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Alles unter einem hügelförmigen Blechdach
Neue Zürcher Zeitung

Die Cincinnati Country Day School von Michael McInturf in Indian Hill

Mit Bauten von Peter Eisenman und Frank O. Gehry sowie - zuletzt - mit Zaha Hadids Contemporary Arts Center ist Cincinnati zu einem Mekka zeitgenössischer Architektur geworden. Weniger bekannt ist eine Schule am Rande der Stadt, die Michael McInturf errichtet hat, ein Protagonist digitaler Entwurfsverfahren.

4. Juli 2003 - Hubertus Adam
Zumindest in Europa gilt Greg Lynn als der Vorreiter einer neuen, aus computergenerierten Entwurfsverfahren resultierenden architektonischen Ästhetik. Durch seine Teilnahme an den weltweit abgehaltenen «Any»-Konferenzen, welche den Diskurs der neunziger Jahre bestimmten, aufgrund seiner Bespielung des amerikanischen Pavillons auf der Architekturbiennale 2000 in Venedig und nicht zuletzt infolge von Gastprofessuren an der ETH Zürich sowie in Wien hat er sich als «mastermind» eines neuen architektonischen Selbstverständnisses etablieren können. Dabei wird oft ausgeblendet, dass das einzige realisierte dauerhafte Projekt keineswegs von dem in Los Angeles ansässigen Büro Greg Lynn Form allein geplant wurde, sondern als Gemeinschaftsarbeit zusammen mit zwei anderen Partnern.

Kooperationen unter Architekten sind nichts Seltenes, doch bei dieser Gemeinschaftsarbeit galten Kommunikation und Datenaustausch via Internet nicht als notwendiges Übel, sondern als programmatisches Ziel. Aufgabe war der Umbau der früheren Knickerbocker Laundry im New Yorker Stadtteil Queens für die koreanische «New York Presbyterian Church», an dem sich auch das Büro von Michael McInturf aus Cincinnati sowie Douglas Garofalo aus Chicago beteiligten. Auch wenn das Projekt in den Fachmedien auf erstaunliche Resonanz stiess, beweist ein Besuch im weitläufigen Kirchenkomplex, dass die Computergraphiken der «Blobmaster» hier wesentlich suggestiver aussehen als die gebaute Realität. Ungewollt wirken die ständig sich wandelnden Rippen der riesigen Kirchenhalle mit ihren 2500 Sitzplätzen wie ein Verschnitt von Rudolf Steiner und Imre Makovecz; wo es aber wirklich zu einer überzeugenden formalen Lösung gekommen ist - nämlich bei den von winklig-geknickten, beinahe muschelschalenartigen Blechelementen gerahmten Treppen seitlich des grossen Saales -, handelt es sich nur um einen Fluchtweg.

Anders als Lynn konnte der 1962 geborene McInturf einige Zeit nach der 1998 konsekrierten Kirche in Queens einen eigenständigen und ungleich überzeugenderen Bau errichten: die umfangreiche Erweiterung der Cincinnati Country Day School. McInturf, der - wie übrigens auch Lynn - aus Ohio stammt, ging nach seinem Architekturstudium zu Peter Eisenman nach New York, wo er zunächst am Wexner Center für Columbus mitarbeitete, um dann 1994 als Projektleiter für Eisenmans Aronoff Center for Design nach Cincinnati zu übersiedeln. 1995 eröffnete er sein eigenes Büro, und seit einiger Zeit lehrt er an der University of Cincinnati.

Die private Cincinnati Country Day School, 1926 gegründet, liegt etwa 20 Kilometer nordöstlich von downtown Cincinnati in der weitläufigen Hügellandschaft von Indian Hill. Von englischem Rasen umgebene Villen zeugen vom Wohlstand der Bewohner, und irgendwo verstecken sich auch zwei architektonische Preziosen von Richard Neutra und Philip Johnson.

Anlass für den Neubau war eine 1994 erfolgte private Stiftung für den Bau eines Theaters. Der Schulleiter Charles F. Clark machte sich dann aber für eine grundsätzlichere Erweiterung stark: McInturf, zunächst mit dem Theater beauftragt, entwickelte einen Masterplan für die Neugestaltung des gesamten Schulareals. Die bestehenden moderat-modernen Bauten des Architekten Carl Strauss sollten demzufolge durch organisch wirkende Baukörper ergänzt oder ersetzt werden. Die Inspirationsquelle bildete die Landschaft von Indian Hill, deren sanfte Hügel mit digitalen Entwurfstechniken gleichsam in Architektur transformiert scheinen. Der grösste dieser «Hügel» wurde inzwischen fertiggestellt: Unter einem alles vereinenden, seine Form wandelnden Blechdach befinden sich die verschiedenen Teilbereiche der neuen Upper School für 280 Schüler.

Entsprechend dem reformpädagogischen Geist der Cincinnati Country Day School sollte ein Ort der Gemeinschaft entstehen, und das hat der Architekt überzeugend gemeistert. McInturf nutzt die organische Metaphorik, wenn er die Funktionsweise seines Neubaus erläutert: Er bezeichnet die ausgedehnten, zwischen den Niveaus vermittelnden Gemeinschaftszonen als das Herz des Gebäudes, den grossflächig verglasten Speisesaal als den Magen und die Bibliothek als das Hirn. In der Tat ist es gelungen, die verschiedenen Bereiche unter dem grossen gefalteten Dach in eine sinnvolle und spannungsreiche Abfolge zu bringen und sogar ein technisch gut ausgestattetes Theater mit 534 Sitzplätzen zu integrieren. Ziel war ein Zusammenspiel der Teile, nicht die elaborierte Perfektion oder die repräsentative Geste.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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