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Mit Rotstift und Wortbröseln
Spectrum

Kann man über Schulbau nur auf Basis von Kosten-Nutzen-Rechnungen diskutieren? Und ist die „Einheitsschule“ wirklich billiger als individuelle Planung? Anmerkungen zu einer unsachlichen Debatte in Wien.

16. Dezember 1995 - Liesbeth Waechter-Böhm
Nicht zu fassen, welche obskure rhetorische Stilblüten die Sparbudgethysterie in Wahlkampfzeiten hervorbringt. Bei sich selbst fängt zwar keiner an, rigoros den Rotstift anzusetzen, dafür weiß jeder (Politiker) ganz genau, wo der andere (Politiker) Millionenbeträge zum Fenster hinauswirft. Die wortgewaltige Wadelbeißerei spielt sich neuerdings selbst unter Parteigenossen im grellen Licht medialer Öffentlichkeit ab. Wer mit dem Rücken zur Wand kämpft, dem bleibt offenbar keine Wahl. Jeder verbale Untergriff scheint recht.

Grete Laska kontra Hannes Swoboda: die Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Jugend, Familie, Soziales und Sport kontra den Stadtrat für Stadtentwicklung und -planung. Swoboda hat mit dem „Schulbauprogramm 2000“ eine der bemerkenswertesten und langfristig sinnvollsten Initiativen für die Baukultur in der Bundeshauptstadt gesetzt. Laska stellt der Initiative nicht etwa eigene konstruktive Aktivitäten zur Seite, sondern sagt ihr den Kampf an, frei nach dem Motto: von der Architekturschule zurück zur Baumschule. Sie proklamiert die sogenannte Einheitsschule: ein Stück Schule mal – Hausnummer – 25. Offensichtliches Ziel der Proklamation: daß der Name der Vizebürgermeisterin möglichst oft auf den Chronikseiten der Tagespresse genannt wird.

So lange schon werden in Wien Schulen gebaut, aber bis auf diese liebe Frau hat noch niemand eine zündende Idee gehabt, wie sich mir nichts, dir nichts 100 Millionen Schilling einsparen ließen, ohne daß einer (oder mehrere) jener Werte, auf die wir uns bisher etwas zugute gehalten haben, einbrechen würde: die Unterrichtskultur, die Baukultur oder das Kulturbewußtsein der Schüler von heute und somit der Erwachsenen von morgen. In Wahlkampfzeiten interessiert eine solche Argumentationsebene grundsätzlich nicht. Und eine Partei, die so sehr im ungewissen darüber ist, auf welche Werte sie in Zukunft überhaupt setzen will, befindet sich in solcher Zeit naturgemäß erst recht im (kulturellen) Ausnahmezustand.

Arme Architekten! Sie kommen aus dem Staunen nicht heraus. Denn es will ihnen partout nicht eingehen, daß so viel Bauernfängerei kein lautes Rauschen im Blätterwald, kein elektronisches Protestflirren und auch sonst keinerlei massive Abwehrreaktionen zur Folge hat.

W as sie bisher nicht wußten: Wenn gar nichts mehr geht, geht alles. Dann ist kein Trick zu primitiv, kein Bluff zu vordergründig. Vielleicht fällt Otto Normalverbraucher doch darauf herein! Ein Stück Schule mal x ist gleich y minus 100 Millionen Schilling. Diese neue Gleichung möchte man sich aufs Kopfkissen sticken lassen oder zeitgemäßer: als Pauseneinlage der heimischen PC-Software einverleiben. Hat sich wirklich keiner von denen, die einfach gedankenlos nachplappern, was Frau Laska von sich gibt, jemals angeschaut, was das eigentlich für Schulen beziehungsweise Programme sind? Und auf welchen Grundstücken die Schulen gebaut werden?
Wie soll es jemals möglich sein, unter den vielfältigen und differenzierten Realbedingungen dicht verbauter Stadt von heute – und im Hinblick auf die von Quartier zu Quartier völlig unterschiedlichen Anforderungen – einen architektonischen „Prototyp“, um es freundlich zu formulieren, auch nur als gebaute „Kleinserie“ aufzulegen? (Dabei ist die auch nicht unwichtige Frage noch völlig ausgeklammert, ob sich eine „Kleinserie“ überhaupt rechnen würde.)

Arme Architekten! Sosehr sie im Normalfall zu egoistischer Eigenbrötelei neigen – jeder einzelne gegen alle anderen –, so sehr tendieren sie auch dazu, substantiellen Krisen nicht mit wütender Polemik und Empörung zu begegnen, auch nicht mit dem nachhaltigen Hinweis auf den eigenen kulturellen Auftrag (und den der Stadt!), sondern mit sachlicher Argumentation, die sich darum bemüht, politische Stellungskriege zu vermeiden und alles auszublenden, was auch nur den geringsten Verdacht erzeugen könnte, man bewege sich womöglich nicht ausschließlich auf dem Niveau reinen Kosten-Nutzen-Denkens.

Das zeugt natürlich von bodenloser Naivität. Denn es mag wahr sein, daß die Wiener Schulen nicht auf der grünen Wiese gebaut werden, sondern dort, wo man sie braucht – und das ist nun einmal das dicht verbaute städtische Wohngebiet; es mag auch stimmen, daß dort die Grundstücke knapp, die Grundstückspreise gigantisch und die Grundstücksgrößen in der Regel ohnehin zu klein, auf jeden Fall aber vom Zuschnitt her sehr unterschiedlich sind; und ganz sicher stimmt es, daß auf diesen potentiellen Bauplätzen jeweils nicht nur sehr verschiedene Schultypen – Volksschulen, Hauptschulen, Sonderschulen, Berufsschulen –, sondern auch sehr verschiedene Schulgrößen (sechs bis 27 Klassen) gefordert sind. Aber wer will davon in Wahlkampfzeiten etwas wissen?

Frau Laska jedenfalls nicht. Sie tut, als wäre ein Einheitsschultyp von zehn Klassen problemlos auf 20 erweiterbar. Als wäre es gleichgültig, wo welche Himmelsrichtung ist. Und als wäre es mit ein, zwei „Prototypen“ getan, wo sie mit zehn nicht auskommen kann. Was Frau Laska postuliert, entbehrt jeder realen Basis. Im Grunde suggeriert sie mit ihrem Vorschlag zur vermeintlichen Reduzierung der Planungskosten einem fachlich unkundigen Publikum, daß die Architekten ein unbegründet hohes Honorar für ihre Arbeit erhalten, weshalb es gerechtfertigt sei, gerade beim Planungshonorar zuallererst einzusparen.

Sie sagt nicht dazu, daß die bauliche Vervielfältigung eines Prototyps nach wesentlich größeren Grundstücken verlangt, was bei den heutigen Preisen jede mögliche Einsparung bei den Planungskosten – sie betragen fünf bis sechs Prozent der Herstellungskosten und ließen sich durch die „Einheitsschule“ um maximal ein Drittel senken – augenblicklich wieder ad absurdum führt.

Sie sagt auch nicht dazu, daß unter den realen Bedingungen in der Bundeshauptstadt jeder Schulprototyp einen so großen Umplanungsaufwand zur Folge haben muß, daß auch von daher individuelle Planung viel wirtschaftlicher ist als jede „Einheitsschule“. Rätselspiel für den Leser: Warum sagt sie es nicht? Weil sie uns täuschen will? Weil sie es nicht weiß? Weil Wahlkampf ist?

Ginge es sachlich zu, wären die Vorschläge unserer lieben Frau aus dem Rathaus schnell wieder weggefegt worden. Weil die Zeitläufe momentan aber unsachlich, emotional aufgeladen und gar nicht redlich sind, kann Frau Laska ihre kecken Wortbrösel unaufgeräumt herumliegen lassen; am Ende bleiben tatsächlich häßliche akulturelle Flecken auf dem Wiener Schulbauprogramm 2000 zurück. Zu leiden haben darunter jene (Architekten), die jetzt, nach Czech, Lainer, Podrecca, Richter & Co, im Begriff sind, ihre Planungen durchzuboxen. Denen ergeht es schlecht. Zum Teil sogar sehr schlecht.

Es war immer schon ein grundlegender Fehler, wenn sich in einem Disput zwischen zwei Parteien der eine Kontrahent auf das Niveau des anderen (hinunter)begeben hat. Er gibt sein ureigenstes Terrain auf und bewegt sich auf fremdem. Das ist von Nachteil. Genau diesen Fehler machen unsere Architekten, wenn sie gegen die Vorschläge der Frau Laska antreten – auf einem Niveau, in dem zwar Frau Laska heimisch ist, nicht aber ein Architekt, der etwas auf sich und die Baukunst hält.

Was ist das eigentlich für eine Ungeheuerlichkeit, daß wir über Schulbau, der unter dem Vorzeichen architektonischen Anspruchs passiert, plötzlich nur noch auf einer Kosten-Nutzen-Ebene diskutieren? Solche Debatten mögen im sozialen Wohnbau gerechtfertigt sein: Dieser bildet die Hintergrundkulisse jedes städtischen Gefüges und muß für die Bevölkerungsgruppe, für die er geschaffen wird, auch bezahlbar sein. Er muß ein Optimum an Wohnkomfort bieten und trotzdem mit dem Titel Architektur belegbar sein.

Aber selbst in diesem Bereich kann und soll es, was Aufwand und Anspruch betrifft, immer wieder auch Ausnahmen geben: Nur so bringen wir die Dinge voran, nur so ist Entwicklung möglich. Wer hingegen jedes Risiko meidet und auf der Stelle tritt, dem wird schnell und zu Recht das Etikett des Banausen verpaßt. Im Schulbau geht es um etwas anderes. Denn er ist öffentlicher Bau und in jedem Quartier auch ein Zeichen, das über den pragmatischen Nutzen hinausweist.

D amit wird er zu einem Teilstück jenes kulturellen Fortschritts, den es zu verteidigen gilt. Wer sich auf dem Sektor Schulbau in die Schere von reinen Kosten-Nutzen-Rechnungen begibt, gibt grundsätzliche kulturelle Ansprüche preis, die bisher in unseren Breiten verbindlich waren. Vor allem darum geht es. Architekten tun schlecht daran, sich so bereitwillig auf andere Argumentationsebenen zu begeben.

Eine Zukunftsperspektive: Alle Architekten, die jetzt Schulbauten zu planen haben, werden hart kämpfen müssen. Und wenige werden ihre Vorstellungen ohne substantielle Abstriche durchbringen. Frau Laska, sofern es sie in der politischen Zukunft noch gibt, wird ihre „Einheitsschule“ ausprobieren. Und die wird sicher ein Flop. Beamte werden es errechnen und beweisen, der Versuch der „Einheitsschule“ wird sang- und klanglos abgebrochen werden. Zu einem Zeitpunkt an dem kein (medialer) Hahn mehr danach kräht. Unsere liebe Frau im Rathaus kommt mit dem Schrecken davon, der Schwarze Peter bleibt den Architekten.

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