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Man setzt sich selbst als das Maß ein
Der Standard

Über Angemessenheit beim Bauen: Der Architekt Anton Schweighofer im Gespräch mit Martin Adel

16. August 2003 - Martin Adel
Ob mit seinen Stadtvillen, dem Studentenwohnheim im 10. Wiener Gemeindebezirk oder auch dem kürzlich fertig gestellten Geriatrischen Zentrum neben dem Franz-Josephs-Spital: Anton Schweighofer, emeritierter Professor an der TU Wien, plant unaufdringliche, unaufgeregte Bauten, die aber zeitlos hohes Wohl- und Lebensgefühl vermitteln. Damit gelingen ihm namhafte Bauten von der Qualität und Selbstverständlichkeit traditionsreicher anonymer Architektur.

Gebäude unterscheiden sich, die Leute unterscheiden sich, Anforderungen und Funktionen unterscheiden sich; aus diesem Mix muss eine Lösung gefunden werden, die angemessen ist, nicht zuletzt auch dem Standort. Wie würden Sie Angemessenheit definieren?

Schweighofer: Im Prinzip: was der Aufgabe und mir entspricht. Denn letzten Endes kann man ja nur aus sich selber heraus etwas beurteilen. Andererseits gibt es da die Abhängigkeit des Architekten und seine persönliche Verantwortung: Plane ich für mich selber, brauche ich keine Abstriche oder Kompromisse zu machen, plane ich aber für jemanden anderen, verlangt das zwar von mir Eindeutigkeit zur Orientierung der anderen, aber für den Dialog braucht es Offenheit, Vielfältigkeit und Möglichkeit der individuellen Interpretation.

Meinen Sie damit, gebaute Angemessenheit muss man verschieden ausdeuten können?

Schweighofer: Angemessenheit in der Wahl der Mittel wird fast immer vom Gesichtspunkt „teuer oder billig“ her verstanden. So kann man Materialsprache nicht beurteilen! Aber leider wird eben der Aspekt des Ökonomischen höher bewertet als der Aspekt des Künstlerischen oder des Symbolischen. Vielleicht würde diese Einsicht leichter fallen, wenn man das unter dem Gesichtspunkt von Spaß ansieht. Nicht im Sinn von unserer heutigen Spaßgesellschaft, sondern im Sinne des Wohlfühlens.

Aber damit ist ja noch nicht die Fragestellung für die Architekten beantwortet, wie man angemessen mit einer planerischen Aufgabe umgeht, im Spannungsfeld von ästhetischer und funktionaler Fragestellung. Das kann man ja auch gar nicht so leicht trennen, denn es kann einem Bauherrn zum Beispiel die Repräsentation wichtiger sein als nüchterne Optimierung des umbauten Raums hinsichtlich seiner Funktionen. Wie soll man damit umgehen?

Schweighofer: Mit der Angemessenheit in Bezug zur Aufgabe. Und fast jede offene Raumkonzeption z. B. deckt Bedürfnisse oder Lebensfunktionen ab. Und da sind vor allem solche ganz wichtig, die nicht bewusst sind oder nicht als rational und funktional erkannt werden. Wichtig sind mir daher Raumzusammenhänge, auch in der Forschung, die das Überlappen von persönlichen Wünschen, Gewohnheiten und damit auch Wohlbefinden ermöglichen. Das hat viel mit Respekt und Respektierung zu tun.

Der offene, unbesetzte Raum für Entwicklungsmöglichkeiten und interaktive Nutzungen ist notwendig. Gerade diese Räume bringen das Selbstverständliche in die Architektur. Und damit kommen wir zur Frage: Was ist wichtig für die Angemessenheit? Und da darf man nicht vergessen: Zu den üblichen Zwängen - wie möglichst niedrige Baukosten, Gesetze, Bauordnungen, verschiedene Standards oder gefasste Vorurteile der Leute - kommt auch noch die Prägung durch das kulturell oder zeitlich Gewohnte. Es hängt einfach von der Fähigkeit ab, unabhängig zu denken und zu sein. Das Problem ist, wir haben es bei unseren Aufgaben meist mit anonymen Nutzern zu tun. Da setzt man in der Vorstellung eben sich selbst ein als möglichen Nutzer. Und das kann einen Konflikt ergeben. Zum Beispiel: sozialer Wohnbau: Viele Leute wollen die gewohnte Wohnform, geschlossenes Wohnen mit vielen abschließbaren Türen; selbst aber ist man überzeugt, dass offenes Wohnen - fließender Raum, keine Türen etc. - auch gesellschaftlich die Zukunft ist.

Um auf das rechte Maß zu kommen: Der Begriff hat für mich so etwas Absolutes, als ob nach Standards gelebt werden sollte, die von irgendeinem Experten, einer Autorität, festgelegt worden sind. Da wird es vom Begriff her viel enger, es gibt viel weniger Freiheit, wenn man sich daran halten muss. Das sind Entscheidungsbehinderungen für den Einzelnen und für die Gemeinschaft. Wo bleibt da noch individuelles Wohlbefinden?

Trotzdem muss es eine Art Kompromiss in Bezug auf das rechte Maß geben. Mit Beispielen: Vom Karl-Marx-Hof oder von Melk kann man sagen, da ist sozusagen das rechte Maß getroffen. Und wohl nicht zufällig finden sich ab dem 19. Jahrhundert immer häufiger Bauten, Großbauten, wo das Urteil negativ ausfallen würde: „nicht angemessen“, „das rechte Maß verfehlt!“.

Schweighofer: Leider haben Sie Recht. Wir sind weit entfernt von den Tugenden unseres Themas. Aber so kommen wir zum ursprünglichen Sinn von Maß und auf das Maßstäbliche. Der menschliche Maßstab hat nicht unbedingt mit den menschlichen Proportionen zu tun, sondern vielmehr mit seinem inhaltlichen Aspekt, wieweit Menschen darin ihr Leben auch wirklich leben können. Und das im weitesten Sinne. Das haben mich jedenfalls die ägyptischen Tempel oder die wunderbaren Kathedralen gelehrt. Oder mit einem Gegenbeispiel: Nehmen Sie eine Gefängniszelle - die ist zwar klein, aber trotzdem eigentlich unmenschlich. Irgendwie muss es im Inhaltlichen liegen, ob das rechte Maß, oder Angemessenheit, zur Geltung kommt. Was mich interessiert, ist letztlich weniger, wie man das rechte Maß und die Angemessenheit rhetorisch fassen kann, sondern wie weit man sie den Leuten auch im Sinne des Selbstverständlichen visualisieren kann.

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