüchtige Fassade mit Fenstern, die vom Straßenraum aus Bewegung und Leben zeigen und von welchen der Besucher den neu geschaffenen Platz aus überblicken könnte, zur gewünschten Belebung des neuen Viertels beigetragen hätte, zumindest dann, wenn tageslichtverträgliche Werke ausgestellt werden?

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