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Der Ort als Maschine
Der Standard

Für den deutschen Industriebauer Gunter Henn ist Architektur eine soziale oder organisatorische Tatsache - mit Return on Investment, versteht sich.

31. Mai 2003 - Ute Woltron
Vergangene Woche kam die deutsche Gründlichkeit in Person Gunter Henns nach Wien, um im Audimax der TU-Wien einen interessanten Gastvortrag über seine umfangreichen Tätigkeiten als Industriebauer zu halten. Henn erschien auf Einladung des Kollegen und TU-Industriebauprofessors Christoph Achammer im Rahmen eines jener prominent besetzten Seminare, die Achammers Vorgänger Degenhard Sommer über viele Jahre hinweg institutionalisiert hat, und die nun erfreulicherweise Fortsetzung finden.

Henn betrat die Bühne groß, hanseatisch und multimedial unterstützt, und er führte den studentisch lauschenden heimischen Architekten mit kühler Präzision und gemessenem Auf-und-Abschreiten vor, wie sich diverse Philosophien und Theorien zur Praxis manifestieren können, wenn alle wollen, dass wirklich Architektur und nicht nur ein paar flotte Wände gebaut werden. „Architektur wird nicht danach beurteilt werden, welche Räume sie schafft, sondern welche Räume sie ermöglicht“, hieß es da etwa, oder: „Es geht darum, eine Architektur der Kommunikation zu gestalten.“ Denn: „Nur die interne Selbstorganisation lässt Unternehmen überleben. Wenn alle Mitarbeiter immer alles machen würden, was die da oben sagen, wären viele Unternehmen längst tot.“ Wir können nur beipflichten.

So interessant der Vortrag des renommierten Planers auch war, er arbeitete aus der Fülle der Informationen über Faktoren wie Beschleunigung, Zeit, Real Time, Kommunikation etc. vor allem eine Tatsache ans Licht, die Österreich und Deutschland ebenso voneinander unterscheidet wie die sprichwörtliche gemeinsame Sprache: Die Bestellqualität der Auftraggeber unserer großen Nachbarn scheint eine völlig andere zu sein als hier zu Lande. Der Unternehmer als selbstbewusster Bauherr, der den Architekten als Partner, als Problemlöser, ja geradezu als Unternehmensberater und nicht als zu knechtenden Büttel betrachtet, ist eine seltene Spezies im Alpenland.

Selbstverständlich sind Henns Kunden wie beispielsweise Volkswagen und BMW Weltkonzerne, die nicht lange budgetär herumzaudern, wenn es um die Errichtung eines großen Autowerkes oder einer Think-Factory geht. Sie wissen allerdings auch, dass sie, so die Architektur gut ist, Return on Investment erwarten können. Von finanzstarken Kunden wie diesen dürfen die heimischen Planer nur träumen. Doch warum eigentlich? Vielleicht spiegelt der Umgang mit Bausubstanzen und Architekten viel tiefere Unternehmens-Un-Kulturen wider, als man annehmen sollte. Kluge Unternehmensberater sagen jedenfalls, dass man die Güte eines Betriebes bereits am Fußdackerl erkennen könne.

Doch zurück zum Rundherum: Als Henn beispielsweise ein gewaltiges Forschungszentrum für BMW bauen sollte, lautete sein Auftrag nicht: Stellen Sie uns 10.000 Quadratmeter irgendwas auf die grüne Wiese, mit soundsovielen Hallen und soundsovielen Werkstätten. Sondern: „Sorgen Sie dafür, dass sich die Produktentwicklungszeit von zehn auf vier Jahre reduziert.“ Nur eine penible Analyse des gesamten Autowerdungsvorganges konnte schließlich in die entsprechende Bausubstanz münden. Ein Optimieren des Arbeitsablaufes sei nur „räumlich, nicht organisatorisch lösbar“, so Henn, denn, egal in welcher Branche: Wenn man die Erfindergeister organisieren wolle, dann sei sofort „die Kreativität futsch“. Auch die Anwendung dieser Erkenntnis dürfte uns von unseren Nachbarn unterscheiden.

Das BMW-Entwicklungszentrum befindet sich in Bau, die Kreativität wird sich über zwei Geschosse erstrecken, in der Mitte eine Agora, wie sie laut Henn schon „in Athen die Demokratie lebendig gehalten hat“, und dort wird sich auch das täglich veränderte, verbesserte Produkt befinden. Man wird daran jeden Arbeitsschritt ablesen können. „Real Time“, sagt Henn, denn Geschwindigkeit ist zu einer der wichtigsten Tugenden unserer Zeit geworden.

Ein anderes Beispiel: Für VW baute der Architekt nicht nur die bekannte Autostadt in Wolfsburg, sondern auch die so genannte Gläserne Manufaktur in Dresden. In fast völliger Transparenz werden hier die Luxuskarossen Phaeton montiert. Die Spaziergänger draußen schauen zu, wie auf amerikanischen Bergahornparketten die Autos von Robotern und Menschen zusammengeschraubt werden. Öl fließt hier keines mehr, die Monteure tragen weiße Zwirnhandschuhe, der Boden bleibt makellos, die Anlieferung erfolgt über die Straßenbahn. Diese Aura der supercleanen Perfektion wird über die Architektur zum Markenzeichen hochstilisiert, und sie kommt so gut an, dass Peter Sloterdijk beschloss, sein Philosophisches Quartett bei laufender Produktion in diesem Haus stattfinden zu lassen. Und: Als die Semper-Oper nach der Flutkatastrophe des vergangenen Jahres nicht bespielbar war, übersiedelte das Orchester in die Fabrikshalle und konzertierte daselbst.

Henns Architekturen sind in ihrer Größe und Glattheit nicht immer unprotzig, nicht immer reizvoll, aber offenbar höchst funktional. Die Vernetzung der Welt verändere unsere Räume, meint er, und Häuser seien soziale, geformte Tatsachen. „Jedes Gebäude hat eine soziale Dimension, jede Gesellschaft hat eine räumliche Dimension.“ Und da wir uns im Zeitalter der Wissensgesellschaft befänden, müsse auch die Architektur eine des Wissens sein. Das Ermöglichen von Kommunikation der Menschen untereinander steht da an erster Stelle, denn: „80 Prozent aller innovativer Gedanken entstehen durch persönliche Kommunikation.“ Und, Zitat von Pierre Lévy: „Der Erfolg einer Gesellschaft hängt von ihrer Fähigkeit ab, im Raum des Wissens zu navigieren.“

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