Artikel

Sakrales Fundament
ORF.at

Die erste größere Architektur-Diskussion im Nachkriegs-Österreich fand, beschränkt auf eine kleine Gruppe reformfreudiger Kräfte, im Kirchenbau statt.

7. Juni 2003
In der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich ging es um die Schaffung von Wohnraum. Die Entwicklungslinien der Moderne, die durch den Nationalsozialismus verlassen wurden, sind von den Architekten nur zögerlich wieder aufgenommen worden.

Gemeinsam mit der „Arbeitsgruppe 4“ (Wilhelm Holzbauer, Friedrich Kurrent und Johannes Spalt) diskutierten im Nachkriegs-Österreich Männer wie Monsignore Otto Mauer oder Josef Ernst Mayer über neue Kirchen-Konzepte. Eine herausragende Persönlichkeit war auch Clemens Holzmeister. Seine Meisterschule an der Wiener Akademie wurde bestimmend für den österreichischen Kirchenbau nach 1945.


Quadrat als Form-Element

Die Architektur Holzmeisters forcierte lichtbestimmte Räume, die eine barocke Sinnlichkeit ausstrahlten. Begleitet wurde die architektonische Diskussion von Liturgen, die die religiösen Mindestanforderungen an den modernen Kirchenraum formulierten. Die Grundform in der ersten Phase der österreichischen Nachkriegskirchen orientierte sich im wesentlichen am Quadrat.

Von der Kirche im Innsbrucker Stadtteil Neu-Arzl (Josef Lackner), über die Kapelle im Kolleg St. Joseph in Salzburg-Aigen (Arbeitsgruppe 4), bis zu den Montagekirchen von Ottokar Uhl und der Kirche in der Grazer Eisteich-Siedlung von Ferdinand Schuster, blieb das Quadrat das zentrale Form-Element.


Gsteus Seelsorge-Zentrum

Johann Georg Gsteu hat mit seinem zwischen 1960 und 1965 entstandenem Seelsorge-Zentrum Baumgarten in Wien die Auseinandersetzung mit dem Quadrat als Grundfläche für eine konstruktive, modulare Ordnung geführt. Auch für Josef Lackner war der Raum über dem Quadrat das Thema seiner Kirchen. Die verwendeten Materialen waren extrem kontrastreich und reichten von filigranen Blechkonstruktionen bis zu massiven Betonplatten.


Atheisten planen Kirchen

In dieser ersten Phase des österreichischen Kirchenbaues in den 50er und frühen 60er Jahren wurde der Kunst von vornherein religiöse Kompetenz zugestanden. Im Gegensatz dazu waren viele der Künstler und Architekten Atheisten. Die Auftraggeber allerdings störte das nur wenig.


Neuer Aufbruch

Eine neue Konfrontation mit dem modernen Kirchenbau kam durch Architekten wie Walter M. Förderer, den steirischen Expressionisten Günther Domenig und Eilfried Huth. Der Versuch einer Weiterführung der klassischen Moderne durch verschiedenste Varianten von Mies-van-der-Rohe-Rezeptionen wurde in Frage gestellt.

Erstes Zeichen des neuen Aufbruchs war die Kirche in Oberwart (Domenig/Huth). Urbanistisch und den Schweizer Vorbildern des „Sichtbeton Brutalismus“ nachempfunden war sie ein neues Statement in der österreichischen Architektur-Diskussion. Der Bildhauer Fritz Wotruba folgte mit seiner ins monumentale neigenden Kirche am Georgenberg in Wien, die er gemeinsam mit Fritz G. Mayr von 1965 bis 1976 baute. Die an eine archaische Kultstätte erinnernde Kirche war ein weiterer Wendepunkt des Kirchenbaues in Österreich.


Weniger Kirchenbauten

Durch den Rückgang der Gläubigen wurden immer weniger neue Kirchen gebaut. Jene Kirchen, die seit Mitte der 70er Jahre noch in Auftrag gegeben wurden, sind solitäre Leistungen, die die architektonische Vielfalt der Gegenwart wiederspiegeln.

Herausragende Kirchenbauten sind dabei u. a. die Salvatorkirche am Wienerberg von Johannes Spalt (1976-79), die Bergkapelle in Ramingstein von Friedrich Kurrent (1990-91), oder die evangelische Kirche (1993-95) und die katholische Kirche in der Donau City in Wien (2000), beide von Heinz Tesar.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ORF.at

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: