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Ein Projekt im europäischen Geist: Leidenschaftliche Lehrer und ambitionierte Architekturstudenten von sechs Universitäten zeigten, wozu sie imstande sind. Die Aufgabe: ein Archiv für den Fotografen Mimmo Jodice in Neapel zu entwerfen. Zu sehen demnächst im Wiener Künstlerhaus.

3. März 2012 - Franziska Leeb
Mimmo Jodice ist ein weltbekannter italienischer Fotograf. In den Veduti di Napoli hat er die Architektur und Stimmung seiner Heimatstadt Neapel auf unvergleichliche Weise eingefangen. András Pálffy, Professor für Gestaltungslehre und Entwerfen an der Technischen Universität Wien, lernte sein Werk anlässlich einer großen Ausstellung in Rom kennen und erfuhr vom Herzenswunsch des betagten Künstlers, dass sein beachtliches Archiv in seiner Geburtsstadt bleiben möge. In der Zwischenzeit entstand daraus ein europäischen Großprojekt der Architekturlehre: Ein Gebäude für das „Archivio Jodice“ stand auf Pálffys Initiative seit dem Wintersemester 2010 auf dem Entwurfsprogramm von sechs europäischen Universitäten. Unter der Ägide von neun Professoren und zahlreichen Assistenten nahmen 250 Studierende daran teil.

Trotz der durch die Semesterferien bedingten Ruhe ist an der Abteilung für Gestaltungslehre die Produktivität der letzten anderthalb Jahre in Form der Modelle im Maßstab 1:50 oder 1:33 spürbar. Von Mitte Dezember bis Mitte Jänner wurden sie gemeinsam mit den Arbeiten der Studenten aus Berlin, Dublin, Glasgow, Neapel und Weimar im repräsentativen Ambiente des „Gran Salone della Meridiana“ im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel präsentiert. Bald erscheint das Buch zum Projekt, und ab 23. März wird die Ausstellung der 65 besten Projekte für zwei Wochen im Wiener Künstlerhaus zu sehen sein. Schon allein diese Ausstellungspräsenz samt Publikation ist eine Wertschätzung, die Studentenarbeiten nicht oft zuteil wird. Sie sind die sichtbare Zusammenfassung eines bemerkenswert intensiven Prozesses, der entgegen aller immer wiederkehrenden Kritik an der Architekturausbildung aufzeigt, was eine engagierte Architekturlehre heute zu leisten imstande sein kann.

Im Zuge einer Exkursion lernten die angehenden Architekten Neapel und die möglichen, von Jodice selbst ausgesuchten Bauplätze kennen und wurden von den beteiligten Professoren in das Thema eingeführt. Adrian Meyer, zuvor Professor an der ETH Zürich und einer, der immer wieder Meisterschaft im zeitgemäßem Umgang mit dem gebranntem Ton bewies, hatte zeitgleich an Palffys Institut eine von der Ziegelindustrie finanzierte Gastprofessur in Wien inne. Frei nach einer Parabel von Louis I. Kahn („What do you want, Brick?“ And Brick says to you: „I like an Arch.“) übertitelte er seinen Entwurfskurs mit „Der Backstein will ein Bogen sein“ und stellte das Baumaterial Ziegel und die Ausführung gewölbter Haupträume als Bedingung seines Kurses. Es galt, den Backstein „als kleinstes gemeinsames Vielfaches für das konstruktive Entwerfen“ zu verstehen und seine spezifischen Eigenschaften auszuloten. Interessanterweise wählte schließlich nicht nur Meyers Entwurfsgruppe, sondern die Mehrheit der Studenten den Ziegel, das tradierte und typische Baumaterial der europäischen Altstädte, und es scheint, als wurde hier eine neue Leidenschaft für einen heute oft vorschnell als unmodernen und antiquierten Baustoff geweckt.

Prominente internationale Professoren- und Architektenkollegen wie Nicola di Battista, Ferruccio Izzo oder Martin Steinmann konnten für die Schlusskritik in Wien gewonnen werden. Heinz Tesar stellte sich von neun Uhr morgens bis ein Uhr nachts unermüdlich den Studierenden zur Verfügung. Die Kapazunder machen dies übrigens unentgeltlich, bloß die Reisekosten werden ihnen ersetzt. Und dann der Höhepunkt wieder in Neapel: Der Ausstellungseröffnung in einem der schönsten Räume der Stadt ging ein Studienprogramm mit Vorträgen von Theoretikern und Kritikern zum Thema „Archive der Gegenwartskunst und die historische Stadt“ voran. Auch der Kunstsammler Egidio Marzona, jetzt „Bauherr“ der aktuellen Semesteraufgabe, nahm teil, ebenso Alberto Campo Baeza und Tony Fretton, zwei weitere Charismatiker aus der Zunft der Architekten, die aus ihrem Erfahrungsschatz zum Thema beitragen konnten.

Den Ergebnissen sieht man die intensive Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren viel zitierten Reibungen, mit Jodices Fotografien und den verschiedenen Professoren und Gästen an, auf die sich die Studierenden einlassen durften. An der Art der Darstellung kann man mit ein wenig Übung die Lehrer erkennen, aber keine Spur von Epigonentum. Adolf Krischanitz' Studenten lieferten kompakte, wie minimalistische Skulpturen anmutende Gussmodelle, aus Weimar kommen die zeichnerisch hoch anspruchsvollen Beiträge, bei Pálffy entstandene repräsentative Modelle aus Holz, Adrian Meyer bestand auf Karton und brachte die Architekturschüler dazu, zigtausende Ziegelsteinmodelle aus Pappe zu Kubaturen mit archaisch anmutenden, feinst strukturierten Oberflächen zu fügen. Mit Dienst nach Vorschrift ist das auf beiden Seiten nicht getan. Während der vorlesungsfreien Zeit wurde ebenso gearbeitet wie in vielen Nachtstunden.

Das Programm für Neapel nimmt an Ausmaß und Intensität zwar eine Sonderstellung ein. Den Studierenden die gesamte Spannweite einer Bauaufgabe und die Vielseitigkeit des Architektenberufs näherzubringen, renommierte Kollegen zu entmystifizieren und sie zu Gesprächspartnern der Studierenden zu machen zieht sich aber durch alle Semesterprogramme am Wiener Lehrstuhl für Gestaltungslehre. Ebenso die Arbeit mit Modellen, wie sie in der beeindruckenden Galerie hunderter studentischer Kartonmodelle, die in den Regalen des Instituts fein säuberlich angeordnet zu besichtigen sind, ist dort wesentlicher Teil des Entwerfens. Schon im Grundkurs gilt es Quader von vorgegebener Größe nach bestimmten Kriterien zu zerschneiden, zu verschieben oder zu verschwenken. In einer Grundform stecken tausende Lösungen. Enge Regeln binden nicht das Resultat, so die Erkenntnis. Es geht darum, kein Bild von Architektur zu schaffen, sondern Ideen konsequent in räumliche Tatsachen zu übersetzen.

Für die fortgeschrittenen Semester definieren die Regeln der Entwurfsaufgaben dann konkrete Bauherren und ihre Bedürfnisse, das städtische Umfeld, eine vorhandene Bausubstanz, die Historie eines Ortes und seine mögliche Zukunft. „Man muss das ganze Metier und seine Bestandteile kennen“, sagt Palffy, um Verständnis für das komplexe Zusammenspiel aller konstituierenden Elemente und aller beteiligten Akteure zu schaffen, inklusive der Erkenntnis, dass der Architekt nicht immer in der ersten Reihe stehen muss. Wenige Tage nach der Eröffnung der Ausstellung im Künstlerhaus präsentiert das Institut am 28. März im Wittgensteinhaus sein Buch über die bisherigen Entwurfsprogramme. Vormerken, hingehen und nicht mehr über die Architekturlehre und die Studenten schimpfen!

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