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Von der Arglist der Zeit
Spectrum

Der Architektenstand in Zerwürfnissen gefangen, das Wettbewerbswesen eine Karikatur, was soll da aus der Architektur werden? Nichtraucher und Nichttrinker im Gespräch.

30. Mai 2003 - Walter Zschokke
Das Café Museum macht Erneuerungspause. Heimatlos geworden stolpern Nichtraucher und Nichttrinker durch ihr Wien. Doch siehe: Ein ganzes Quartier aus Cafés mit angeschlossenen Museen bietet sich an. Keine Frage, wo sie sich hinsetzen: dorthin, wo sie dem Thema Architektur am nächsten sind. Unter dem Baldachin türkischer Fliesen führen sie ihr Gespräch von vorgestern fort.

Nichttrinker: Es fällt mir schwer, nach dem Verlust unserer vertrauten Umgebung aus rotem Kunstleder, schwarzen Bugholzsesseln und weißen Marmortischchen klare Gedanken zu fassen. Mein Kreislauf ist auf dem Boden, mein Blick trübt sich, und die Gedärme verknoten sich in der Magengrube.

Nichtraucher: Aber zum Raunzen reicht's.

Nichtrinker: Ich trage noch weit größere Sorge: der Architektenstand in Zerwürfnissen gefangen, das Wettbewerbswesen eine Karikatur, was soll da aus der Architektur werden?

Nichtraucher: Da muss ich dir ja fast zustimmen. Die Anonymität der Wettbewerbsteilnehmer wird durch die Zweistufigkeit unterlaufen, exorbitante Bedingungen schränken den Teilnehmerkreis ein, und die sogenannten Stars organisieren sich ihre Aufträge womöglich an Verfahren und Jurys vorbei, bloß um danach ihr Projekt von einem Großbüro mit peinlichen Verlusten an Architekturqualität ausführen zu lassen.

Nichttrinker: Die Architekten müssen sich eben solidarisieren wie einst die Arbeiter.

Nichtraucher: Das geht nur bis zu einem gewissen Grad. Ich will ja nicht ausschließen, dass es auch unter Architekten echte Freundschaften geben soll, aber vom Prinzip des freien Berufs her ist eben jeder dem anderen zugleich Konkurrent, und so summieren sich manche vermeintliche und wirkliche Ungerechtigkeiten, die verletzen und den Einzelnen mit der Zeit verbittern. Es gibt immer mehr Verlierer als Gewinner bei einem Wettbewerb. Die gegenseitige Abstoßung ist größer als die Kohäsion.

Nichttrinker: Dann müssten sie sich eben so organisieren wie die Ritter an Artus' Tafelrunde, als gleichgestellte Einzelkämpfer, die sich in Turnieren bewähren, die fair bleiben und nichttödlichen Ausgang haben. Die Suche nach dem Gral ließe sich ersetzen durch die Suche nach der jeweils neuesten Form, die alles bisherige in den Schatten stellt.

Nichtraucher: Deine Metaphorik ist ja wieder einmal zuschlagend wie ein Burgtor. Mag ja sein, dass sich gewisse „Stararchitekten“ für den Prinz Eisenherz der Szene halten, bloß ist das eine ziemlich platte Vorstellung. Für deine Idealisierung im Sinne des Frühmittelalters sind es schlicht zu viele Architekten geworden. Außerdem ist das Kriegshandwerk nicht geeignet, in einen Beruf übertragen zu werden, dessen Aufgabe ein kreatives, konstruktives Zusammenwirken formaler Vorstellungen, gesellschaftlicher Absichten, sozialer Bedürfnisse, materieller Bedingungen, technischer Möglichkeiten und vieles mehr umfasst. Mit Dreinschlagen und Fertigmachen kommt man da nicht weiter, am nächsten Tag muss mit denselben Menschen wieder gearbeitet werden.

Nichttrinker: Aber mittlerweile ist alles so kompliziert, dass ein Einzelner die großen Aufgaben nicht mehr zu überblicken vermag. Die Architektur geht noch an ihrer Komplexität zu Grunde.

Nichtraucher: Das gilt doch nur für einen äußerst geringen Teil der Aufgaben. Kompliziert werden sie allerdings durch politische Stellvertreterkriege und verdeckte Interessengegensätze. Das Bauen ist technisch auf höchstem Niveau bewältigbar, Architekten organisieren sich oft als Team und haben einen Kreis von kompetenten Fachleuten um sich, mit denen sie meist schon öfter zusammengearbeitet haben, so dass ohne lange gruppendynamische Vorspiele losgelegt werden kann, wenn die Auftragslage klar ist.

Nichttrinker: Aber das Berufsbild hat sich doch völlig geändert, das kann man in allen Fachorganen lesen und sogar in Tageszeitungen.

Nichtraucher: Es wäre schön, wenn diese Alarmisten klarstellen würden, was sich wirklich verändert hat und was schlicht gleich geblieben ist. Aus meiner Sicht hat etwa der Computer die Arbeit in vielerlei Hinsicht erleichtert. Allerdings muss man wissen, welche Methoden außer der Arbeit mit dem Computer für den Entwurfsprozess und die Selbst- und Qualitätskontrolle auch wichtig und effektiv sind. Man darf nicht vergessen, dass der Bildschirm eng begrenzt ist, dass wirklich dreidimensionale Verfahren wie Arbeitsmodelle oder die relative Unschärfe einer Skizze unersetzlich bleiben. Sicher ist es anspruchsvoll, das richtige Mittel für den richtigen Zweck auszuwählen. Um Karl Jaspers abzuwandeln: Man muss das Gefühl für das Nichtcomputerisierbare bis zur Untrüglichkeit schärfen. Aber man kann natürlich das Feld den Consultern, Facility-Managern, Ökoplanern und Feng-Shui-Beratern überlassen. Vielleicht ist diese Aufrüstung auf der Planerseite bloß eine Reaktion auf die Ausweitung der Kommissionen auf Bauherrenseite, wo jeder Recht haben darf und sich niemand die Führung in die Hand zu nehmen traut, weil eine wankelmütige Öffentlichkeit und der politische Gegner drohen. Da versteckt man sich lieber hinter Experten. Und wenn der überladene Kahn dann tief im Schlick festgefahren ist, wie bei Wien-Mitte, ruft man nach Architekten, dass sie ihn wieder flottmachen. Man erhofft sich von einem neuerlichen Wettbewerbsverfahren offenbar ein aktualisiertes Image, das die aufgestauten volkswirtschaftlichen Illusionen, die eine hohe Dichte erzwingen, zu kaschieren vermag. Ob das der Weg ist, zu Bauwerken zu gelangen, die in 100 Jahren auch zum Weltkulturerbe zählen, ist zu bezweifeln.

Nichttrinker: Was willst du eigentlich? Über das Museumsquartier wurde auch permanent gestritten, und jetzt ist es doch richtig gemütlich hier. Schau dir an, wer aller vorbeikommt, um sich zu zeigen oder anderen zuzuschauen, die sich ihrerseits scheinbar absichtslos präsentieren. Das Museumsquartier wird schneller ins touristische Weltkulturerbe inkorporiert sein, als du denken kannst.

Nichtraucher: Was kümmert mich das touristische Weltkulturerbe einer Großstadt. Ich habe da in Drosendorf eine Gasthausgartenplattform gesehen, die schlägt alles, was an Schanigärten das Wiener Pflaster beansprucht. Wenn sie bloß nicht so weit weg wäre.

Vegetarier: Hier seid ihr also. Hätte mir denken können, dass ihr vom Café Museum nur in ein Museumscafé wechseln könnt. Zu mehr Veränderung eurer Gewohnheiten seid ihr offenbar nicht fähig, auch wenn ihr demonstrativ in allem verschiedener Meinung sein müsst. Seid bloß froh, dass Architektur die Menschen immer wieder bewegen wird, so wird euch der Stoff für eure Spiegelfechtereien nie ausgehen.

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