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Esplanaden und Inseln
Neue Zürcher Zeitung

Die katalanischen Architektinnen Galí und Pinós

Architektinnen nehmen in Barcelona, einer Hochburg der zeitgenössischen Baukunst, eine immer wichtigere Stellung ein. Die 49-jährige Carme Pinós bereichert den Diskurs mit eigenwilligen Gebäuden. Darüber hinaus betätigt sie sich wie die 1950 geborene Beth Galí, von welcher der Entwurf für die Rambla in Terrassa stammt, als Urbanistin.

4. Juli 2003 - Markus Jakob
Die Ruine eines Aquädukts, ärmliche Ausläufer eines Dorfes in der Einöde irgendwo hinter Alicante, ein Wildwesthorizont. Über das ausgetrocknete Flussbett spannen sich, geduckt und doch gebieterisch, drei Stahlträger, die eine holzgedeckte Passerelle tragen, seitlich als Palisade aufstrebend und jenseits der Senke in eine sanft gestaffelte Esplanade sich weitend, in die karge Natur als Halbinsel sich ergiessend: ein Stück exquisiter Landschaftsgestaltung im spanischen Niemandsland, entworfen von Carme Pinós. «Die Luft mit einem Gemurmel erfüllen», so poetisch versuchte die 1954 geborene Architektin in einer 1998 erschienenen Monographie über ihre Projekte die Passerelle von Petrer auf den Begriff zu bringen. Fünf Jahre später, kurz bevor bei The Monacelli Press in New York ein neues Buch über sie erscheint, sind von dem Dutzend ehedem vorgestellter Projekte neben Petrer nur zwei gebaut worden. Dennoch ist Carme Pinós heute eine der wenigen Frauen, die zur Weltelite der Architektur zählen. Lastete nicht auch auf Zaha Hadid lange der Fluch der unverwirklichten Projekte?

Heute sind jedoch Architekturstudentinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen vielenorts in der Überzahl - längst auch in Spanien. Drei der international gefragtesten Architektinnen sind in Barcelona tätig, zwei von ihnen waren Partnerinnen des jung verstorbenen Enric Miralles: Carme Pinós, die seit 1991 in eigener Regie arbeitet, und Benedetta Tagliabue, der nun die Ausführung von Miralles' letzten grossen Projekten - unter anderem des schottischen Parlaments - obliegt. Und da ist schliesslich Beth Galí, auch sie privat mit einer Koryphäe, nämlich mit Oriol Bohigas, liiert, aber beruflich selbständig. Ist es reine Willkür, zwei der drei Frauen zu einem Doppelporträt zu vereinen? Was, ausser Wohnort und Geschlecht, verbindet die im Temperament und in ihrer architektonischen Sprache doch recht verschiedenen Architektinnen Pinós und Galí? Ihr Werk überblickend, stösst man auf diese merkwürdige Koinzidenz: Beide haben künstliche Inseln im Meer gebaut.


Barcelonesische Bonvivante

Galís Insel ist Teil eines Bäderprojekts auf dem Gelände des «Forums 2004», der zurzeit grössten Baustelle Barcelonas (NZZ 14. 9. 02). Das Bad ist einem neuen Park von Foreign Office Architects vorgelagert; es werden dabei Themen wie Süss- und Salzwasser, stilles und bewegtes, kaltes und warmes, klares und schlammiges Wasser variiert: «Eine deliziöse Bauaufgabe.» Die künstliche Insel aus weissen Betonquadern soll kein falsches Idyll vorspiegeln, sondern sie erscheint als streng horizontal geordnete Architektur im Meer, kontrastierend mit den buschigen Ufern, wo aber auch eine breite öffentliche Treppenanlage ins Wasser führt, und mit zwei langgestreckten Gebäuden, die Strandbars aufnehmen.

Die 1950 geborene Beth Galí, von Vitalität sprühend, ist für solch hedonistische Projekte zweifellos die geeignete Architektin. Im Umfeld von Barcelonas «Gauche divine» der späten Franco-Jahre gross geworden, wirkte sie ab 1980 bei der von Oriol Bohigas geleiteten Projektgruppe der Stadtplanung mit, die aus Barcelona alsbald «eine Stadt von vier Millionen Urbanisten» machte. «Die nationalistische Rechte schoss sich auf die von uns gestalteten Plätze ein, und diese Politisierung war der Diskussion förderlich. Linke und Rechte tauschten zeitweise über unsere Köpfe hinweg ihre Kugeln. Ausserdem waren es die ersten demokratischen Jahre nach der Franco- Diktatur, und da gab es eine ungeheure Bereitschaft, die neue Freiheit auszuleben: selbstbewusst, grossmütig, expansiv. So sehr, dass die Leute es heute für ganz normal halten, dass Barcelona immer an der Spitze mitmischt.

Zu ihren Entwürfen aus jener Zeit gehören der Parc de Joan Miró und der Fossar de la Pedrera, eine Gedenkstätte für Kriegsopfer in einem alten Steinbruch am Montjuïc, die sie zu einem der aussergewöhnlichsten, ja ergreifendsten Orte von Barcelona gestaltet hat: eine nachgerade filmisch anmutende Sequenz von Aussenräumen. Von Beth Galí stammt aber auch eine der meistkopierten Strassenlampen der jüngeren Zeit, die «Lamparaalta». Inzwischen hat ihre Arbeit als Urbanistin mit der Neugestaltung des Zentrums der holländischen Stadt s'Hertogenbosch und der Hauptgeschäftsstrasse von Cork in Irland ihre Fortsetzung gefunden. Demnächst wird sie auch in Hamburg ihren Entwurf für die Umgebung des Dammtorbahnhofs sowie eine neue Rambla in Terrassa bei Barcelona realisieren. Diese stellt den Versuch dar, ein 1999 durch rassistische Ausschreitungen in Verruf gekommenes Viertel mittels eines öffentlichen Raums besser in die Stadt zu integrieren.

In exponierter Lage - und stets als Ausdruck der Zeit - entstehen auch einige ihrer Hochbauten. So wird sie am Paralelo, mitten in Barcelonas altem Theaterdistrikt, nicht etwa ein neues Theater bauen, sondern - ein Altersheim. Und in Nachbarschaft zu Jean Nouvels Wolkenkratzer an der Diagonal ist als Galís zurzeit ambitioniertestes Projekt ein Medienpark geplant, der acht hoch verdichtete Cerdà-Blocks umfassen wird: «la Ciudad Audiovisual». Galís Büro liegt in einer einst düsteren, inzwischen durch urbanistische Massnahmen stark aufgewerteten Altstadtgasse. Das Erdgeschoss ist einem Galerieraum vorbehalten, in dem - unbeachtet vom grossen Publikum - die zweifellos seltsamsten Architekturausstellungen Barcelonas gezeigt werden.


Beauty and the Beam

Anders das Atelier von Carme Pinós: Die 500 Quadratmeter an der Ecke von Diagonal und Vía Augusta repräsentieren das grossbürgerliche Barcelona in Reinkultur. Nach ihrer Trennung von Enric Miralles war die Frage unausweichlich, inwieweit sie die Co-Autorschaft für wegweisende Entwürfe wie den Friedhof von Igualada - wo Miralles später begraben wurde - und die Schule in Morella beanspruchen kann. Eine Antwort gab sie selbst mit einem andern Schulbau in Mollerussa bei Lleida, dessen räumliche Qualitäten, vor allem die Erschliessungszone mit ihrem beziehungsreichen Ineinander von Rampen, Treppen und Galerien, dem Bau in Morella in nichts nachstehen.

Carme Pinós' Architektur ist nicht organisch; sie schmiegt sich jedoch oft so eng an das Gelände, als suchte sie ihren Ort zwischen dessen Faltungen. An Sandkastenspiele mag sie erinnern, etwas «Füchsisches» hat Pedro Azara darin ausgemacht. Keine dominanten Flanken, keine Stirnseiten, keine vor dem Betrachter sich aufspielenden Fassaden; eher eine Vielzahl flüchtiger Seitenansichten. Wie bei Beth Galí spielt auch im Werk von Carme Pinós die Gestaltung des öffentlichen Aussenraums eine zentrale Rolle. Ihre «Insel» ist eine Aufschüttung vor der von ihr gestalteten Marina von Torrevieja. Sie schirmt mit den neuen Molen die Strände und Promenaden ab, die vor der dicht bebauten Touristenstadt einen «maritimen Garten bilden, für den man sie in Torrevieja jetzt, gemäss ihrer eigenen Aussage, «auf Händen» trägt.

Inzwischen hat sich der Schauplatz ihrer wichtigsten Projekte nach Mexiko verlagert, genauer nach Guadalajara. Der Unternehmer Jorge Vergara, reich geworden mit der Vermarktung von Kraftnahrung, hat mit Hilfe des mexikanischen Elitearchitekten Enrique Norten eine ganze Schar berühmter Baukünstler zusammengetrommelt - Libeskind, Nouvel, Hadid, Toyo Ito -, um ein Gelände am Stadtrand in eine architektonische Wunderschau zu verwandeln, in der weder ein Stadion noch ein Museum, noch ein Hotel fehlen (NZZ 14. 9. 02). Carme Pinós wurde für die Messehallen und den angrenzenden Park ausersehen. Sie schlug drei langgestreckte Bauten vor, die als Brücken das Kongresszentrum von Enrique Norten und das Zuckerwatte-Shopping-Center von Coop Himmelb(l)au mit ihrem Park verbinden. «Was uns vorschwebt, sind Hallen, die auch als Park funktionieren, wenn gerade keine Messe stattfindet: Wir versuchen eine Poetik der leeren Räume zu schaffen.»

Das megalomanische Projekt des mexikanischen Magnaten ist inzwischen ins Stocken geraten; gegenwärtig wird der Masterplan überarbeitet. Weniger ungewiss scheint die Realisierung eines andern Projekts in Guadalajara: Ein örtliches Bauunternehmen, das damit zugleich zu renommieren und sein eigenes Können zu unterstreichen gedenkt, beauftragte Carme Pinós mit dem Entwurf seines neuen Hauptsitzes. Der 15-geschossige Turm hat es denn auch in sich: Er ist - das liebliche Klima von Guadalajara lädt dazu ein - nicht nur natürlich belüftet und belichtet, sondern auch konstruktiv ein Wagestück. Eine punktsymmetrische Anlage aus drei Erschliessungskernen trägt ebenso viele völlig stützenfreie Bürozonen, vertikal teilweise über mehrere Geschosse durchbrochen, was wiederum den Innenhof mit Licht und Luft versorgt. Das Ganze wird durch eine Lattenfassade vor der Glashaut abgekühlt: cool wie Carme Pinós.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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