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Aufbruch in der Provinz
Neue Zürcher Zeitung

Neue Architektur aus der Oberpfalz

Wegweisende Architektur wird gerne mit Grossstädten in Verbindung gebracht. Dass aber auch ländliche Gebiete mit Meisterwerken aufwarten können, ist spätestens seit Graubünden und Vorarlberg bekannt. Auch im Nordosten Bayerns tut sich was. Dort schlagen die Architekten Peter und Christian Brückner Brücken zwischen den Welten.

17. Juni 2003 - Oliver Herwig
Dem «Behmischen», wie ihn die Leute hier nennen, hält nichts stand. Kein Baum, kein Strauch und auch kein Mensch. Zwei Männer suchen Schutz vor dem Wind, der geradewegs aus Sibirien zu kommen scheint. Die Krägen ihrer Jacken hochgeschlagen, stehen Peter und Christian Brückner vor einem einsamen Bauwerk. Mitten im Nichts, auf der Höhe des Oberpfälzer Waldes, haben sie es im Juni 2000 errichtet. Mit dem Ort der Begegnung wollten sie ein Zeichen setzen. Ein Zeichen des Wandels nach jahrzehntelangem Stillstand im Grenzland zu Tschechien. Neun Meter lang, drei Meter hoch, gefügt aus Granit, Glas und Lärchenholz, Mauerfragment, Skulptur und Schutzhütte in einem. Nicht allzu lange ist es her, als noch der Eiserne Vorhang die Landschaft in hüben und drüben teilte. Aber die alten Gewissheiten gelten nicht mehr. Auch nicht mehr in der Oberpfalz im nordöstlichsten Bayern. Die Grenze verläuft gleich hinter dem Wald. Genau dort wollten sie bauen, an der einstigen Bruchstelle zwischen Ost und West. Das ist nach vielem Hin und Her schliesslich gescheitert. Aber auch auf dem Hügelkamm wirkt das Bauwerk. Geschichtet aus fünf Zentimeter starken Granitplatten, grob gebrochen auf der einen Seite, diamantgesägt auf der anderen, steht es gegen den Wind. Ein schmales Schlupfloch führt hinein. Dort findet man nur einen Stahltisch, kubisch und schwer. Licht bricht durch die Glasstreifen in Wand und Decke und wandert über den Boden. Nach oben nehmen die Glasschichten zu und mit ihnen die Helligkeit. Bis sich der Bau zu entmaterialisieren scheint. Vom Granit, der den Oberpfälzer Wald prägt, bis zu den Glasschichten ein gebautes Manifest der Materialität, eine säkulare Kapelle zwischen den Welten.


Dialog mit dem Ort

Sie kämen oft hierher, sagt Christian Brückner. Manchmal findet der Architekt dann fremde Nachrichten vor oder eine Kerze. Das berühre ihn. Die sonst allgegenwärtigen Kritzeleien und Ritzspuren sucht man vergeblich, Holz und Stein sind zwar verwittert, aber makellos in ihrer von Wind und Regen erzeugten Patina. Die Begegnungsstätte gleicht zwei Händen, die ineinander verhakt einen neutralen Raum schaffen, offen und voraussetzungslos, ein idealer Ort, sich zu verabreden, nachzudenken oder einfach nur dem «Behmischen» zu entkommen. Ringförmig ist das Gras um das Gebäude platt gefahren, Reifenspuren. «Die Jugendlichen hier haben den Treffpunkt für sich entdeckt», sagt Peter Brückner und zeigt über die weite, karge Landschaft. Traditionelles, erdverbundenes Altbayern. Provinz. Doch damit haben Brückner & Brückner kein Problem, im Gegenteil. Sie beziehen ihre Stärke aus dem Ort.

Eigentlich wollten sie Bildhauer werden. Aber unabhängig voneinander entschieden sich die Brüder, Architektur zu studieren und in das Tirschenreuther Büro des Vaters einzutreten. Peter ging an die TU München und hörte unter anderem bei Zumthor, Christian, der um neun Jahre Jüngere, studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seit sechs Jahren arbeiten sie zusammen. Wer ihre Bauten sieht, geschichtete Steine oder fein gesetzte Klinker, ihre authentische Oberfläche, die Materialübergänge oder Fugen, erlebt die Nähe zu gebauten Skulpturen. Wie dort geht es um Volumen, um Masse und Raum. Ihre Architektur wird greifbar. Denn ihr Bauen beginnt mit Modellen, die die Architekten von den Projekten fertigen, im grossen Massstab, handgreiflich direkt und unübersehbar. Mit dieser Strategie hatten die Tirschenreuther in Würzburg Erfolg, als sie 1996 den Wettbewerb um den Kulturspeicher gewannen und ein Lagerhaus von 1904 in ein Meta-Museum verwandelten, eine Plattform für Kabarett, Kunst, Café und Geschäfte gleichermassen. In die Hülle aus Muschelkalk und Sandstein stellten sie harte Betonkisten, Ausstellungsboxen für die Städtische Sammlung und die Kollektion Konkreter Kunst. Dafür wurde das marode Gebälk radikal entfernt. Weiss geschlämmte Wände zeigen das ursprüngliche Mauerwerk, Sichtbeton und Stahl dokumentieren die Einbauten. Das Neue drängt nicht vor, stellt sich aber selbstbewusst neben den Bestand, ergänzt und erweitert ihn. An beiden Enden des über 100 Meter langen Kulturspeichers errichteten die Architekten zwei Kopfbauten aus Glas, umfangen von einer steinernen Jalousie.

Zwischen je zwei Stahlspangen spannten sie massive Steine und drehten sie pro Feld um einige Grad, so dass der schwere Vorhang in Bewegung geriet. Auflösen wollten sie die Fassade nicht, aber auf paradoxe Weise haben sie den Steinen die Schwere genommen und sie in einen Schwebezustand gebracht, der jederzeit wieder umkippen kann: von massiv zu semitransparent und von leicht nach schwer. Auf der Mainseite, an der Industriefront mit ihrem Wippkran und mit Blick auf den Schlot eines Kraftwerks, kehrten sie den Materialkodex um: Glas umgibt hier zwei Betonboxen, die wie Container an der Fassade kleben. Um die zerbrechliche Hülle zumindest optisch der harten Umgebung anzupassen, versahen sie die Glasplatten per Siebdruck mit Gebrauchsspuren.

Für den Umbau des Kulturspeichers im Norden Würzburgs erhielten Brückner & Brückner gerade den Balthasar-Neumann-Preis 2002. Sensible Radikalität bescheinigte ihnen die Jury. Wenn man dies positiv wende, meint Christian Brückner, verpflichte Radikalität «zum konsequenten Umgang mit dem alten Gebäude». Dass man nicht mit aller Kraft versuche, dem Gebäude etwas zu oktroyieren. Als sie zum ersten Mal am Mainufer standen, vor dem Industriedenkmal, fühlten sie sich von dem Ort herausgefordert. Sie spürten, dass schon vieles da war, dass sie «nur noch korrigierend eingreifen» mussten. Christian Brückner weiss: «Wir wollten den Charakter des Ortes beibehalten, ihn ein Stück weit rauskratzen.» Diese Fähigkeit bewiesen die Architekten auch mit zahlreichen Sanierungen und Neubauten in ihrer Heimat.

Oberpfalz, «Stoapfalz», diese Gleichung gilt seit dem Dreissigjährigen Krieg, als Gustav Adolfs Schweden die einst blühende Kulturlandschaft im Nordosten Bayerns in Schutt und Asche legten. Aus dem Ruhrgebiet der frühen Neuzeit mit seiner Eisenerzverarbeitung und seinen Hammerschlösschen wurde eine grosse Brache. Wer es seitdem auf den kargen Böden nördlich der Donau aushielt, musste schon ein rechter Dickschädel sein. Auf der dünnen Verwitterungsschicht über Granit und Flussspat wächst wenig. Die harte Arbeit auf dem Feld hat die Menschen geprägt: reserviert gegenüber Neuem, wortkarg und traditionsverhaftet.


Karge Formen in der Landschaft

So erscheint auch das Wohnhaus eines Forellenzüchters bei Bärnau: verschlossen und unnahbar, wie die Burgen im Umland. Mit Satteldach und steinerner Basis, wie der Grund, auf dem es steht. Aber durch und durch zeitgemäss, als reine Form in der Landschaft, bei der Lärchenholz und Granit eine ganz neue Qualität erhalten. Dabei interpretierten Brückner & Brückner nur eine alte Tradition neu. Wie die Höfe des Umlands setzt das Einfamilienhaus auf eine gemauerte Gründung. Seitlich und darüber folgt, wie ein Winkelhaken, Holz. Dazwischen liegt eine Fuge mit einem Lichtband. Weniger geht kaum mehr. Ein Haus ohne Allüren, aber mit grossem Anspruch gebaut. Und ein Spiegelbild der Landschaft, in der es steht - karg und zurückhaltend, dabei voller Überraschungen. Im Inneren ist nämlich Licht im Überfluss, bis hinauf zum offenen Dachfirst, was den Räumen im Obergeschoss einen Hauch von Grösse und Weite verleiht. Fenster werden zu Aussichtsplattformen, die den Oberpfälzer Wald als gerahmtes Panorama bieten. Oben auf dem Hügel, kaum mehr sichtbar von hier aus, steht der Ort der Begegnung.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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