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Schwarzes Licht und rotes Alles
Der Standard

Heute, Samstag, wird in Rennes das neue FRAC eröffnet. Das Museum für zeitgenössische Kunst der französischen Architektin Odile Decq ist bereits ein Kunststück für sich.

15. September 2012 - Maria Giulia Zunino
Mehr als 20 Jahre nach der Fertigstellung ihres ersten Bauwerks ist die Pariser Architektin Odile Decq in die Bretagne zurückgekehrt. Genauer gesagt in die bretonische Hauptstadt Rennes. Damals plante sie gemeinsam mit ihrem 1998 verunglückten Partner Benoît Cornette die Banque de l'Ouest. Das Projekt wurde international viel beachtet. Diesmal errichtete sie das Museum Fonds Régional d'Art Contemporain, kurz FRAC, das heute, am 15. September, feierlich eröffnet wird.

Decq, die im März 2005 als Gewinnerin aus einem internationalen Architekturwettbewerb hervorgegangen ist, erzählt stolz von ihren bretonischen Wurzeln. „Ich bin hierhergekehrt, weil ich mich nach dem Klang und dem Duft des Meeres und des Windes gesehnt habe. Dieses Land gehört zu mir. Es ist gewaltig und hart. Seine Geschichte erzählt von Einfachheit, Stärke und Mut. Ein bisschen erinnert mich die Landschaft an mein eigenes Leben.“

Das FRAC ist ein bedeutendes Symbol für die Kulturregion Bretagne. Es ist das neue Zuhause für eine Kunstsammlung, die mittlerweile über 4000 zeitgenössische Werke umfasst. Vor allem aber ist das Museum mit seinen rund 3800 Quadratmetern ein sehenswertes Exponat für sich selbst. Die Baukosten belaufen sich auf 18,3 Millionen Euro. 60 Prozent übernahm die Region Bretagne, 30 Prozent die Republik Frankreich und zehn Prozent die Stadt Rennes.

Wir befinden uns hier im Nordosten des Stadtzentrums, in einem hügeligen Viertel namens Beau-regard mit - der Name verrät es schon - schönen Aussichtspunkten in die Landschaft und einem angrenzenden großen Park. Zum neuen Universitätscampus ist es nicht weit. Mächtig wächst aus diesem Rundherum plötzlich ein Gebäude mit enormen Dimensionen und ungeahnten Materialien empor - ein schwarzer, hermetischer Monolith. Das Auftreten zeugt von Radikalität.

In der Tat ist Schwarz für die 57-jährige Architektin ein essenzieller Bestandteil ihres Lebens. Alles an ihr ist schwarz: ihre zerzausten Haare, ihre Schminke, ihre Fingernägel, ihr Schmuck und ihre Kleider. So schwarz, dass die Punk Lady oft auch als die „Dame Noire“ der Architektur bezeichnet wird. „Schwarz ist für mich ein Ausdrucksmittel des Lebens“, sagt sie. Henri Matisse habe die Farbe Schwarz einst sogar als Licht bezeichnet. „Schwarz ist mal Eleganz und mal Hard Rock. Es ist Symbol für Mode, Kunst und Musik. Für mich persönlich ist es eines der vielfältigsten und flexibelsten Materialien in der Architektur.“

Dialog aus Licht und Schatten

Hier im FRAC ist das Schwarz ein oszillierendes, schwingendes Etwas, das aus den verwendeten Materialien herrührt. Der dunkle Zement und die scheinbar schwerelos aufgehängten, im Wind tanzenden Stahltafeln sind eine Kombination aus Schwere und Leichtigkeit, aus Mattheit und permanenter Veränderlichkeit. Sobald die Sonne am Horizont auftaucht, entspinnt sich zwischen den Baustoffen ein Dialog aus Absorption und Reflexion, ein ständiges Hin und Her aus Massivität und Unbestimmtheit.

Der Sockel aus grau verspiegeltem Glas und die schwingende Linie des Daches, auf dem sich übrigens eine herrliche Panorama-Terrasse befindet, tragen zu diesem irritierenden Bild bei. Oder, wie es Odile Decq selbst ausdrückt: „Das vorherrschende Thema dieses Projekt ist die Dualität der unterschiedlichen architektonischen Aspekte wie etwa Licht und Schatten, Materialität und Immaterialität, Stabilität und Unbeständigkeit, Natur und Künstlichkeit.“

Doch die größte Stärke an diesem Bauwerk ist die Beziehung zwischen Innen und Außen. Denn während das Haus von außen betrachtet undurchdringlich und abweisend erscheint, eröffnet sich beim Eintreten ein aufregender Innenraum, der an die dramatischen Risse und Spalten ausgewaschener und ausgehöhlter Felslandschaften erinnert. Durch die Oberlichten in der Decke strömt ein Wasserfall an Licht ins Innere.

„Ich wollte mich durch die Auflagen und Vorschriften nicht einengen lassen“, erklärt Decq. „Ich hatte die Vision von einem riesigen Innenraum, den ich horizontal und vertikal wie mit einem Messer zerschneide.“ Der vertikale Schnitt - das ist ein Atrium mit 30 Meter Höhe. Es verbindet nicht nur das Oben mit dem Unten, sondern auch die unterschiedlichen Nutzungen und Abteilungen des Gebäudes - die Konservierungssäle im Untergeschoß mit den Ausstellungshallen, dem Dokumentationszentrum, der Administration und nicht zuletzt mit dem spektakulären Freiraum am Dach.

Auffällig ist vor allem die Kraft und Üppigkeit des vielen Rot, das sich unter anderem als Abdruck der Ausstellungshalle von oben ins Foyer drückt. Auch das Auditorium mit seinen 110 Sitzen ist rundherum rot verkleidet. Das betörende Farbspektrum lädt dazu ein, die Stege und schwebenden Brücken zu erklimmen und die räumlichen Verwerfungen in all ihren Dimensionen zu erkunden. In diesem Sinne ist das FRAC kein statischer, wie auf den ersten Blick zu vermuten wäre, sondern ein überaus dynamischer Bau.

Kunst muss man umgehen

„Das Gehen wird in diesem Gebäude zu einem sinnlichen Akt“, meint Decq. „Bewegung ist überhaupt ein wichtiger Faktor in der Architektur, es befreit Geist und Körper. In einem Museum ist diese Freiheit essenziell. Nur so kann man eine innige Beziehung zur Kunst und schließlich auch sein eigenes Kunstverständnis entwickeln.“

Dieses dramatische und kraftstrotzende Rot ist die zweite Farbe im Leben Odile Decqs. „Rot vereint all unsere Sinne“, sagt sie mit einem Hang zum Pathos. „Immer nur Schwarz wäre zu viel. Rot schafft Gleichgewicht. Am Ende siegt das Rot über alles.“ Überzeugender kann man das Herz eines Hauses nicht darstellen. Bei Dunkelheit wird das pulsierende Innenleben erstmals auch von außen sichtbar. Dann entpuppt sich das FRAC als überdimensionale Laterne für die Stadt.

Die Spannung hält an, in jedem Saal und in jedem Winkel des Gebäudes - eine in Form gegossene, konstruktive Tapferkeit. Plötzlich jedoch wird alles weiß - durch und durch weiß. Die Ausstellungsräume sind die einzigen farblosen Flecken im gesamten FRAC. Und schon widmet sich die Architektin der dritten Farbe in ihrem Leben und gibt ihre Philosophie des „White Cube“ zum Besten: „Die Hallen sind zwar weiß, aber nicht, damit sie möglichst neutral sind. Nein, die Wahrheit ist: Der Raum muss dem Künstler standhalten können, ohne ihn zu dominieren. Der Raum muss die Kunst respektieren und umgekehrt. Das ist Weiß. Das ist Freiheit.“
[ Maria Giulia Zunino (67) war von 2007 bis 2010 Chefredakteurin der italienischen Architekturzeitschrift „Abitare“ und lebt heute als freischaffende Journalistin in Mailand. ]

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