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Bauten, wie sie im Buch stehen
Spectrum
7. Oktober 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
Architektur- und Designbücher können eine Plage sein: Man möchte sie alle haben. Dabei weiß man doch, daß gerade auf diesem Sektor die Bücherflut des letzten Jahrzehnts auch wenig erfreuliche Nebenwirkungen zeitigte: dicke Bände, teilweise mit unerhörtem graphischen Aufwand gemacht, aber wenig Substantiellem zwischen den Buchdeckeln.

Aus der Produktion dieses Herbsts mag das eklatanteste Beispiel dafür der Band „Television at the Crossroads“ sein – ein Designbuch, das unweigerlich lockt: ein schöner Umschlag und ein edles Vorsatzpapier, nur – es ist wirklich nicht mehr dahinter als ein Seminar mit Studenten, das erstaunlich banale Kreationen zum Thema Fernseher zur Folge hatte. Das können sie gut, die italienischen „Stardesigner“: einen betuchten Sponsor auftreiben und einen vierfarbig schillernden Bluff produzieren, der dann in den Fachbuchhandlungen ganz Mitteleuropas aufliegt. Als Auslagendekoration ist der Band vielleicht gar nicht schlecht.

Stefano Marzano, Alessandro Mendini, Andrea Branzi: „Television at the Crossroads“, 168 S., Ln., S 663 (Academy Group, London).

Wenden wir uns trotzdem zwei seriöseren Produkten zu. Im Einleitungsessay zu „Architecture and Water“ taucht Aaron Betsky tief in die Geschichte des Wassers in der Architektur ein und spürt allen erdenklichen Spielarten dieser Beziehung nach – dem Wasser als einer Art „natürliches“ Artefakt, sei es als Brunnen, Pool oder Spiegelfläche für das „gebaute“ Artefakt, Wasser als klimatische Maßnahme, aber auch als integrierender Bestandteil des architektonischen Environments wie in Venedig oder Holland.

Vieles kennt man, etwa den Wassertempel von Tadao Ando oder den britischen Expo-Pavillon für Sevilla von Nicholas Grimshaw, das Stretto-Haus von Steven Holl oder das Solana-Projekt von Ricardo Legorreta. Außerdem ist es ein wenig ärgerlich, wenn in einer Fachpublikation Bauten und Projekte teilweise so fragmentarisch dargestellt sind, daß man bestenfalls einen flüchtigen Eindruck gewinnt. Andererseits ist die Auswahl so international, daß man dem Buch einen gewissen Informationsgehalt nicht absprechen kann.

„Architecture and Water – Architectural Design No. 113“, 120 S., brosch., S 308 (Academy Group, London).

Schwieriger ist es mit dem Band „The Power of Architecture“. Denn über den Zusammenhang zwischen politischer Macht und Architektur gibt es längst eine Reihe von Untersuchungen: die russische Revolution und deren Architektur, Mussolini und die italienischen Futuristen, Hitler und Albert Speer. Kein Zweifel: Architektur vermag Macht auszudrücken und unter Umständen zu befördern. Trotzdem macht es einem der vorliegende Band nicht leicht, weil so viele Aspekte des Themas angesprochen sind. Natürlich ist die Hongkong-und- Shanghai-Bank des Norman Foster ein Machtsymbol, und auch die „Grands Projets“ des François Mitterrand und die Projekte zum Berliner Reichstag-Wettbewerb drücken Macht aus; und wer in der Architekturszene wüßte nicht, daß auch in einer Persönlichkeit wie Philippe Johnson, in dessen Leben und Werk, Macht zum Ausdruck kommt. Aber ist es nicht doch ein wenig gewollt, Johnson im selben Atemzug mit der – übrigens äußerst bemerkenswerten – Gefängnisarchitektur eines Remy Butler in Brest, Frankreich, abzuhandeln?

„The Power of Architecture – Architectural Design Profile 114“, 120 S., geb., S 680 (Academy Group, London).

Ein besonders interessanter Bildband ist die große, repräsentative Dokumentation eines der spektakulärsten Bauten in der Seine-Metropole, der „Bibliothèque nationale de France“ von Dominique Perrault. Diese Bibliothek schafft Raum für 17 Millionen Bücher und 3600 Leseplätze. Auch die Architektur ist eindrucksvoll: Vier hohe, jeweils einen rechten Winkel bildende Türme – sie gleichen aufgeschlagenen Büchern – umschließen eine riesige Platzfläche.

Perrault war erst 36 Jahre alt, als er 1989 den Wettbewerb für die Bibliothek gewann, weshalb auch Zweifel laut wurden, ob er eine derartige Aufgabe überhaupt würde lösen können. Aber er konnte: Fünf Jahre später war der Bau fertiggestellt.

Das Buch dokumentiert alle Stadien der Entstehung des Projekts, wobei die Baustellenphotos vielleicht sogar am aufregendsten sind, obwohl andererseits die vier Türme in ihrer Einfachheit und Ruppigkeit, eine Kraft demonstrieren, der man sich schwer entziehen kann. Perrault selbst sieht seinen Bau als „minimalistisches“ Kunstwerk. In einem in dem Band wiedergegebenen Gespräch sagt Perrault ganz unverhohlen und für einen Franzosen eigentlich überraschend, daß ihn Le Corbusier nie so fasziniert habe wie etwa Louis Kahn oder Mies van der Rohe. Tatsächlich scheint diese Architektur aus einem Stoff gemacht, dessen städtebauliche Kraft und atmosphärische Wirkung sich aus anderen Quellen nährt als den französischen Klassikern der Moderne.

„Bibliothèque nationale de France 1989-1995 – Dominique Perrault, architecte“, 232 S., Ln., S 1077 (Birkhäuser Verlag, Basel).

Zu den Usancen der Architekturverlage zählt, daß sie manchmal interessante Ausstellungskataloge als Hardcoverausgaben herausbringen. Auf zwei sei hier verwiesen: Bei Prestel ist der Katalog „The Architecture of Bruce Goff 1904-1982“ erschienen, der ursprünglich zur großen Goff-Retrospektive des Art Institute of Chicago herausgekommen ist, bei Ernst & Sohn der Katalog zur vielgerühmten Taut-Ausstellung des Sezon-Museums, Tokio – unter dem Titel „Bruno Taut: Natur und Phantasie 1880 bis 1938“. Goff war eine der faszinierendsten Gestalten der amerikanischen Architekturszene, eine Dreifachbegabung – Maler, Komponist und Architekt – und ein Besessener, dessen Vorstellungen von einer „absoluten Architektur“ zu denkwürdigen Bauten führten. Auch Taut war ein Multitalent: Dieser Katalog enthält viele bisher unbekannte Arbeiten – Entwürfe für das Theater, für Gebrauchsgegenstände und Siedlungen.

Pauline Saliga, Mary Woolever (Hrsg.): „The Architecture of Bruce Goff 1904-1982 – Design for the Continuous Present“, 120 S., Ln., S 609 (Prestel Verlag, München).

Manfred Speidel (Hrsg.): „Bruno Taut – Natur und Phantasie 1880 bis 1938“, 344 S. geb., S 764 (Verlag Ernst & Sohn, Berlin).

Eines der schönsten Bücher dieses Herbsts ist „Das moderne Haus“. Was John Welsh hier vorlegt, ist mehr als bloß eine Aneinanderreihung von Häusern. Der Versuch einer thematischen Gliederung in „ideale Villa“, „konstruktive Lösungen“, „organische Häuser“ und „Kompromisse in der Stadt“ ist zwar ebenso anerkennenswert wie der Versuch, die historischen Entwicklungslinien dieser verschiedenen Themenkreise nachzuzeichnen. In Wirklichkeit aber frappiert vor allem die Konzentration und Konsistenz dieser so unterschiedlichen architektonischen Statements.

Ein wenig nachdenklich mag einen stimmen, daß Österreich, das sich auf seine Einfamilienhausarchitektur soviel zugute hält, mit keinem einzigen Beispiel vorkommt. Andererseits – die breit gefächerte Internationalität des Bandes entschädigt dafür. Überrascht es jemanden, daß die beiden außergewöhnlichsten Häuser – die „Zero-Kosmologie“ in Sichtbeton von Masaharu Takasaki und das „Kubistische Haus“ aus Glas von Shinichi Ogawa – in Japan stehen? Auch die leuchtend farbige kalifornische Kulissenarchitektur „The Monument“ von Joshua Schweitzer oder die australischen Bauten „St. Andrew Haus“ von Nonda Katsalides und das „Haus Cowes“ von Barry und Denton Corker Marshall fallen aus dem Rahmen üblicher Einfamilienhausarchitektur und verdichten sich zu spannenden Aussagen.

John Welsh: „Das moderne Haus“, 240 S., geb., S 998 (Verlag Ernst & Sohn, Berlin).

Bleibt noch ein letzter, ein wenig abseitiger Buchtip für jene, die der Auseinandersetzung mit Baukunst der herkömmlichen Lesart müde sind: „Thomas Bernhards Häuser“ beschert den Freunden von Literatur und Baukunst gleichermaßen Freude – und die Möglichkeit zur stimmungsvollen Gedankenreise durch einen ganz anderen architektonischen Kontinent.

Wieland Schmied, Erika Schmied: „Thomas Bernhards Häuser“, 160 S., geb., S 680 (Residenz Verlag, Salzburg) .

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