Artikel

Erst Reform, dann Rückschritt
ORF.at

Als „Wunder“ bezeichnete einst die konservative englische Wochenzeitschrift „Spectator“ die Wiener Gemeindebauten, die zwischen 1920 und 1933 von der Stadt errichtet wurden.

28. Juli 2003
"Die Zwischenkriegszeit ist - wie jede Epoche - nicht einfach von den anderen abgrenzbar. So wirkte die Jahrhundertwende mit der Jugendstilbewegung auch in diese Zeit weiter. Die großen Otto-Wagner-Schüler wie u.a. Joseph Hoffmann betätigten sich damals auch als Garten-Gestalter. „In der Zeit des Art Deco, also in den 20er und 30er Jahren, hatte man nicht landschaftlich, sondern architektonisch gestaltete Gärten“, erklärt Geza Hajos, Leiter des Gartenreferates des Bundesdenkmalamtes.

„Dieser Typus geht auf den Jugendstil zurück, wo man die pseudo-englischen Landschaften der Villengärten des späten 19. Jahrhunderts abgelehnt und gesagt hat: Der Garten ist genauso Architektur wie das Haus und beide müssen wieder eine architektonische Einheit sein“, so Hajos.


Neue Gesellschaft, neue Ziele

Mit dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie 1918 entstand eine neue Gesellschaftsform mit neuen Anforderungen und Zielsetzungen. Der Wechsel vom Kaiserreich zur demokratischen Republik spiegelt sich auch in der Architektur wider.

So entstanden im sozialdemokratischen Wien der Zwischenkriegszeit, das hinsichtlich Sozialreformen für Westeuropa Vorbildcharakter hatte, von 1920 bis 1933 über 60.000 Gemeindewohnungen. Und diese hatten für die damalige Zeit eine revolutionäre Ausstattung: u.a. eigene Wasseranschlüsse, belüftbare Toiletten und winzige Vorräume.


Ende großbürgerlicher Gartengestaltung

"Die Gemeindebauten sind sehr gute Beispiele für die „Reform-Ideologie“, ebenso die sozialen Wohnhaussiedlungen im Grünen: Das Einfamilienhaus wird vereinfacht, ist nicht mehr prunkvoll, sondern funktionell. Der Garten soll mit Spiel- und Aufenthaltsplätzen sowie Gemüsegärten zur Versorgung der Familie neu verstanden werden", erläutert Hajos.

„Öffentliche Anlagen standen nun zwar im Vordergrund, aber die Stil- und die Sozialentwicklung verlaufen nicht immer parallel. Sozial bedeutete dies: Die großbürgerliche Parkgestaltung geht mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Aber die Stilsprache der Jahrhundertwende bleibt auch für die bürgerlichen Schichten der Republik bestehen“, so Hajos.

Mehr dazu in Hoffmann-Villa Skywa-Primavesi


Neue Repräsentation

„So sind die Gemeindebauten noch in einer herrschaftlichen Repräsentation verhaftet. Ihre Grün-Gestaltungen sind nicht so modern wie z.B. in Deutschland oder in England, wo die bürgerliche Entwicklung schon früher eingesetzt hat“, so Hajos.

„Erst viel später kommen moderne Gedanken, wie die Frankfurter Schule oder die Berliner Anlagen, die schon in den 20er und 30er Jahren fortschrittlicher in der Garten-Gestaltung waren, nach Wien“, ergänzt der Garten-Experte.


Studie über Wohnbau 1919-1934

Das Atelier „Auböck + Kárász“ hat zusammen mit Stefan Schmid vor mehr als zehn Jahren eine Studie über die Freiräume der zwischen 1919 und 1934 entstandenen Wiener Wohnhausanlagen im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt.

„Aufgrund der Untersuchung von fünf Superblocks kamen wir zu folgendem Ergebnis: Die Wohnhausanlagen-Gestaltung orientierte sich am Hof, der formal in einen Rasenplatz, einen umgebenden Baumrand und Sitzplätzen unter den Bäumen gegliedert ist. Es gab ja damals eine andere Form des Freizeitverhaltens, und der Hausmeister hat darauf geachtet, dass niemand die Wiese betritt. Man findet eine stark formalisierte garten-architektonische Sprache, die sich über Leuchten, Pflanzen und Treppen sehr üppig darstellt“, erklärt Auböck.


Durchgeformte Höfe

„Wir haben bei dieser Arbeit festgestellt, dass sich damals offensichtlich ein starker Architektenwunsch durchgesetzt hat, die kleinen Architektur-Elemente in den Höfen durchzuformen, so z.B. mit Freizeiteinrichtungen wie einem Kinderfreibad und auch nützlichen Einrichtungen wie gemeinsamer Waschküche und Geschäften“, stellt Auböck fest.

„Garten-architektonisch können wir heute noch erkennen, dass die Stellung der Bäume, Sträucher und Immergrün-Pflanzen - wie z.B. der Buchs-Kugeln im Karl-Marx-Hof - ganz symmetrisch angelegt wurde. Wir nehmen daher an, dass sehr viele Otto-Wagner-Schüler hier beschäftigt wurden und dass es noch in den 20er Jahren ein sehr reiches Wissen an Garten-Architektur gab, das in die Gesamtgestaltung integriert wurde“, so Garten-Expertin Auböck, die an der Sanierung der Wohnhausanlage Sandleiten, der größten Wiener Kommunalanlage der Zwischenkriegszeit, beteiligt war.


Heimatschutzbewegung

In Deutschland gab es die Heimatschutzbewegung, die bereits vor der Nazi-Zeit im frühen 20. Jahrhundert existierte. Deren Aufmerksamkeit konzentrierte sich nicht auf die großen Stilepochen, sondern auf heimatliche Traditionen: Man imitierte heimische Vegetationsformen und brachte sie in die Gärten.

„Nach einer ideologischen Verbrämung, Übertreibung und Radikalisierung ist diese Bewegung schließlich in der Garten-Gestaltung der Nazizeit zu finden“, erläutert Hajos.


Grün unter dem Hakenkreuz

„Ein wesentliches Merkmal: Man wollte nicht international sein, denn die Nazis rechneten die internationalen Bewegungen dem linken Lager zu und lehnten sie ab, so auch in der Architektur. Also wählten sie neo-klassizistische, neo-biedermeierliche, liebliche Formen“, führt Geza Hajos aus.

Man setzte zwar die Garten-Gestaltung der früheren Jahre fort, aber man begann, germanische Formen zu suchen und nahm sie in der Garten-Gestaltung auf.


Forschung an Uni Hannover

Mit dem Kapitel der Grüngestaltung in der Nazi-Zeit befasst sich Joachim Wolschke-Bulmahn im Fachbereich Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung an der Universität Hannover.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: