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Dienstleisten und Wertschöpfen
Der Standard

Am 1. Juli tritt das Bundesvergabegesetz 2002 endgültig österreichweit in Kraft. Experten erläutern, was das neue voluminöse Paragrafenwerk, das bereits jetzt vor einer Novelle steht, für die Architektur bedeutet.

30. Juni 2003 - Ute Woltron
1Paragrafen, zehn Anhänge, insgesamt 150 Seiten Gesetzestext: Das Bundesvergabegesetz 2002 ist, da sind sich auch Experten einig, ein ziemliches Bröckerl niedergeschriebener Judikatur. Das Werk regelt, dem vorgeschriebenen EU-Recht folgend und jeweils national interpretiert und aufbereitet, die Vergabe öffentlicher Aufträge.
Doch inwieweit nimmt das Gesetz, das somit über allen Wettbewerbsordnungen und Richtlinien steht, Rücksicht auf die komplizierten und naturgemäß stets mit einer gewissen Subjektivität behafteten Vergaben von architektonischen Planungen? Da Architekten keine Juristen und Juristen keine Architekten sind, hat das ALBUM sicherheitshalber Experten beider Disziplinen nach ihrer Meinung befragt.

Georg Pendl ist Kammerchef der Architekten und in Wettbewerbs- und damit auch Vergabebelangen spezialisiert. Christian Fink hat in der Vergangenheit als Jurist der Architektenkammer stets Fingerspitzengefühl bewiesen, was ihn schließlich in das Bundesvergabeamt katapultierte. Er gibt in diesem Gespräch seine persönliche vergaberechtliche Sicht wieder.

Beide sind sich letztlich einig: Gesetze hin, Gesetze her. Saubere Vergaben beginnen mit sorgfältigen Ausschreibungen und mindestens ebenso verantwortungsvoll geführten Verfahren, und beides kann nur dann zustande kommen, wenn auch die Auftraggeber über die gesamte Dauer der Genese eines Bauwerks Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein an den Tag legen.


Architektur und Klopapier

Kommt in den Gesetzestexten des neuen BVergG das Wort „Architektur“ überhaupt vor?

Georg Pendl: Nein.

Wie kommt das?

Pendl: Alles dreht sich um die Vergabe von Dienstleistungen, auf EU-Ebene „Intellectual Services“ genannt. Diese Richtlinie behandelt einen Versicherungsvertrag oder einen Bankkredit gleich wie das Planen von Häusern. Die Vergabe von Architektur wird also der Bestellung von Klopapier gleichgestellt.

STANDARD: Zumindest das Wettbewerbswesen scheint ziemlich straff geregelt zu sein?

Pendl: Das ist die einzige Besonderheit - das explizite Erwähnen des Wettbewerbs, allerdings ohne auf die Architektur einzugehen. Doch man konnte schon bisher mit dem bestehenden Vergabegesetz ordentliche Architekturwettbewerbe durchführen. Das Problem ist: Wer keinen Wettbewerb machen will, kann jetzt im Rahmen von Verhandlungsverfahren vergeben und muss sich an keine sonstigen Regeln halten, die die Vergabe sinnvoll machen. Die kreative Dienstleistung stellt nur eine Untergruppe von vielen dar und geht auf die spezifischen Erfordernisse der Architektur zu wenig ein.

Die Architekten der Bundesrepublik haben ihre Belange erfolgreich in die deutsche Variante des Gesetzes hineinreklamiert. Warum ist das den österreichischen Kollegen nicht gelungen?

Pendl: Es gibt die klassische Stellungnahmsmöglichkeit, und die ist gemacht worden. Was danach passiert ist, kann ich nicht beurteilen.

Erkennen Sie auch irgendwo positive Aspekte?

Pendl: Natürlich, man muss auch etwas Gutes daran lassen. So gelten jetzt auch unter dem Schwellenwert (200.000 Euro, Anm.) die gleichen Regeln. Der Unterschied zwischen Über-und Unterschwellenwert ist die EU-weite Bekanntmachung. Das zwingt etwa die Gemeinden, bei vielen kleineren öffentlichen Projekten die Regeln des Vergabegesetzes einzuhalten. Doch prinzipiell: Wenn jemand sinnvolle, an der Qualität orientierte, nachhaltige Verfahren und Vergaben durchführen will, kann er's heute nicht schlechter und besser.

Die Architektenkammer bemüht sich ihrerseits, die Verfahren zu verbessern, und organisiert Kurse für Juroren und Wettbewerbsvorbereiter. Macht das Sinn?

Pendl: Die Jurorenausbildung halte ich für schwachsinnig. Wesentlich ist die Ausbildung für Wettbewerbsvorbereiter, weil der Vorprüfer, der die Jury begleitet, letztlich derjenige ist, der rechtlich firm sein muss, der überprüfen muss, ob die Unterlagen passen, die Fragestellungen realistisch, die Kosten abgeprüft sind. Er trägt eine unheimliche Verantwortung, auch bezüglich des Ergebnisses.

Es ist wichtig, hier zu einer Liste mit guten Leuten zu kommen. Es ist problematisch, wenn Leute ausschreiben, die noch keine Wettbewerbserfahrungen gesammelt haben. Es macht keinen Sinn, wenn akademische Hausmeister, heute gern Facility-Manager genannt, ausschreiben, weil sie keine Ahnung von Architektur haben.

Stichwort Facility-Management: Könnte es sein, dass künftig hauptsächlich der Preis entscheiden wird?

Pendl: Das muss nicht sein, wenn jemand die Vergabe nach Qualitätskriterien entscheidet. Die ausgegliederte Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) führt ja auch Wettbewerbe durch, die nicht so übel sind.

Öffentliche Auftraggeber könnten sich allerdings noch mehr als bis dato dem Rechnungshof verpflichtet fühlen und Billigstbieter wählen.

Pendl: Das stimmt. Der Rechnungshof hat tatsächlich manchmal seltsame Ansichten. Prinzipiell gilt aber schon das Bestbieterprinzip.

Wie lautet Ihr Fazit?

Pendl: Es bleibt letztlich eine politische Entscheidung, ob man sich in Richtung Qualität bewegt. Auch mit dem neuen Gesetz werden schlechte Verfahren mit schlechter Vorbereitung und schlechter Jury schlechte Architektur produzieren. Das Heil ist der Wille, nicht die Vorschrift.


Problem Rechtsschutz

Welche Änderungen kommen auf die Architektur zu?

Christian Fink: Die wichtigste betrifft die geistig schöpferischen Dienstleistungen, da das Gesetz grundsätzlich auch im Unterschwellenwertbereich gilt und damit die Ö-Norm A2050 ablöst. Das Gesetz sieht sieht als gebotene Vorgehensweise des öffentlichen Auslobers Besonderheiten für geistig schöpferische Dienstleistungen hinsichtlich der Wahl des Vergabeverfahrens vor: Die sind im Vergleich zu den materiellen privilegiert, der öffentliche Auslober hat mehr Freiraum, weil sie treuhänderischen Charakter beinhalten. Dienstleister gelten somit als Treuhänder des öffentlichen Auftraggebers, sie müssen sozusagen überlegen, was das Beste wäre.

Inwieweit werden geistig schöpferische Dienstleistungen bevorzugt?

Fink: Bis 30.000 Euro Planungshonorar ist eine Direktvergabe nun grundsätzlich möglich, sprich, ich suche wen, der es kann, und beauftrage ihn direkt. Bei anderen Dienstleistungen ist das nur bis 20.000 Euro erlaubt. Bis zum Schwellenwert von 60.000 Euro kann man mit drei Bietern in Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Bekanntmachung treten. Bei anderen Dienstleistungen geht das nur bis 40.000 Euro. Und eine Besonderheit: Wer glaubhaft versichern kann, dass sich ein Wettbewerb aus verschiedensten Gründen nicht rentiert, kann bis zu einem Planungshonorar von etwa 160.000 Euro mit nur einem Bieter und ohne öffentliche Bekanntmachung in ein Verhandlungsverfahren treten.

Verhandlungsverfahren klingt nach Vergabe über den Preis.

Fink: Es ist nicht ausdrücklich im Gesetz, jedoch in den Erläuterungen festgeschrieben, dass man bei der Vergabe geistig schöpferischer Leistungen immer nur das Bestbieterprinzip anzuwenden hat und diese nicht im offenen Verfahren über den Preis ausschreiben kann. Man muss also immer verhandeln, weil ein Ergebnis nie von vornherein feststehen kann. Das war früher nicht so klar formuliert.

Inwieweit sind Architekturwettbewerbe überhaupt Thema des Gesetzes?

Fink: Trotz Ansinnens der Vertretung der Ziviltechniker hat man es verabsäumt, auf die Spezifika eines Planerwettbewerbes Bedacht zu nehmen. Anders als in Deutschland sind keine speziellen Bestimmungen dafür vorgesehen. Man hat zum Beispiel dem Wunsch, die Jury vorweg bekannt geben zu müssen, nicht entsprochen, was eine Kardinalforderung der Architekten war. Auch eine Juryzusammensetzung mit Überwiegen der Fachpreisrichter ist nicht vorgesehen. Laut EU-Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie muss lediglich ein Drittel der Jury über dieselbe Qualifikation verfügen wie die Teilnehmer. Man hat hier also lediglich die Mindestanforderungen der EU übernommen. In Deutschland ist offensichtlich das Thema planerische Qualität und Architekturwettbewerb ein größeres Ding, weil man ausdrücklich neben den allgemeinen Regeln Standards mit eigenen Bestimmungen vorgesehen hat. In Österreich wurde alles über einen Leisten geschlagen.

Welche Änderungen gibt es im Rechtsschutzbereich?

Fink: Überspitzt ausgedrückt ist das BVergG nach Meinung vieler eher ein Rechtsschutzverhinderungsgesetz, es werden ungleich höhere Anforderungen an den einzelnen Vergaberechtsschutzsuchenden gestellt: Es können nur mehr bestimmte Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers angefochten werden, es sind genaue Fristen für Beeinspruchungen vorgesehen. Wer die versäumt, hat keine Möglichkeit mehr, Einspruch zu erheben. Im Oberschwellenbereich handelt es sich um 14 Tage, darunter um zehn Tage. Prinzipiell schrecken Bieter erst einmal davor zurück, sofort zu den Vergabekontrolleinrichtungen zu rennen. Doch jetzt bleibt kaum mehr Zeit, um zu überlegen, was aus meiner Sicht praktisch sehr problematisch sein kann. Außerdem wurden Pauschalbeträge für die Inanspruchnahme für Vergabekontrolleinrichtungen eingeführt. Im Oberschwellenbereich sind das bei Dienstleistungsaufträgen 1600 Euro pro Antrag, unterhalb sind es 800 Euro. Früher musste man pro Eingabe lediglich ein paar Stempelmarken kleben. Es gibt demzufolge weniger Anträge als zuvor.

Das Gesetz scheint nicht optimal ausgereift zu sein, würde es sonst bereits jetzt vor einer Novelle stehen?

Fink: Es ist tatsächlich sehr umfangreich, und viele Köche - die einzelnen Länder, Ministerien, Wirtschaftskammer etc. - haben mitgemischt. Es gibt also viele Bruchstellen, die man durch die praktische Anwendung bereits erkannt hat und mit Herbst in einer Novelle entfernen will. Abgesehen davon ergibt sich Reformbedarf durch verschiedene Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, der manches anders sieht. Zu nennen ist etwa die Frage der Bekämpfbarkeit des Widerrufes. In Österreich kann derweilen nur Schadenersatz begehrt werden, EU-Europa sagt aber, dass ein erwiesenermaßen unsauberes Vergabeverfahren zur Gänze neu aufgerollt werden kann.

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