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Häuser, unterwegs
Der Standard

Eine wie immer ungerecht kleine Auswahl architektonischer Publikationen aus der großen Fülle des aktuellen Architekturbuchsommers, vorgestellt von Ute Woltron

12. Juli 2003 - Ute Woltron
Das Titelfoto ist natürlich ein Geniestreich: Es wirkt wie aus der Perspektive eines Halbtoten aufgenommen, der gerade ohne Proviant und Wasser eine Wüste durchrobbt hat, die sich auf dem Mond zu befinden scheint. Bäuchlings liegt er in zu Stein gebackener Krume - es ist entweder arktisch kalt oder saharaheiß, was weiß man - und weit vorne steht ein Haus unter aquamarinblauem Himmel.

Diese Villa dort in der Ferne scheint unerreichbar. Eine Fata Morgana der Zivilisation. Eine Architektur der letzten Rettung. Ein zipfelig schroffer Hort des Wassers, Essens, des Schattens und freundlicher Gastgeber.

Dieses Haus könnte irgendwo stehen. An einem salzigen Meer, in der trockenen Weite des amerikanischen Südwestens, in der Fantasie eines Sciencefiction-Autors. Glücklicherweise befindet es sich tatsächlich in einer der lieblichsten Gegenden Österreichs, nämlich dem Burgenland. Gebaut wurde es von Michael Szyszkowitz und Karla Kowalski, und mittlerweile ist das Gelände drumherum grün, saftig, freundlich.

Die Grazer Architekten haben das Titelfoto zu ihrer Publikation Idea and Form. Häuser von Szyszkowitz+Kowalski (€ 66,82/Birkhäuser) klug gewählt, denn es drückt klar aus, was das Buch will: Das Einfamilienhaus als „Territorialkunst“ vorstellen, als „Zuneigung zu einem Stück Leben“, wie Karla Kowalski es nennt. Dazu passt auch, dass der Autor des Bildes unbekannt bleibt, als MitarbeiterIn des Büros, als Teil einer monolithischen Architekturbüro-CI, die sich allerdings der Planung und Ausführung besonderer Hausindividualisten verschrieben hat.

Vorgestellt werden diese Solitäre von Architekturprofessorin Karin Wilhelm. 18 Häuser sind es insgesamt, alle markant und sehr eigenwillig. Das Buch über die Wohnhäuser des etablierten Duos ist eine ausgewogene Melange aus Bildern, Skizzen und nicht zu opulenten Texten. Peter Blundell Jones geleitet den Leser in seinem Vorwort mit folgenden Worten in den Szyszkowitz-Kowalski-Kosmos: „Sie führen uns vor Augen, dass Architektur auch heute noch einfallsreich, überraschend, persönlich, mitreißend und irritierend sein kann - alles, nur nicht öde.“

Auch unser zweiter Architekturbuchkandidat legt bereits auf den Umschlagseiten viel versprechend vor, was von ihm zu erwarten ist: eine Reise durch Zeiten, Länder, Architekturen. Vier Fotos, vier Architekturwelten.

Die üppige Barocktreppenanlage im portugiesischen Braga führt hinauf zur Kirche des „Guten Jesus des Berges“ (Bom Jesus do Monte), ein gewaltiger Pilgerpfad, von einem guten Dutzend steinerner Heiliger gesegnet. Darunter ein kühles Manifest der Moderne, der Deutsche Pavillon von Mies aus dem Jahr 1929. Die Rückseite: ebenfalls weihevolle Formenopulenz. Über den Felsen von Niterói, der Schwesterstadt Rio de Janeiros, schwebt ufohaft Oscar Niemeyers Kunstmuseum. Darunter ein Blick in die Große Moschee Córdobas, das maurische Monument des 9. und 10. Jahrhunderts.

Harry Seidler, australischer Architekt mit Wiener Ursprung, hat die Welt umrundet, eine subjektive Auswahl an beispielgebenden Häusern und Stadtanlagen ausgewählt und gemeinsam mit dem Verlag Taschen zu einem fetten kleinen Wälzer verarbeitet. The Grand Tour (€ 20,60/Taschen) ist ein eigenwilliger Architekturführer, dessen österreichischer Teil vor allem Historisches wie Schönbrunn, Hallstadt und Ringstraße offeriert, aber wenigstens mit Rachel Whitereads Holocaust-Mahnmal am Wiener Judenplatz endet.

Vom nächsten Cover schaut uns ein Mann entgegen: Hager, nicht mehr jung, alles an ihm spitz und streng, schwarzer Rollkragenpullover. Hinter ihm ein milchigweißes Konstrukt. Friedrich Kiesler: Endless House 1947-1961 (€ 25,50/Hatje Cantz) heißt das gemeinsam vom Friedrich-Kiesler-Zentrum Wien und dem Museum für Moderne Kunst Frankfurt herausgegebene Werk. Skizzen, mit Schreibmaschine getippte Texte, alte Fotos, vergilbte Zeitungsartikel und eine Menge guter zeitgenössischer Texte: Wer je in Kieslers amorphes Konstrukt abgrundtief eintauchen wollte - jetzt endlich bietet sich eine Gelegenheit dazu.

Auch Gerhard Garstenauer. Interventionen (€ 41,-/Verlag Anton Pustet) erweckt mit dem Unkonventionellen auf der Titelseite Neugierde. Im blauen Himmel fliegt ein Hubschrauber über den verschneiten Alpenkamm, er trägt ein kugeliges Stabwerk durch die Lüfte, das - längst gelandet - als eine der wunderbarsten Alpenstationen des österreichischen Berglandes Architekturgeschichte geschrieben hat.

Die Skiliftstationen des Salzburger Architekten in Sportgastein aus dem Jahr 1972 sind für Garstenauer „Architektur in einer Art Niemandsland“. Für die Skitouristen sind sie seit jeher Landmark, Zufluchtsstätte, Panoramastation. Für die Gasteiner waren sie ein Schritt in Richtung Tourismusmoderne, die mit dem eigentlichen Kapital, dem Berg, vernünftig und ein wenig kokett zugleich Umgang pflegte. Jedenfalls fernab jeder touristischen Anbiederung. Bedauerlich nur, dass dieser frische Architekturwind von rückschrittlicheren Geistern nicht immer pfleglich behandelt wurde.

Garstenauers umfangreiches Werk, für Dietmar Steiner „Bestandteil der Kulturgeschichte im Allgemeinen“ und „wesentlicher Bestandteil der österreichischen Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, wurde in dieser Publikation gründlich aufgearbeitet. Was fehlt? Ein sofortiger Wiederaufbau des geschändeten Skilifts auf dem Kreuzkogel. Möge der Hubschrauber bald wieder kreisen.

Jetzt zu den heute so beliebten Minimalisten. Wir sehen es gleich, ein verwaschenes, oranges Lichtfeld in schwarz-grüner Fassade ziert zurückhaltend die Titelseite von Minimal Architecture (Ilka & Andreas Ruby, Angeli Sachs, Philip Ursprung, € 41,60/Verlag Prestel).

Darinnen die Essenz dessen, was in den vergangenen Jahren als reduziert, eben minimalistisch, gepriesen wurde. Die Beispiele stammen aus der ganzen Welt und von Leuten wie Tadao Ando, Herzog & de Meuron, Lacaton & Vassal, sogar Zaha Hadid ist laut diesem Buch angeblich gelegentlich zu Reduziertem fähig. Mit dabei ist auch Adolf Krischanitz mit seiner Neue-Welt- Schule und der neuen Kunsthalle Karlsplatz.

Ob der plakative Begriff Minimal Architecture tatsächlich auf alle hier gezeigten Projekte anzuwenden ist, mag die Leserschaft selbst entscheiden.

Der UmBau 20 (Institut für Architekturtheorie TU Wien, Österreichische Gesellschaft für Architektur, € 10,90/edition selene) schaut grafisch aus wie immer. Er befasst sich diesmal mit Moral und Architektur, wobei der Begriff Moral sicherheitshalber durchgestrichen ist, was bereits auf den Inhalt schließen lässt.

Der ist, wie gewohnt, fundiert, von internationaler Schreiberherkunft und streckenweise erfrischend provokant. Robert Kaltenbrunner publiziert etwa einen schönen Essay über den Mythos vom politikfreien Raum, und Christian Kühn thematisiert, mikro-makro, zwei umfehdete Wien-Projekte, und zwar die Altargeschichte der Augustinerkirche sowie Wien-Mitte.

Zuletzt eine ebenfalls optisch sehr zurückhaltende Angelegenheit von Liesbeth Waechter-Böhm. austria west. tirol vorarlberg. neue architektur (€ 35,90/Birkhäuser) ist der begleitende Band zur gleichnamigen Ausstellung, die vor kurzem international auf Tour geschickt wurde. Aufgearbeitet wird darin die jüngere - und erstaunlich dichte Architekturgeschichte Westösterreichs. Das Titelblatt bleibt dabei weiß wie westösterreichischer Alpenschnee, der frisch beschrieben werden will.

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