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Missing Link, ånglahnt
Missing Link, ånglahnt © Prestel Verlag, München
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Runde Geburtstage haben ihr Gutes. Sie evozieren Forschungsenergie und lösen den Fluss von Fördergeldern aus. Ernst A. Plischke (1903-1992): zum 100. Geburtstag eines Österreichers, dessen Hauptwerk in Neuseeland steht.

21. Juni 2003 - Walter Zschokke
Aus der Gruppe um 1900 geborener Architekten, die, von heute aus betrachtet, überregional bekannt wurden, ragt der am 26. Juni 1903 in Klosterneuburg bei Wien als Sohn eines Architekten auf die Welt gekommene Ernst Anton Plischke heraus. Rudolf Baumfeld (1903-1988) und Viktor Grünfeld/Gruen (1903-1980) sahen sich in dem deutschnational-antisemitischen Klima nach dem Ersten Weltkrieg isoliert, während der Einzelgänger Bernard Rudofsky (1905-1988) sich bereits mehrheitlich im Ausland aufhielt. Alle drei verließen Österreich 1938.

Oswald Haerdtl (1899-1957) zählt gerade noch dazu, es scheint aber zu Plischke kein Naheverhältnis gegeben zu haben. Erich Boltenstern (1896-1991), Anton Brenner (1896-1957) und Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000) sowie Eugen Wörle (1909-1996) und Roland Rainer (geboren 1910) weisen bereits sechs bis sieben Jahre Abstand auf, eine Distanz, die bei Architekten einer Ausbildungsgeneration entspricht, in der sie gemeinsam geprägt werden von Lehrerpersönlichkeiten, geschichtlichen Ereignissen und internationalen Einflüssen.

Wie viele potenzielle Kollegen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs verheizt wurden, lässt sich wohl nie feststellen. Und Herbert Eichholzer (1903-1943), aus Graz und regional etwas benachteiligt, wurde von den Nazis als politischer Widerstandskämpfer hingerichtet. Die vergleichsweise geringe Bautätigkeit in den Zwanzigerjahren - Österreich war nicht gerade reich - wird nicht wenige davon abgehalten haben, den unsicheren Beruf eines Architekten zu ergreifen. Das schmälert alles nicht die Leistung von Ernst Plischke. Es zeigt bloß, wie schmal die personelle Basis für eine „zweite Generation“ moderner Architekten Ende der Zwanziger-, Anfang der Dreißigerjahre nach den Leitfiguren Josef Frank (1885-1967) und Lois Welzenbacher (1889- 1955) geworden war.

Anders als etwa in der benachbarten Tschechoslowakei, wo dank der Lehrerpersönlichkeit Jan Kotera (1871-1923) eine ganze Gruppe junger Architekten dann in den Dreißigerjahren eine selbstbewusste Moderne prägten, oder in der Schweiz, wo „Vater“ Karl Moser (1869-1936) eine ähnliche Funktion ausübte, fehlte in Wien eine Peer-Group, ein direktes Umfeld gleich gesinnter Kollegen. Nach dem Studium bei Peter Behrens an der Akademie der bildenden Künste und kurzer Tätigkeit in dessen Atelier - aus dem er in jenes von Josef Frank wechselte - nützte Plischke daher 1928 eine sich bietende Chance für einen Aufenthalt in New York. Der Börsenkrach von 1929 zwang ihn zur Rückkehr nach Wien, wo er sich mit Wohnungseinrichtungen und kleinen Umbauten über Wasser hielt.

Schon im Studium waren sein Talent und seine außerordentlichen darstellerischen Fähigkeiten aufgefallen, und für die Diplomarbeit hatte er den Meisterschulpreis erhalten. Mit seinem ersten größeren Bauwerk, dem Arbeitsamt Liesing (1930/31), stieß er unmittelbar in die vorderste Reihe der europäischen Modernen vor und fand Aufnahme in den erlauchten Kreis der von Alberto Sartoris in seinem Buch „Gli elementi dell'architettura funzionale“ versammelten Architekten. Ein weiteres Pionierwerk aus dieser Zeit, das „Haus im Rosenthal“, wurde seither stark entstellt und gelangte nicht ins allgemeine Bewusstsein.

Plischkes Beitrag zur Wiener Werkbundsiedlung (1931/32) fand unterschiedliche Anerkennung. Mit dem Haus am Attersee jedoch, 1933/34, für seinen Freund Walter Gamerith und dessen Gattin Grete erbaut, schuf Ernst Plischke jenes Bauwerk, das in Österreich zur Ikone der modernen Architektur der dreißiger Jahre wurde. 1935 wurde ihm dafür der erstmals vergebene Staatspreis für Architektur verliehen, eine Großtat, die offenbar dem leisen Architektenkollegen Max Fellerer (1889-1954) zu verdanken war, denn der Fürst über der Architektenschaft, Clemens Holzmeister (1886-1983) war kein Freund der rationalen Moderne.

Mit diesem Haus auf einer Hügelkuppe über dem Attersee hat Ernst Plischke sein Sensorium für den landschaftsbezogenen Architekturentwurf bewiesen. Zugleich öffnete er die Türe zu einer undogmatischen Auffassung moderner Architektur, wie sie von seinem mittlerweile bereits nach Schweden emigrierten Mentor Josef Frank für Österreich theoretisch eingeleitet worden war.

Eine wenig erfreuliche Auftragslage und die 1938 massiv einsetzende rassistische Hetze gegen die Juden zwangen Ernst Plischke und seine Gattin Anna, die jüdischer Herkunft war, im März 1938 zur Emigration. Mit Glück und durch Vermittlung eines ehemaligen Bauherrn erhielten sie die Einreisegenehmigung für Neuseeland (das seine Grenze nach Kriegsausbruch dicht machte). Eine Anstellung im Ministerium für Wohnbau sicherte ein bescheidenes Auskommen. Eine Aufnahme in das New Zealand Institute of Architects kam nicht in Frage, da er sich der Aufnahmeprüfung nicht unterziehen wollte. So finden sich denn in seinem Nachlass aus dieser Zeit die qualitativ auf höchstem Niveau gezeichneten und schattierten Perspektiven von Entwürfen, die von einem anderen stammten oder zumindest unter dessen Namen figurierten. Nebenbei konnte er ein paar kleine Umbauten für Freunde und Bekannte ausführen. Die Situation ist durchaus jener zu vergleichen, der - allerdings hoffnungsloser - nicht wenige Architekten der tschechischen Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg in staatlichen Zeichenbüros ausgesetzt waren.

1947 konnte Ernst A. Plischke die demütigende Phase insofern beenden, als er (direkt vom Premierminister) einen offiziellen Auftrag zum Verfassen einer allgemein verständlichen Schrift über die zeitgenössische Architektur erhielt, die unter dem Titel „Design and Living“ erschien. Im Jahr darauf ging er mit Cedric Firth eine Partnerschaft ein, die bis 1963 dauerte, als er auf Betreiben Roland Rainers nach Wien an die Akademie berufen wurde. In den 15 Jahren in Neuseeland entstand sein architektonisches Hauptwerk: mehrere bestechend schöne, durchaus auch einfache Wohnhäuser und Villen, drei Sakralbauten und ein Bürohaus. Vieles andere blieb Projekt.

In verdienstvoller Weise ist dieses wenig bekannte Werk nun von Eva B. Ottillinger und August Sarnitz aufgearbeitet und in einer umfangreichen Publikation, „Ernst Plischke - Das Neue Bauen und die Neue Welt“ (Prestel Verlag, München), zusammen mit dem OEuvre in Österreich zugänglich gemacht worden. Eine Ausstellung im Wiener Hofmobiliendepot zeigt zur Zeit elegante und edle Möbelstücke und Einrichtungen aus Plischkes Hand.

Das weitere Schicksal Ernst A. Plischkes ist oft beklagt worden, wird aber deshalb für einen Architekten dieses Formats um nichts weniger schmerzlich. Endlich, mit bereits 60 Jahren als Leiter einer Meisterklasse nach Wien berufen, durfte er während zehn Jahren junge (und „jüngere“) Architekten ausbilden, die heute tragend am ausgezeichneten Ruf der österreichischen Architektur beteiligt sind. Abgesehen von einem Einfamilienhaus in Graz und einem in Wien sowie der Erweiterung einer Schule gab es für Ernst A. Plischke in Österreich nichts zu bauen. Man ließ ihn, wie es hierzulande zynisch heißt, „ånglahnt“ stehen.

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