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Das Wundermetall
Der Standard

Rondo spezial Alu

Aluminium ist das Material der Avantgarde. Und zwar seit seiner Erfindung gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Otto Wagner setzte es ein, Walter Gropius lobte seine Qualitäten. Heute ist es ein Rückgrat des modernen Bauens

6. Juni 2003
Sie waren wohl Verwandte im Geiste, auch wenn sie einige Tausende Meilen entfernt voneinander forschten. Wir schreiben das Jahr 1886, als der Amerikaner Charles Martin Hall und der Franzose Paul Toussaint Héroult im Abstand von nur wenigen Wochen die Patentämter ihrer Länder kontaktieren. Vieles verbindet die beiden jungen Männer: das Alter, sie sind gerade 23 Jahre jung, ihr naturwissenschaftliches Interesse, vor allem aber eine unabhängig voneinander gemachte, nicht unwesentliche Entdeckung: Aluminiumoxid löst sich in geschmolzenem Kryolith auf und kann durch Elektrolyse zersetzt werden - diese schlichte Beobachtung führte auf beiden Seiten des Atlantiks zur Entwicklung des Aluminium-Elektrolyseverfahrens - der Basis einer echten industriellen Verwertung.

Im Rahmen der Materialgeschichte des „Wundermetalls“ löste die Entdeckung des Hall-Héroult-Verfahrens einen ersten Boom aus - und machte Aluminium, das im Mittelalter mit alchemistischen Symbolen versehene Element, von Beginn an zu einem Material der Avantgarde. Kein Wunder, dass das mit so vielen Vorzügen behaftete Aluminium bald auch die Vertreter der Baukunst hellhörig machte. Noch vor der vorletzten Jahrhundertwende, im Jahre 1897, ließ der Architekt Lorenzo de Rossi beim Bau der römischen Kirche San Gioacchino für die Abdeckung der Domkuppel weißsilbrige Aluminiumbleche anbringen - ein bis heute gerne zitiertes Beispiel für die Dauerhaftigkeit des Materials. Fast zwangsläufig wandten sich in der Folge die Vorläufer der Moderne dem neuen Werkstoff zu: Otto Wagner entwarf 1902 für das Wiener Depeschenbüro „Die Zeit“ ein Aluminium-Glas-Portal, das als frühestes Beispiel eines architektonisch vorherrschenden Aluminiumeinsatzes Baugeschichte schreiben sollte. Wenige Jahre später betonte Wagner seine Affinität zum optisch so reizvollen Material im Rahmen des Baus der Wiener Postsparkasse. Auch hier setzte die vielseitige Verwendung von Aluminium unübersehbare Akzente, die von führenden Protagonisten der Moderne vor allem ab den 30er-Jahren weitergeführt wurden. Moderne Architekten wie Laurence Kocher und Albert Frey präsentierten in New York 1931 ein komplettes Aluminiumhaus, und von Walter Gropius, dem Gründer der Bauhaus-Bewegung, wird dem Werkstoff beredtes Lob aus höchstem Architekten-Olymp zuteil: „Die Vorteile des Aluminiums, die es für die Verwendung im Neuen Bauen geeignet machen, sind seine Homogenität, die Witterungsbeständigkeit und die Rostfreiheit. Ferner die Möglichkeit, präzise Passfähigkeit der Teile zu erzielen und schließlich - eine ebenso wichtige Frage - Schönheit der Oberfläche, die das Aluminium mit sich bringt, sodass der Bauende (...) mit der natürlichen Farbe und Oberfläche des Metalls selbst die gewünschte Wirkung erzielen kann.“

Ein wenig musste das zunehmend auch in Form von Profilen und Stangen herangezogene „Material der Zukunft“ auf seinen großen Auftritt trotzdem noch warten: Jean Prouvés im Kolonialstil gehaltenes Aluminiumhaus, das 1949 dank seines geringen Gewichts komplett von Frankreich in den Niger transportiert werden konnte, oder die Anfang der 50er errichtete Dortmunder Westfalenhalle mit ihrem 10.000 m² großem Aluminium-Leistendach zählen zu den markanten Pionierbauten. Später entdeckten innovative Architekten Aluminium für Fassadenkonstruktionen, die ab 1955 weltweit die Gestaltung von Hochhausfassaden dominieren, während sich das Aluminiumfenster zunehmend am Markt etabliert. 1974 lotet Sir Norman Foster das Potenzial des vielfältigen Werkstoffs im Rahmen des Sainsbury Centers auf innovative Art und Weise aus, indem er Fassade und Dach mit tiefgezogenen Aluminiumpaneelen bedeckt.

Lediglich eines schaffte Aluminium, der kühle Weggefährte der Moderne, auch in den nachfolgenden Jahren, in denen es spektakuläre architektionische Liaisons mit Glas einging, nie: nämlich die Zukunft, als dessen Material es bis heute gefeiert wird, einzuholen - Garant für anhaltende Spannung zugleich.

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