Artikel

Das Leid mit der Leitlinie
Spectrum

Der aktuelle Baukulturreport streut der Steiermark Rosen, nicht zuletzt ihren „Baupolitischen Leitsätzen“, die 2009 durch die Landesregierung beschlossen wurden. So weit, so gut. Aber wie steht es um die Umsetzung der hehren Vorgaben in die Realität?

27. April 2012 - Karin Tschavgova
Wenn die Steiermark am Rathausplatz Wien grüßt, so präsentiert sie sich bei Blasmusik und Bieranstich. Bodenständiges ist im „Steiermarkdorf“ Programm. Dabei hätte das Land viel mehr vorzuzeigen – zum Beispiel seine Baukultur. War die Steiermark nicht einst ein Pionierland im Bemühen um gutes Bauen, vergleichbar nur mit dem Qualitätsweg der Vorarlberger Baukünstler? Tempi passati, wie viel hat sich seitdem geändert! Baukunst ist längst kein Außenseiterthema, selbst das traditionsgebundene Tirol scheint sich in aufregender Weise einer Qualitätsoffensive verschrieben zu haben. In Salzburg und Oberösterreich wächst baukulturelles Bewusstsein, das bemerkenswerte Früchte zeitigt. Selbst in Regierungserklärungen der Bundesregierung werden, wie 2007, Maßnahmen zur Verankerung qualitativ hochstehender Baukultur festgeschrieben.

Vor Kurzem wurde der zweite österreichische Baukulturreport präsentiert. Der Bericht fokussiert unter anderem auf die Verankerung der Baukultur auf kommunaler Ebene und empfiehlt Innovation als Vergabekriterium bei Wettbewerben. Der Steiermark werden Rosen gestreut, weil sie mit ihren „Baupolitischen Leitsätzen“, die 2009 einstimmig durch die steirische Landesregierung beschlossen wurden, „bisher am umfassendsten“ – von allen Bundesländern – „Baukultur als Querschnittsmaterie und gesellschaftlichen Anspruch erfasst und als Leitbild und Handlungsmaxime für die steirische Politik und Verwaltung vorgegeben hat“. Zeit also für eine Umschau, ob und wie das Pflänzchen Baukultur in der Steiermark gepflegt wird und wo es sprießen kann.

Die Bundesimmobiliengesellschaft, von der Regierung beauftragt, öffentliche Bauten nach marktwirtschaftlichen Kriterien effizient zu entwickeln, realisiert aktuell das Schubhaftzentrum in Vordernberg und das Produktionstechnikzentrum (PTZ) der TU Graz auf den Inffeldgründen. Ein EU-weit offener Architektenwettbewerb „zur Erlangung baukünstlerischer Vorentwürfe“ geht beinahe allen größeren Bauvorhaben der BIG als qualitätssichernde Maßnahme voran. Dennoch gewinnt man den Eindruck, dass bei dem bis zum Herbst dieses Jahres fertiggestellten PTZ von Hans Mesnaritsch Pragmatik über Baukunst gestellt wurde. Die drei neuen Forschungs- und Institutsgebäude, deren größtes Volumen ein Würfel mit 33 Meter Seitenlänge ist, sind genauso wie die vom selben Architekten stammenden beiden Module des Kompetenzzentrums aus 2004, sein im Vorjahr eröffnetes Kinderhaus und das von Thomas Zinterl geplante Gebäude für die Frank-Stronach-Institute aus 2006 durchaus alltagstaugliche Zweckbauten. Sie sind funktionell, bis ins Detail sauber gelöst und mit Nutzung von Geothermie technisch innovativ. Was ihnen fehlt, ist bauliche Innovation, ist Wagnis und Grenzgang des Neuen, neu Gedachten – und ist Esprit und Eleganz, die ein Bauwerk zu Baukunst erhöhen können.

Zugegeben, solche Glücksfälle sind nicht nur in der Steiermark selten. Das neue Besucherzentrum des Joanneums von Nieto Sobejano Arquitectos mit Eep Architekten könnte man dazuzählen. Unter den über die Landesimmobiliengesellschaft abgewickelten Realisierungen der vergangenen Jahre, zu denen auch der noch nicht abgeschlossene Ausbau des Joanneumviertels zählt, findet sich einiges, was als Referenzobjekt landeseigener Hochbauten geeignet wäre. Im kommunalen Hochbau der jüngeren Vergangenheit hingegen lässt sich Vorzeigbares, das über Mittelmaß hinausgeht, an einer Hand abzählen. Ein Beispiel: Beim massiv von Land und Bund geförderten Kindergartenausbau (siehe „Spectrum“ vom 4.Juni 2011) wurde versäumt, durch qualitätssichernde Maßnahmen zu steuern, was die Autoren des neuen Baukulturreports mit Spannung erwarten: erste Umsetzungserfolge der „Baupolitischen Leitsätze“ der Steiermark. Eine vertane Chance.

Das führt uns zum Wohnbau, der dem Land vor einem Vierteljahrhundert internationale Beachtung als Architektur–Eldorado einbrachte. Für den geförderten Wohnbau in der Steiermark konstatiert der aufmerksame Beobachter betrübt, dass er bedeutungslos geworden ist. Was über die Qualität eines „business as usual“ hinausgeht, entsteht mit wenigen engagierten Bauträgern, die Qualität fordern und fördern, weil sie wissen, dass sie die auch verkaufen können, wenn es keine Fördermittel dafür gibt. Was so entstehen kann, sind gelungene Einzelbeispiele. Was fehlt, ist ein politisches Bekenntnis für einen neuen sozialen Wohnungsbau, der nicht nur niedrigen Energieverbrauch zum Thema hat, sondern auch Spielraum lässt, auf geänderte gesellschaftliche Anforderungen freier und fantasievoller reagieren zu können.

Wo die Architektur aus der Steiermark schwächelt, sind die Ursachen nicht auf einen Nenner zu bringen. Im mehrgeschoßigen Holzwohnbau, bei dem mit zwei Beispielen von Hubert Rieß Pionierleistungen erbracht wurden, wurde der gute Anfang nicht konsequent weitergeführt. Heute wird in Wien Wohnbau in Holz umgesetzt, in Vorarlberg entsteht ein erstes Hochhaus, während im Holzland Steiermark Schweigen im Walde herrscht.

Bei anderen Themen wie den Bauten für die alpine Skiweltmeisterschaft 2013 in Schladming gewinnt man den Eindruck (mit Ausnahme des Mediencenters von Riepl Riepl Architekten), dass es den Auftraggebern schlicht an Qualitätsbewusstsein fehlt. Erstaunlich nur, dass die dort entstandenen Bauwerke wie das schon in Kritik geratene Zielstadion von Fachjurien in Wettbewerben ermittelt wurden.

Höchste Qualität, die als Baukunst in die Architekturgeschichte eingehen könnte, ist eben auch dann noch nicht garantiert, wenn man sie über Baukulturreports einfordert und über Leitsätze zur Baukultur verordnet. Dennoch: Allen Bemühungen vorangehen muss, ein breites Bewusstsein für gutes, über brave Alltagstauglichkeit hinausgehendes Bauen zu schaffen – als nachhaltiger Gewinn für jede Gesellschaft. Leitlinien, die sich Bund und Länder als größte Bauherren auferlegen, sind dabei hilfreich unter der Voraussetzung, dass sie nicht papieren bleiben, sondern mit Engagement und Fantasie umgesetzt werden.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: