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Kredenz für Demenz
Der Standard

Designberaterinnen, Architekten und Pflege-Expertinnen entwerfen das Erinnerungsmöbel Memobil

7. Mai 2012 - Karin Pollack
Es gibt viele Dinge des täglichen Lebens, die in der modernen Welt aus dem Alltag verschwunden, in den Köpfen älterer Menschen allerdings fix gespeichert sind: etwa das Einheizen eines Holzofens, die gemütliche Ofenbank, Nähmaschinen mit Fußpedal, Abreißkalender, Kästen mit kleinen Laden und Schubladen. „Lebensrückschau ist ein Prozess, der uns hilft, die Integrität des Ichs zu bewahren“, sagt Psychiater Georg Psota bei der Vorstellung des Möbelstücks Memobil, einer Innovation für Pflegeheime. „Es sieht ein bisschen wie die Kredenz meiner Großmutter aus“, sagt Psota.

Das freut den Architekten Alexander Hagner vom Büro Gaupenraub, denn dieser Eindruck war beabsichtigt. Zusammen mit Kunst- und Designberaterinnen von section a, Therapeutinnen und Pflegewissenschafterinnen (und unterstützt von der Wiener Förderinstitution departure) wurde ein Möbel entwickelt, das demenzkranken Menschen die Welt, wie sie früher einmal war, ein Stück zurückbringen will. Nicht durch Worte, sondern durch haptisches Erleben. Das Möbel selbst ist die „Hardware“, die „Software“ ist, was sich in den Laden und Regalen verbirgt. Bücher mit Abbildungen alter Autos, ein Nähkästchen, Werkzeug, aber auch Kartenspiele und Wolle. Bei der Probephase im Pflegeheim der Caritas socialis in Wien sei das Möbel samt Inhalt bei den Bewohnern gut angekommen, erzählt Pflegedienstleiterin Barbara Schwarzmann. „Das Nähzeug weckt Erinnerungen und bringt auch Schweigsame zum Reden“, kann sie berichten. Es gibt viel zu entdecken, für gebrechliche Menschen sind Stangen zum Anhalten montiert. „Memobil ist kein Lern-, sondern ein Wohlfühlmöbel ohne pädagogische Hintergedanken“, präzisiert Designberaterin Alexandra Feichtinger. Mit unterschiedlichen Oberflächen, aber auch duftenden Gewürzen und Gegenständen von anno dazumal wollte man in einem Möbel verlorengegangene Vertrautheit schaffen. „Das einzige Paradies, das der ältere Mensch hat, ist die Erinnerung“, bestätigt auch Lotte Tobisch-Labotýn, die sich in den vergangenen Jahren stark für demenzkranke Menschen einsetzt. Wenn es ein Möbelstück schaffe, „sich an die Erinnerung zu erinnern, die man verloren hat“, sei das sehr unterstützenswert.

Kontakt fördernd

Dass die Kontaktaufnahme mit fortschreitendem Verlust des Gedächtnisses immer schwieriger wird, weiß sie aus ihrem Engagement im Künstleraltersheim Baden. In der Wiener Caritas socialis hat sich das Memobil als Vehikel zur Interaktion zwischen Demenzkranken und ihren Angehörigen oder Betreuungspersonen bereits bewährt.

Der Prototyp soll demnächst nach Grafenwörth in ein Pflegeheim von Senecura übersiedeln. Das Entwicklungsteam hofft, dass das Erinnerungs- und Kommunikationsmöbel für demenzkranke Menschen kein Prototyp bleiben wird.

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