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Fadesse mit Nudelsieb
Spectrum

Nicht einmal empören kann man sich darüber: das Maculan-Haus in der Singerstraße, auf dem „allerletzten“ Bauplatz der Wiener Innenstadt – Architektur zum Vergessen.

18. November 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
Schlechte Architektur verbal anzuprangern – wie einfach das im Grunde ist! Aber die Aufgabe, sich zum neuen Maculan-Haus zu äußern, ist eine schwierige, verzwickte Angelegenheit: Denn soviel gebaute Banalität macht stumm. Und ratlos. Wieder einmal handelt es sich um den allerletzten Bauplatz der Wiener Innenstadt. Er ist rund 650 Quadratmeter groß und an der Ecke Singerstraße/Riemergasse gelegen. Während der jahrzehntelangen Debatten um seine mögliche Verbauung wurde er von der Finanzprokuratur als Parkplatz genutzt; das Grundstück gehörte dem Bund. Dann, eines schönen Tages, wurde es an den Bestbieter, den Wiener Baulöwen Maculan, für sage und schreibe 220.000 Schilling pro Quadratmeter verkauft.

Maculan verbaute nun dieses Grundstück nicht etwa mit einem Bürohaus, wie das an dieser Stelle naheliegend, aber auch herkömmlich wäre. Er stellte auch kein neues Innenstadthotel an diese Ecke. Er dachte sich etwas Spezifisches aus: ein Appartementhotel (77 Appartements) mit drei Geschäften unten und vier Penthauswohnungen oben. Letztere sind noch im Bau und waren lange Zeit Gegenstand grundsätzlicher Überlegungen: Sollte man sie vermieten oder verkaufen? Wären sie verkauft worden, hätte die größte (160 Quadratmeter) und luxuriöseste, mit zwei Terrassen, von denen eine einen wundervollen Blick über Wien bietet, beachtliche 16 Millionen Schilling gekostet. Und sie hätte sofort einen Käufer gefunden.

Aber diese vier Penthauswohnungen sollen vermietet werden. Aus gutem Grund: Die Errichtung dieses Objekts war so teuer, daß es sich selbst bei voller Auslastung nicht rechnet – oder nur so langfristig rechnet, daß es kommerziell nicht interessant genug erscheint. Daher wurde von vornherein, also schon vor Fertigstellung, an den Wiederverkauf gedacht. Und wo ein Investor gesucht wird, da soll es ja bekanntlich der Situation nicht sehr förderlich sein, wenn es schon Teileigentümer gibt.

Nun ist damit noch nichts über die Architektur ausgesagt. Aber ehrlich: Was könnte einem zu einer solchen gebauten Banalität groß einfallen? Dabei muß Maculan mit diesem Hausbau ursprünglich doch eine gewisse Ambition verbunden haben, sonst hätte er sich nicht Ernst Hoffmann als Architekten genommen. Hoffmann ist bestimmt nicht der Architekt, den sich jemand aussucht, der nur schnell und billig bauen will. Aber der Regierungssitzbauer von St. Pölten, der scheint für dieses Objekt nur sehr wenig Zeit aufgebracht zu haben (hoffen wir mit den Niederösterreichern, daß er sie wenigstens in das St. Pöltner Unternehmen investiert hat). Und daher steht jetzt ein Ding da, dessen auffällige Einfallslosigkeit einen schlichtweg mundtot macht.

Was gäbe es in architektonischer Hinsicht über diesen „letzten“ Innenstadtbau zu vermelden? Er hat eine Geschäftszone im Erdgeschoß, die durch eine graue Steinverkleidung von der weißen Putzfassade abgehoben ist. Dann kommt eine gewöhnliche Lochfassade, die durch eine vertikale Reihe von Bullaugenfenstern eine gewisse Differenzierung erhält. Der Differenzierung soll offenbar auch eine vertikale Reihe winzigster Ausblicksbalkone über dem Eingangsbereich dienen. Und in eine schmale Seitengasse an der Rückseite des Hauses schauen französische Fenster. In der Singerstraße schwingt sich im oberen Bereich eine unverständliche Hutkrempe über die Fassade. Das ist es auch schon.

Die Gaupen im ausgebauten Dachgeschoß sind gerade auf einem Haus, das sich doch städtisch geben will, besonders lächerlich; andererseits: Soviel schlimmer als die vielen Gaupen, die es überall sonst in der Wiener Innenstadt gibt, sind sie auch wieder nicht. Und die durch Terrassen wild zerklüftete Dachlandschaft kann man von unten ohnehin nicht sehen.

Das Haus ist als Appartementhotel geführt – das hat für sein Innenleben naturgemäß Folgen: Man betritt zwar eine Art Empfangshalle, ein Foyer, das mit einer Rezeption ausgestattet ist, aber was sonst an infrastrukturellen Einrichtungen zu einem Hotelbetrieb gehört, all das fehlt hier. Von der Rezeption geht es zum Lift und vom Lift direkt zu den Appartements. Diese werden nur mindestens wochenweise vermietet, sind verschieden groß und komplett ausgestattet – bis zum Nudelsieb und zur Schere. Außerdem haben sich die Innenausstatter Mühe gegeben, den Eindruck von Gediegenheit zu vermitteln. Das ist ihnen durch den Einsatz von Wittmann-Polstermöbeln, allerlei Designerkrimskrams und Marmorbäder auch gelungen, allerdings auf einer unvorstellbar trivialen Ebene.

Das Merkwürdige an diesem Haus ist: Man kann sich darüber nicht wirklich empören. Es ist einfach nur fad und nichtssagend. Nun war Ernst Hoffmann auch bisher nicht gerade ein Architekt, dessen Bauten das Architekturgeschehen bewegt oder gar weitergebracht hätten. Aber einen Mindestanspruch an architektonischer Ambition kann man ihnen auch wieder nicht absprechen. Nicht von ungefähr führt Hoffmann ein gutgehendes Architekturbüro und ist bei Wettbewerben recht erfolgreich: Seine Architektur läßt dem Bauherrn die Illusion, etwas „Modernes“ zu bauen, das aber doch nirgends aneckt, nicht ungebührlich auffällt und daher auch keinen schmerzt. Anders ausgedrückt: Hoffmanns architektonisches Kredo ist ein todsicheres kommerzielles Erfolgsrezept.

An diesem Punkt stellen sich dann doch Emotionen ein: Je länger man über dieses fade Eckhaus und seinen Architekten nachdenkt, desto ärgerlicher erscheint die ganze Causa. So ärgerlich, daß man anfängt, sich nach der alten, von der Gewista zuplakatierten Planke zurückzusehnen, denn solange die stand, war dieser „letzte“ Bauplatz der Wiener Innenstadt wenigstens noch ein Hoffnungsgebiet. Irgendwie will es in Wien nicht gelingen, daß von privater Seite etwas gebaut wird, das mehr als durchschnittlich wäre. Nicht, daß es bei den Bauten der Stadt soviel besser wäre – eine gute Initiative wie das Schulbauprogramm 2000, das tatsächlich zu architektonischen Besonderheiten führte, ist ganz schnell wieder zu Ende. Aber bei den privaten Bauherren, auf Seite der Investoren, kommt es nicht einmal zu ansatzweisen Initiativen.

Was sind das auch für Voraussetzungen, wenn man an den konkreten Fall des Maculan-Hauses denkt? Wenn einer einen Bauplatz kauft, von dem er von vornherein weiß, daß er zu teuer ist, was soll dort entstehen? Es kann nur eine austauschbare architektonische Beliebigkeit sein. Denn er ist ja von dem Gedanken beflügelt, das Ding so rasch wie möglich gewinnbringend zu verscherbeln. Unter solchen Umständen läßt sich keine wagemutige architektonische Deklaration realisieren, denn die muß einer schon wirklich wollen. So entstehen Häuser, die eine auf den größtmöglichen gemeinsamen Nenner gebrachte Unkultur charakterisiert.

Mit solchen Häusern ist die Wienerstadt vollgestellt. Man braucht sich nur die neu gebauten Innenstadthotels anzuschauen: Sie übertreffen einander in ihrer Scheußlichkeit. Es gibt auch keinen bemerkenswerten Bürohausbau oder Firmensitz. Die Neubauten sind durch die Bank banal bis erbärmlich. Eine deprimierende Bilanz, vor allem auch, weil höchst ungewiß ist, wann wieder ein „letzter“ Bauplatz zur Verbauung ansteht.

Man muß sich fragen, was im Kopf eines Investors von heute so anders läuft als in den Köpfen der Bauherren von früher. Denn gerade wenn man durch die Wiener Innenstadt geht, wird man laufend mit den gebauten Ambitionen früherer Auftraggeber konfrontiert. Und auch die konnten schließlich rechnen. (Aber ums Rechnen geht es ja in Wahrheit gar nicht.)

Es irritiert im Fall des Maculan-Hauses noch zusätzlich, daß jemand einerseits eine Architekturgalerie betreibt, in der immer wieder ein interessantes Ausstellungsangebot zu sehen ist, und insofern Interesse an Architektur bekundet, und daß dieselbe Person dann andererseits, gar nicht weit entfernt, einen solchen Bau errichtet. Wobei das Ärgernis auch darin besteht, daß es leicht gewesen wäre, etwas wirklich Besonderes zu machen: Gerade in Wien sind die Architekten da, die so etwas können, man muß sie nur beauftragen. Aus anderen Städten weiß man längst, daß bei einem Hotel die architektonische und designerische Besonderheit als kommerzieller Faktor ernst genommen werden muß. Es ist also, abgesehen von allen anderen Aspekten dieses Bauwerks, überhaupt nicht zu verstehen, weshalb die architektonische Strategie hier so kleinlich bemessen wurde.

Nein, es ist genauso wie eingangs postuliert: Beim besten Willen läßt sich gegen dieses Haus keine polemische Attacke reiten. Es bietet keinerlei Anlaß für verbale Ereiferung. Es ist so furchtbar langweilig und uninteressant, daß man seine Existenz nur schulterzuckend zur Kenntnis nehmen und dann ganz schnell wieder vergessen, verdrängen kann.

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